Das Pflegepersonal ist weiterhin am Limit

  03.08.2022 Gesundheit

Die Lage im Gesundheitswesen spitzt sich weiter zu. Zwar werden schweizweit deutlich weniger Personen wegen einer Covid-Erkrankung hospitalisiert, doch das entspannt den Fachkräftemangel nicht. Eine Umfrage bei einigen Pflegeinstitutionen im Frutigland untermauert diese Tatsache.

KATHARINA WITTWER
Die Arbeitsbelastung des Gesundheitspersonals war schon vor Ausbruch der Corona-Krise gross und hat sich seither weiter zugespitzt. Einige Fachkräfte haben ihrem Beruf wegen der hohen Belastung und der damit einhergehenden Anfälligkeit für Krankheit oder Unfall bereits den Rücken gekehrt. Teilweise haben sich derart viele Überstunden angehäuft, dass eine Kompensation schwierig geworden ist.

Der Fachkräftemangel ist gross – nicht nur in der Schweiz. Offene Stellen bleiben oft unbesetzt, mit der Folge, dass Spitäler und Heime gezwungen sind, ganze Abteilungen zu schliessen. Seit Jahren werden zu wenig Pflegekräfte ausgebildet, was sich nun rächt. Bis die hoffentlich positiven Auswirkungen der vom Schweizer Stimmvolk im letzten November angenommenen Initiative spürbar sind, wird es noch lange dauern.

Im «Frutigländer» vom 18. Februar 2022 wurde eine Übersicht von verschiedenen Institutionen im Tal publiziert. Damals hoffte man, Corona sei bis im Sommer überwunden und das Personal könne Überzeiten abbauen. Inzwischen ist klar, dass sich diese Hoffnung kaum erfüllt hat.

Kleineres Bettenangebot im Sommer
Bei der Spitex Niesen und dem fmi-Spital Frutigen konnten bisher alle Ferien plus die zusätzlich beantragten Urlaube bewilligt und bezogen werden. Die fmi-Spitäler bieten im Sommer generell weniger Betten an als im Winter. Die Kommunikationsabteilung des Unternehmens bestätigt, dass personalbedingt temporär noch weniger Betten bewirtschaftet werden als sonst um diese Jahreszeit. Zwar seien die Corona-Erkrankungen beim Personal zurückgegangen, doch wegen der andauernd hohen Belastung sei das Krankheits- und Unfallrisiko merklich gewachsen.

Für den ausserordentlichen Einsatz im letzten Geschäftsjahr zahlten die fmi-Spitäler den Angestellten eine Sommerprämie, die sehr geschätzt wurde. Doch mehr Geld löst den Fachkräftemangel nicht. Wie überall haben auch am Spital Frutigen überdurchschnittlich viele Personen gekündigt. Acht Lernende begannen gestern in Frutigen eine Ausbildung in einem Gesundheitsberuf. Dieses Jahr konnten alle Lehrstellen besetzt werden, fürs nächste Jahr sind noch einzelne offen.

«Das Personal hat Ferien bitter nötig»
Schien Anfang Jahr die Lage in den Häusern der jetzt Frutigland AG in Reichenbach und Frutigen noch einigermassen im Lot zu sein, zeigt sich inzwischen ein anderes Bild. Sobald Personal krankheitshalber ausfällt, kann kaum noch kompensiert werden – im Gegenteil. Die übrigen Pflegekräfte häufen in solchen Situationen Mehrstunden an. «In den letzten Monaten haben mehrere Angestellte aus den bekannten Gründen gekündigt», bedauert Franziska Schranz. Laut Aussagen der Geschäftsführerin war der Ferienmonat Juli kaum planbar. Inzwischen versucht man, stundenweise Personen anzustellen, die im Haus Hilfsarbeiten erledigen, damit sich die Fachleute auf ihre Hauptaufgaben konzentrieren können. Immerhin konnten für dieses Jahr alle Lehrstellen besetzt werden, für 2023 aber noch nicht. Schranz fasst die Situation so zusammen: «Das Personal hat Ferien bitter nötig! Falls wir die offenen Stellen in der Pflege nicht besetzen können, sind wir gefordert, andere Lösungen zu finden.»

Beatrice Ramseier, Geschäftsführerin der Pension Adelmatt, weiss von mehreren längeren, krankheitsbedingten Ausfällen beim Pflegepersonal zu berichten. In Aeschi hatte man insofern Glück, dass die Absenzen mit temporären Angestellten überbrückt werden konnten. Die Lehrstelle für eine Fachangestellte Gesundheit (FaGe) konnte schon lange besetzt werden, womit der berufliche Nachwuchs fürs Erste gesichert ist.

