Covid-19 im Frutigland – ambulant behandelt
09.06.2020 Coronavirus, Gesellschaft, Gesundheit, RegionMEDIZIN TEIL 1 Das Coronavirus hat im Rahmen seiner Ausbreitung auch das Frutigland gestreift und gewisse Spuren hinterlassen. Der Versuch einer vorläufigen Bilanz aus Sicht des nicht mehr berufsaktiven Arztes Heinz Fahrer.
Um die Jahreswende 2019/2020 traten erste Fälle ...
MEDIZIN TEIL 1 Das Coronavirus hat im Rahmen seiner Ausbreitung auch das Frutigland gestreift und gewisse Spuren hinterlassen. Der Versuch einer vorläufigen Bilanz aus Sicht des nicht mehr berufsaktiven Arztes Heinz Fahrer.
Um die Jahreswende 2019/2020 traten erste Fälle einer unbekannten Erkrankung in der chinesischen Millionenstadt Wuhan auf. Das Bild wirkte eher aggressiver als übliche Grippewellen, vor allem durch oft damit verbundene Lungenentzündungen, die nicht selten gerade bei alten Patienten trotz intensiver Beatmungsbemühungen zum Tod führten. Man identifizierte das Virus Sars CoV-2 als Verursacher, einen bisher unbekannten Angehörigen der Coronavirus-Familie. Sars 1, ebenfalls ein Coronavirus, hatte vor einigen Jahren die Menschheit bereits ähnlich erschreckt. Zum Glück liess es sich aber rasch eindämmen und wurde nicht zum globalen Problem. Dies war nun hingegen der Fall bei der neuen Erkrankung: Covid-19 konnte sich durch den internationalen Tourismus und die Eigenschaft, dass Symptome oft überhaupt nicht oder erst mehrere Tage nach der Ansteckung auftreten und es so viele unerkannte Virusträger gibt, rasch über den ganzen Erdball ausbreiten. Die medizinische Situation löste in praktisch allen Ländern der Erde Abwehrmassnahmen durch verstärkte persönliche Hygienebemühungen wie Händewaschen, Distanzhalten (Social oder Physical Distancing) und zweiwöchige Quarantäne bei gesicherter Erkrankung aus, praktisch alle Lebensbereiche wurden durch staatliche Verordnungen eingeschränkt.
Familie Kursawe hat sich erholt
Was liegt näher, wenn man sich ein konkretes Bild über die aktuelle Pandemie machen will, als mit Personen zu sprechen, die davon direkt betroffen waren? Sarah (40) und Knut (50) Kursawe wohnen im Tal und haben Covid-19 hinter sich. Sie erklären sich ohne Weiteres bereit, über das Erlebte zu berichten, vor allem auch, wie Knut Kursawe betont, um vielleicht mithelfen zu können, den Leuten etwas von ihrer zu grossen Angst zu nehmen. Das hänge zum Teil mit ungenügender Information über das Coronavirus zusammen. Das Ehepaar führt das schmucke «Guesthouse Alive» in Adelboden, und das «alive» (= lebendig) glaubt man den beiden, der Sportphysiotherapeutin und dem erfahrenen Behindertenund Blindentrainer, auch nach durchgemachter Erkrankung aufs Wort. Beide erkrankten früh im Ablauf der Pandemie, vermutlich angesteckt von einem britischen Mitarbeiter. Als dieser plötzlich allgemein zu kränkeln begann, auch über gestörten Geschmackssinn klagte, reagierten sie rasch und organisierten, solange das noch gerade möglich war, seinen Heimflug auf die Insel. Dort steckte er prompt seine ganze Famile an – ob mit oder ohne Hygienemassnahmen, das ist nicht bekannt.
