SCHLUSSPUNKT – Frau im 21. Jahrhundert

  16.07.2021 Kolumne

FRAU IM 21. JAHRHUNDERT

Frau spaziert tagsüber in einem gewöhnlichen T-Shirt durch Berns Altstadt. Fremder Mann murmelt im Vorbeigehen, Frau solle gefälligst einen BH tragen. Frau dreht sich irritiert um, doch da ist der Mann schon weg.

Frau geht an ein Reitfest in Kandersteg. Beruflich. Fremder Mann 1 ruft: «Trinkst du ein Bier mit uns?» Frau will nicht arrogant wirken und mag Bier. Also willigt sie ein, einen kleinen Becher mitzutrinken. Grosser Hund von Mann 1 springt Frau an und hinterlässt lauter schlammige Pfotenabdrücke auf Jacke und Shirt. Mann 1 verhindert dies nicht, entschuldigt sich auch nicht, sondern grinst. Sagt: «Guck, der mag dich auch!» Frau nimmts gelassen und unterhält sich. Beantwortet Fragen über ihren Wohnort und Beziehungsstatus und lacht über Sprüche, die sie eigentlich nicht so witzig findet. Frau will immer noch nicht arrogant wirken. Mann 1 betont, dass er noch einen Schlafplatz in seinem Haus habe. Und sagt: «Wenn ich nicht verheiratet wäre, wärst du meine Nummer 1.» Frau erwidert (noch immer gequält lächelnd): «Hätte ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden?» Irgendwann stellt fremder Mann 2 fest: «Ich würde ja gern beim Reiten mitmachen, hab aber kein Pferd. Du kannst dich ja bücken – dann hätte ich eins.»
Frau ist sprachlos. Tut so, als hätte sie das nicht gehört. Und bleibt nett zu den fremden Männern, weil sie ja gerade irgendwie die Lokalzeitung repräsentiert und diese nicht in Verruf bringen will. Frau sagt stattdessen: «Ich muss jetzt weiterarbeiten», bedankt sich für das Bier und flieht in schmutzigen Klamotten vom Fest.

Frau ist an einer Familienfeier in der norddeutschen Heimat. Schwager gibt ihr einen Klaps auf den Hintern. Als sie ihn zur Rede stellt und erklärt, warum man so etwas nicht macht, reagiert er beleidigt. Schwager kommt den ganzen Abend nicht mehr über die «Frechheit» der Frau hinweg und fragt andere Männer, ob ein Klaps auf den Hintern denn wirklich so schlimm sei. Nur sein damals 17-jähriger Sohn sagt: «Ja.»

Dieser Text braucht keine sprachlichen Kunstgriffe und keine Pointe. Er ist sowieso nie fertig.

FRAU

B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH


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