«Ich bin zwar Berufsoptimist, warne aber vor Euphorie»

  04.08.2020 Frutigen, Kandersteg, Adelboden, Wirtschaft, Tourismus

INTERVIEW Der Oberländer Tourismus hat einen rekordverdächtigen Juli hinter sich. Urs Pfenninger, Direktor der Destination Adelboden-Lenk-Kandersteg, erklärt, weshalb das noch nicht reicht – und warum das Jahr zumindest fürs Tal doch noch gut enden könnte.

«Frutigländer»: Herr Pfenninger, im Frühling herrschten auch im regionalen Tourismus Existenzängste. Nun zeigt sich: Volle Unterkünfte, volle Bahnen, volle Berge – der Branche geht es blendend. War die Furcht voreilig?
Urs Pfenninger:
Sicher nicht. Man hatte zu diesem Zeitpunkt schlicht keine Ahnung, was noch auf uns zukommen würde. Eine solch umfassende Krise war für alle neu.

Die Lage hat sich dann aber schneller gebessert als erwartet …
Das ist richtig. Die Monate März bis Mai und teilweise auch der Juni rissen grosse Löcher in die Kassen. Der Juli zeigt nun aber eine enorme Steigerung. Die offiziellen Zahlen liegen zwar noch nicht vor. Die Umsätze dürften teils aber 30 Prozent über jenen des Vorjahres liegen, Profiteure sind sowohl die Unterkünfte wie auch die Bahnen und die Gastronomie. Es gibt bestimmt Leute, die nun sagen können: best july ever. Diese Entwicklung gilt aber vor allem fürs Oberland. Städte wie Bern leiden nach wie vor.

Folgt im Oberland am Ende gar noch das «best year ever?»
Ich bin zwar Berufsoptimist, warne aber vor Euphorie. Zu erwähnen ist etwa, dass das Seminar- und Gruppenhausgeschäft darniederliegt. Eine Pandemie, so sagt man zudem, geht drei Mal um die Welt. Es wäre naiv zu glauben, dass es einfach so weitergeht wie im Juli. Wenn wir aber einmal davon ausgehen, dass es nicht wieder zu massiven Verschärfungen der Covid-Massnahmenn kommt, wäre eine Jahresbilanz im Rahmen von 2019 schon möglich.

Das bedeutet, dass die Schweizer den lahmenden internationalen Tourismus kompensieren können. Was tut man nun, um die Gäste zu halten?
Schweizer machen gerade bei uns im Tal ohnehin den grössten Anteil aus. In Kandersteg beträgt dieser rund 60, in Adelboden sogar 70 Prozent. Unser bisheriges Marketing zielt im Wesentlichen auf diese Gästegruppe, der EU-Raum und vor allem ausgewählte asiatische Länder machen einen vergleichsweise sehr kleinen Teil aus. Natürlich hoffen wir, dass uns das Jahr langfristig noch etwas mehr Schweizer Touristen beschert. Unsere ganze Marketingstrategie umkrempeln werden wir aber nicht. Wir konzentrieren uns ab dem Raum Bern in Richtung Basel, Freiburg und Solothurn. Regionen wie Zürich oder Genf sparen wir aber nach wie vor aus.

Die regionale Marketingoffensive der Volkswirtschaft Berner Oberland kostet rund 100 000 Franken. Waren die Aufwände generell höher als in normalen Zeiten?
Nein, sie bewegen sich im üblichen Rahmen.

Und was nützen solche Aktionen?
Bemerkenswert an der Kampagne war das Zusammenrücken der Oberländer Destinationen und Leistungsträger. Das konnte beispielsweise den bestehenden Regionalpass beflügeln, sodass künftig wohl alle Bergbahnen voll integriert sind.

Aber zieht die Aktion auch wirklich Leute in die Region?
Natürlich kann man immer sagen, dass die meisten Gäste heuer auch ohne Marketingaktion kommen würden. Andererseits ist es wichtig, ein bestimmtes Bild in die Welt hinauszutragen. Wir bieten qualitativ hochwertige Angebote, viel Authentizität und einmalige Naturerlebnisse. Diese Botschaft soll in der Öffentlichkeit verankert werden.

Das tönt alles nicht sehr spezifisch.
Eine Destination sollte immer breit aufgestellt sein, das macht sie krisenresistent. In der aktuellen Situation kommt uns das enorm zugute. Sehr spezifisch portieren wir übrigens Wandern, Biken und auch die zahlreichen Wassererlebnisse.

«Dream now – travel later» lautete der Slogan von Schweiz Tourismus im Frühling. Die Destination Adelboden-Lenk-Kandersteg lancierte kürzlich ihre Kampagne «FeelThe-Love». Weshalb wirbt man eigentlich auf Englisch, wenn die Zielgruppe doch die Schweizer sind?
Die Botschaften sind sehr einfach gehalten, sodass sie von den allermeisten Leuten verstanden werden. Und natürlich soll unsere Kampagne später auch international verwendet werden können.

Was kann die TALK AG letztlich aus der Krise mitnehmen?
Das Oberland ist in den vergangenen Monaten zusammengerückt, das ist sehr wertvoll. Im Bereich modernes Arbeiten machten wir zudem einen Quantensprung: Homeoffice oder Videokonferenzen kamen vermehrt zum Einsatz, wir möchten einiges davon unbedingt beibehalten. Ansonsten fühlen wir uns im zuvor festgelegten Kurs bestätigt. Bislang meistern wir die Situation gar nicht schlecht.

Stichwort «zusammenrücken»: Wie läuft die Kooperation mit Lenk-Simmental Tourismus? Die Organisation will ja nicht Teil der Destination sein …
Mit den lokalen Leistungsträgern läuft die Zusammenarbeit sehr gut. Die Tourismusorganisation binden wir so gut wie möglich in unsere Arbeit mit ein. Wir halten ihr alle Möglichkeiten offen.

Das tönt fast so, als fände die Trennung bloss auf dem Papier statt.
Nicht ganz. Es gibt durchaus Synergien, die nicht genutzt werden, wie beispielsweise im Finanz- und Personalwesen. Auch das Betreiben eigener Werbekampagnen bindet unnötig Ressourcen.

Aber bewegt sich da etwas zwischen den Fronten?
Eine gewisse Blockade ist da. Nun versuchen wir einfach weiterhin, die Arme offenzuhalten und uns in Geduld zu üben.

INTERVIEW JULIAN ZAHND


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