Zuerst erwischte es danach Knut Kursawe, einige Tage später Sarah, ihn stärker, sie deutlich weniger. Während rund einer Woche fühlte er sich sehr schlapp, zwar ohne Fieber, aber mit starkem Husten und Atemnot schon bei kleinen Anstrengungen. So wurde für ihn, den trainierten Sportler, schon das Ersteigen von drei Stockwerken im Haus plötzlich mühsam. Für Sarah Kursawe blieb es bei geringeren Symptomen wie bei einer Erkältungskrankheit, aber ohne Zeichen von Atemnot. Diese erforderte auch bei Knut Kursawe keine Beatmungsmassnahmen. Nach rund einer Woche waren die Hauptsymptome bei ihm vorbei, er begann zwei, drei Tage später schon wieder, etwas zu trainieren. Sarah erholte sich noch rascher. Bei ihren zwei Kindern traten nicht die geringsten Krankheitszeichen auf, obschon der Zwei-Meter-Abstand zu ihnen wohl oft unterschritten werden musste.
Erst Abstrichtest, dann Antikörpertest
Interessant ist übrigens, dass sich das Bundesamt für Gesundheit nie zum konkreten Verhalten innerhalb von Familien äusserte, nur zur Beziehung Grosseltern
– Kinder, aber dies auch eher widersprüchlich. Gefragt, wie er seine Krankheit etwa im Vergleich zu einer gewöhnlichen Grippe empfunden habe, meint Knut Kursawe, dass er eine klassische Grippe noch gar nie gehabt habe und dies deshalb nicht beantworten könne. Der Abstrichtest aus dem Nasen-Rachen-Raum war bei beiden positiv auf das Virus. Einige Zeit später wurde bei ihnen noch ein Antikörpertest im Blut gemacht. Bei Sarah wies dieser interessanterweise deutlich stärker auf die durchgemachte Infektion hin: Bei ihr wurden mehr Abwehrstoffe des Organismus gefunden. Ihr Arzt meinte dazu, nun dürften sie nach Wiedereröffnung ihres Guesthouse und der sporttherapeutischen Praxis von Sarah mit Recht darauf hinweisen, dass sie nun gegen die Krankheit geschützt seien (ob dies wirklich zutrifft, weiss man allerdings noch nicht mit völliger Sicherheit). Jedenfalls fühlen sie sich wenige Wochen nach diesem Leiden, das sie gelassen und undramatisch akzeptierten, wieder voll leistungsfähig.
Zu den ganzen Abläufen um die Pandemie äussert Knut Kursawe noch, dass er die Informationen des Bundesexperten Daniel Koch wegen ihrer Unaufgeregtheit gut gefunden habe, dass der Umgang der Behörde mit der ganzen Maskenfrage aber unehrlich gewesen sei: Die Masken wurden vorerst als unwirksam oder gar schädlich bezeichnet, weil sie schlicht fehlten, was man nicht eingestehen wollte. Jetzt empfehle man sie zunehmend, genau gleich in seinem Herkunftsland Deutschland, wo sie sogar obligatorisch geworden seien.
Die Perspektive des Dorfarztes
Der Weg führt weiter in die Praxis des Allgemeinpraktikers Dr. med. Walter Bleisch, um seine Sicht des Geschehens in der Region Adelboden zu vernehmen. Er empfängt den Autor ohne Maske und mit einer kurzen, entschiedenen Geste, die unausgesprochen ausdrückt: «Hallo, Kollege, die Sache ist wohl hinter uns!» Es gab hier, wie er berichtet, um die 20 Fälle, die er und sein Arztkollege im Dorf durchwegs ambulant, zum Teil mit Hausbesuchen, begleiten konnten. Spitaleinweisungen aus Adelboden waren nur deren zwei notwendig, und Tote waren zum Glück keine zu beklagen. Es waren auch keine ernsten Fälle in Altersheimen zu verzeichnen, obschon der Altersschnitt der Erkrankten bei über 80 Jahren lag. Kinder? Auch sie verspürten hier seines Wissens nichts von Covid-19. Das notwendige Testmaterial erhielt er anfangs allerdings nur sehr beschränkt, berichtet Bleisch. Indem im Abstrich aus dem Nasen-Rachen-Raum Virusbestandteile nachgewiesen werden, kann bekanntlich die vermutete Diagnose bestätigt werden (= positiver Test, und «positiv» meint hier natürlich, wie oft in der Medizin, eigentlich negativ).
