Zutritt nur auf Empfehlung

  04.10.2022 Landwirtschaft

In den Statuten der SVP Schweiz finden sich einige eigentümliche Klauseln, die zum Parteiausschluss eines «eigenen» Bundesrats oder einer Bundesrätin führen könnten. Der Hintergrund: Einen zweiten Fall Widmer-Schlumpf will man auf jeden Fall verhindern.

MARK POLLMEIER
Albert Rösti gilt als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge von SVP-Bundesrat Ueli Maurer, der Ende des Jahres zurücktreten wird. Will Rösti dieses Amt wirklich anstreben, sollte er auf eines ganz besonders achten: Er muss von der SVP-Fraktion der eidgenössischen Räte offiziell vorgeschlagen werden.

Was sich nach einem Witz anhört, hat aus Sicht der SVP einen durchaus ernsten Hintergrund, nämlich die Bundesratswahl 2007. Damals zog auf dem Ticket der SVP bekanntlich Eveline Widmer-Schlumpf in die Landesregierung ein – der offizielle Kandidat der Partei, Christoph Blocher, schied aus dem Bundesrat aus.

Rauswurf nicht möglich
Doch nach diesem Knall ging der Politkrimi erst richtig los. Die Aufforderung ihrer Partei, aus dem Bundesrat und der SVP auszutreten, lehnte Eveline Widmer Schlumpf ab. Also wollte die SVP die «Verräterin» Widmer-Schlumpf aus der Partei ausschliessen. An der Delegiertenversammlung vom 5. April 2008 sollte der entsprechende Beschluss gefasst werden. Doch ein vorgängiges Rechtsgutachten ergab: Die SVP Schweiz kann Einzelmitglieder gar nicht ausschliessen, weil deren Parteizugehörigkeit über die kantonalen Sektionen geregelt ist. Deshalb wandte sich die SVP Schweiz nun an die Bündner SVP: Sie solle Widmer-Schlumpf bis zum 30. April 2008 hinauswerfen – andernfalls werde die SVP Schweiz die gesamte Kantonalpartei ausschliessen.

Und so kam es. Weil die Geschäftsleitung und die Delegiertenversammlung der SVP Graubünden sich weigerten, «ihre» Bundesrätin aus der Partei zu werfen, schloss der Zentralvorstand der SVP Schweiz die gesamte SVP Graubünden am 1. Juni 2008 aus.

Eine Regelung mit Risiko
Damit es bei einer Bundesratswahl nie mehr zu einem solchen Debakel kommt, änderte die SVP Schweiz später ihre Statuten. In Artikel 9,3 ist mittlerweile festgeschrieben, dass kein Bundesrat SVP-Mitglied bleiben kann, wenn er sein Amt ohne den Segen der SVP-Fraktion antritt. Was das bedeutet, steht im nächsten Artikel 9,4: Kandidatinnen oder Kandidaten, die in den Bundesrat gewählt werden und von der SVP nicht offiziell nominiert waren, fliegen automatisch aus der Partei – auch aus der Heimatsektion. Ein Schauspiel wie seinerzeit um Eveline Widmer-Schlumpf wird damit unmöglich.

Doch diese Regelung birgt für die SVP auch ein Risiko, nämlich den Verlust eines «eigenen» Sitzes. Theoretisch könnte es passieren, dass ein nicht offiziell nominierter SVP-«Quereinsteiger» in den Bundesrat gewählt wird – möglicherweise sogar mit einem passablen Ergebnis. Würde er die Wahl annehmen, wäre er gemäss Statuten augenblicklich kein SVP-Bundesrat mehr, sondern parteilos. Möglicherweise würde dieser Bundesrat oder diese Bundesrätin sogar «überlaufen» und sich einer anderen Partei anschliessen.

Eine eher theoretische Hintertür
Um ein solches Szenario zu vermeiden, gibt es in den SVP-Statuten den Artikel 9,5. Demnach kann der Abtrünnige wieder aufgenommen werden, wenn sowohl der Parteivorstand der SVP Schweiz als auch die Fraktion im Bundeshaus mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen. Erst Rauswurf und anschliessende Wiederaufnahme, wenn die Partei es für statthaft hält – ob ein frisch gewählter Bundesrat oder eine Bundesrätin sich auf ein solches Prozedere einlassen würde, ist fraglich. Diese Hintertür ist insofern eine eher theoretische.

Für die bevorstehende Bundesratswahl im Dezember gibt es einige mögliche InteressentInnen, das macht die Angelegenheit so diffizil. Die SVP muss mindestens einen Kandidaten oder eine Kandidatin finden, die breit akzeptiert ist. Gelingt ihr dies nicht, geht sie das Risiko ein, dass am Wahltag doch ein Nichtnominierter den Hut in den Ring wirft. Das Szenario von 2007 würde sich wiederholen – nicht trotz, sondern wegen der geänderten Statuten.

Krawallmacher chancenlos
All das spricht klar gegen umstrittene Persönlichkeiten wie Thomas Aeschi oder Roger Köppel. Sie mögen als Nationalräte hervorragende Wahlergebnisse einfahren, für das Bundesratsamt bieten sie jedoch zu viel Konfliktpotenzial. Deutlich besser stehen die Chancen für gemässigte Kandidaten wie etwa den eingangs genannten Albert Rösti – jedenfalls dann, wenn sie von der eigenen Bundeshausfraktion vorgeschlagen werden.


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