Bei der Stiftung Lohner in Adelboden gab es seit Anfang Jahr mehrere, teilweise voraussehbare Kündigungen und Abgänge wie Pensionierungen oder Wohnortswechsel. Den Fachkräftemangel spürt man auch dort, denn einige Stellen in der Pflege sind nach wie vor nicht besetzt.

Immer mehr Aufträge für die Spitex
«Uns macht vielmehr die Zunahme der zu pflegenden Klienten zu schaffen als die Absenzen. Seit Monaten bin ich fast ausschliesslich dabei, Personal zu rekrutieren», erzählt Susanna Zurbrügg, Geschäftsleiterin der Spitex Niesen. 2021 stieg die Zahl der geleisteten Stunden im Vergleich zum Vorjahr um satte 20 Prozent und in der ersten Hälfte 2022 nochmals um gute 6 Prozent. Um der Nachfrage gerecht zu werden, wurden zusätzlich 6,5 Vollzeitstellen geschaffen und bis Ende Juni besetzt. Laufend wird neues Personal eingestellt, und bis Anfang Dezember sind erfreulicherweise Zusagen von sieben neuen Mitarbeitenden eingegangen. Ansonsten bewegte sich die Personalfluktuation in den letzten Monaten im normalen Rahmen. Auf die Frage, wie in Zeiten des Fachkräftemangels Personal gefunden werden kann, sagt die Geschäftsleiterin: «Wir haben in der Spitex den Vorteil, dass eine Klientin, ein Klient nach dem anderen gepflegt und betreut werden kann. Störfaktoren wie Klingeln für eine Handreichung aus einem anderen Zimmer, einer Kollegin beim Umlagern eines Patienten helfen zu müssen oder jemanden vom OPS abholen, kennen wir nicht, was von den Pflegenden sehr geschätzt wird.»

Die Auftragslage ist nicht an allen Stützpunkten zur gleichen Zeit hoch, was den Vorteil hat, dass sich die Mitarbeitenden gegenseitig aushelfen und so die Engpässe etwas gemildert werden können. «Zurzeit hilft uns sogar eine benachbarte Spitex-Organisation aus, um einen krankheitsbedingten Ausfall zu überbrücken. Das wissen wir sehr zu schätzen!», so Zurbrügg. Leider haben beide FaGe-Auszubildenden im ersten Lehrjahr ihren Lehrvertrag aufgelöst. Ersatz konnte nicht gefunden werden. Soeben haben jedoch zwei Personen die Ausbildung angefangen.

Angestellte gehen unterschiedlich mit der Belastung um
Regula Steiner* lernte einst Krankenschwester und arbeitete bis vor wenigen Monaten Teilzeit in einem Alters- und Pflegeheim. Die stetige Zunahme administrativer Aufgaben zulasten der Arbeit am Krankenbett machte ihr je länger, desto mehr zu schaffen. «Der Beruf ist leider nicht mehr das, was ich gelernt und geliebt habe», bedauert die Mittfünfzigerin. Wegen Corona und dem allgemeinen Fachkräftemangel spürte sie auch eine zunehmende Unzufriedenheit innerhalb des Teams. Inzwischen arbeitet sie in einem pflegenahen Bereich, wo sie sich und ihre Ideen besser einbringen kann.

Die diplomierte Pflegefachfrau HF, Carole Jegerlehner*, arbeitet Vollzeit in der Nephrologie (Abteilung Nierenerkrankungen) eines städtischen Spitals im Mittelland. Obwohl auf ihrer Abteilung keine an Corona erkrankten Patienten hospitalisiert waren, spitzte sich der Personalmangel dermassen zu, dass zwei medizinische Abteilungen zusammengelegt werden mussten. Die 24-Jährige liess sich im letzten Winter für fünf Monate beurlauben und besuchte in dieser Zeit eine Bäuerinnenschule. So traf es sie punkto Überzeit nicht allzu arg. «Es kommt hin und wieder vor, dass ich am Vorabend eines freien Tages einen telefonischen Hilferuf kriege und einspringen muss. Ich bin noch jung und kann mit dem Druck gut umgehen – wahrscheinlich besser als einige ältere Kolleginnen.» Jegerlehner weiss von einer Mitarbeiterin, die auf Ende Juni gekündigt hatte, worauf der betreffenden Kollegin die Ferien gestrichen wurden.

* Name von der Redaktion geändert


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