Hauptsymptome bei den rund 20 Betroffenen waren Gliederschmerzen, Fieber und Husten, oft begleitet von einer starken Atemnot. Dies deckte sich auch mit auf Röntgenbildern sichtbaren entzündlichen Verdichtungen in den Lungenflügeln. Im Gegensatz zu dem in den Medien meist berichteten typischen Krankheitsablauf von 10 bis 14 Tagen dauerte dieser bei ernsteren Fällen gute drei Wochen.
Bei Patienten mit ausgeprägter Atemnot war zum Teil eine Beatmung mit erhöhter Sauerstoffzufuhr notwendig. Dies geschah aber nicht wie bei den ganz schweren Fällen auf den Intensivstationen, durch Schlaucheinlage unter Narkose in die Luftröhre, sondern mittels Gesichtsmaske. Dabei kommt der Sauerstoff bei den dafür notwendigen, von der Lungenliga gelieferten Geräten nicht aus klassischen Sauerstoffflaschen, die sich rasch leeren und ausgewechselt werden müssen, sondern kann mittels Druckkompression unserer gewöhnlichen Luft (die ja bekanntlich 20 Prozent Sauerstoff enthält) gewonnen werden. Mit dieser Methode liess sich in allen Fällen mit einer eher niedrigen Zugabe an gewonnenem Sauerstoff (etwa zwei bis drei Liter pro Minute) zur Atemluft eine rasche Verbesserung des Sauerstoffgehalts im Blut erzielen, was ja das lebenserhaltende Ziel ist. Zusätzlich waren meist auch schmerzlindernde und angstlösende Medikamente nötig – Angst sei überhaupt eine wesentliche Komponente des ganzen Erkrankungsgeschehens, meint Dr. Bleisch.
Weniger den Doktor aufgesucht
Bezüglich Ansteckungsgefahr des Virus kann Dr. Bleisch angesichts der eher kleinen Fallzahl in der Region nicht konkrete Thesen äussern. Auffällig war für ihn auf jeden Fall, dass selbst in Familien mit einzelnen Kranken dies keinesfalls auch Übertragung auf die restlichen Familienmitglieder bedeuten musste. Er selbst wie auch sein Praxispersonal blieben während der ganzen Phase ohne alle Symptome. Ein Nachweis auf Antikörper gegen das Virus im Blut (die zweite, zur Zeit noch bei verschiedenen Firmen in Entwicklung begriffene Testmethode) war bei ihm wie auch seinen Mitarbeiterinnen wiederholt negativ, also ohne Beleg für eine erfolgte Ansteckung.
Seine Belastung sei in der aktuellen Pandemiephase nicht wesentlich anders gewesen als bei früheren Grippewellen. Gelegentliche Ausbrüche des im Darm wirksamen Norovirus im Altersheim verliefen kurzfristig oft sogar eher hektischer. Der sogenannte Lockdown durch die Behörden führte auch für seine Praxis zu einem Rückgang des Betriebs von etwa 50 Prozent. Dies muss bedeuten, dass Kranke auch mit anderen Problemen in dieser Zeit offensichtlich weniger den Doktor aufsuchten. Zur Informationspolitik durch die Behörden, insbesondere das führende Bundesamt für Gesundheit, äussert sich Dr. Bleisch teilweise kritisch. Diese sei nicht immer brauchbar gewesen und hätte mitgeholfen, «Rummel» und eine gewisse «Hysterie» zu entfachen, die beim medizinischen Problem von Covid-19 an sich nicht angemessen seien.
HEINZ FAHRER, REICHENBACH
In einer der nächsten Ausgaben folgt Teil 2 von Heinz Fahrers Bilanz: Dort wird sich unter anderem Dr. Marco Negri, Chefarzt Innere Medizin am Spital Frutigen, zur Lage in der Region äussern.