«Mancherorts fehlt das Verständnis für den Wert von Kultur»

  31.05.2022 Kultur

Der gebürtige Frutiger Christoph Trummer ist vor allem als Musiker bekannt. Seit Langem ist er aber auch kulturpolitisch aktiv, zuletzt bei Sonart, einem Verband, der die Musikschaffenden in der Schweiz vertritt. Nach herausfordernden Monaten hat Trummer diese Anstellung nun aufgegeben. Im Rückblick erzählt er, warum der Zeitpunkt für den Ausstieg gekommen war, wie Kulturschaffende die Pandemie überstanden haben und was er von der Abstimmung über das Filmgesetz hält.

Christoph Trummer, bis Ende März waren Sie «einer der wichtigsten Kulturlobbyisten der Schweiz» – so hat es Sonart in einer Medienmitteilung formuliert. Nehmen wir die Bezeichnung einmal auseinander. Was ist für Sie Kultur?
Kultur ist alles, was mit künstlerischen Mitteln umgesetzt wird, ganz gleich, ob das professionelle Kulturschaffende tun oder Laien. Die Qualität ist dafür kein entscheidendes Merkmal.

Sondern?
Qualität ist sehr subjektiv. Die Frage ist eher, ob man davon leben kann. Ob das Kulturschaffen eine Freizeitleidenschaft ist oder zum Beruf wird, hängt je nach Bereich von vielen Faktoren ab. In der Musik im Bereich Pop / Rock bestimmt das im Wesentlichen der Markt. In der Klassik hingegen braucht es fast zwingend ein Musikstudium, und die Arbeitssituation hängt kaum vom Markt, aber stark von der Kulturförderung ab.

Und wenn es ums Geld geht, wie während der Pandemie – was ist dann der entscheidende Faktor?
Wer im Kulturbereich Unterstützung erhalten soll, ist tatsächlich eine schwierige Frage. Aus meiner Sicht macht es Sinn, dass finanzielle Hilfen daran geknüpft sind, ob jemand von seinem Kulturschaffen lebt, ob es also zumindest teilweise sein Beruf ist. Die Unterstützungsgelder waren ja keine Kulturförderung an sich, sondern verschiedene Formen von Erwerbsersatz und Strukturerhalt.

Damit sind wir beim zweiten Teil des Begriffs. Lobbyismus – das scheint nicht so recht zum Kulturbetrieb zu passen.
Das liegt daran, dass politischer Lobbyismus einen schlechten Ruf hat und manchmal fast in die Nähe der Korruption gerückt wird. Ich selbst halte Lobbyarbeit für eine zwingende Begleiterscheinung unseres politischen Systems. Wenn ich mir anschaue, welche Papierstapel Parlamentsmitglieder vor einer einzigen Sitzung durcharbeiten sollen, ist für mich völlig klar: Diese Leute können nicht in jedem Bereich gleich viel Ahnung haben. Unmöglich. Wenn man ihnen also die Wichtigkeit bestimmter Themen klarmachen möchte, braucht es quasi Übersetzungsarbeit …

… die dann von Lobbyisten geleistet wird.
Genau. Man muss miteinander reden, muss erklären, die eigene Situation beschreiben – übrigens auch umgekehrt. Die Politik muss Kulturschaffenden manchmal auch verdeutlichen, wie die Prozesse im Parlament ablaufen und wie lange sie unter Umständen dauern. Solange dieser gegenseitige Austausch ehrlich geschieht, halte ich ihn für eine sinnvolle und nötige Sache.

Manche Lobbyisten laden Parlamentarier zu teuren Essen ein oder verteilen wertvolle Geschenke ...
Ja, und solche Fälle begründen den schlechten Ruf, von dem ich eben sprach. Ich habe immer gewitzelt, ich sei der billigste Lobbyist der Schweiz. Ich hatte bei Sonart eine 30-Prozent-Stelle mit einem überschaubaren Gehalt. Viel mehr als reden und erklären war da nicht möglich.

Politische Einflussnahme hängt auch davon ab, ob eine Branche geschlossen auftritt. Hat die Pandemie dazu beigetragen, die Kulturszene zu einen und Interessen zu bündeln?
Aus meiner Sicht eindeutig. Es wurde deutlich, wer da alles im selben Boot sitzt. Es ging ja zum Beispiel nicht nur um die Kulturschaffenden, sondern auch um die Veranstalter, die unsere Events erst ermöglichen. Die Kulturbranche hatte nun auf nationaler Ebene ein gemeinsames Thema und eine breite Allianz. Das war vor der Pandemie weniger der Fall.

Das lag vielleicht auch daran, dass der Bund normalerweise nicht die erste Anlaufstelle für kulturelle Angelegenheiten ist.
Richtig, Kulturpolitik ist meistens nicht national. Die Förderung etwa ist überwiegend Sache der Kantone und der Kommunen. Die Kulturbranche wird jedoch von anderen Bereichen der nationalen Politik beeinflusst. Vor allem Medienpolitik, Digitalisierung und Urheberrecht tangieren uns stark. Und die Sozialpolitik ist natürlich ebenfalls Sache des nationalen Parlaments. Die prekäre Situation vieler Kulturschaffender und -betriebe ist dank Corona ins Bewusstsein gerückt worden und da werden wir dranbleiben – und die neue Allianz wird in Zukunft hoffentlich auch bei anderen Themen spielen.

Sie sind nun – nach knapp 10 Jahren – aus der unmittelbaren politischen Arbeit ausgestiegen. Gab es dafür einen bestimmten Grund oder Anlass? Oder war es einfach mal Zeit?
Der Hauptgrund für meinen Ausstieg ist ein persönlicher. Wir haben ein zweites Kind bekommen, und es war zuletzt immer schwieriger, den Familienalltag zu organisieren. Ich hatte ja immer mehrere Eisen im Feuer. Als Musiker arbeite ich vor allem projektorientiert. Da ist man mal für ein paar Wochen völlig absorbiert und hat erst dann wieder einen freien Kopf. Daneben hatte ich aber diese Festanstellung bei Sonart, und vor allem dieser Bereich meiner Arbeit war zuletzt nicht mehr so richtig kompatibel mit dem Rest.

Die Pandemie spielte bei dem Entschluss keine Rolle?
Die Belastung durch meine politische Arbeit war natürlich während der letzten zwei Jahre hoch. Zeitweise habe ich deutlich mehr gearbeitet als meine offiziellen 30 Prozent, weil politische Prozesse häufig nicht bis nächste Woche warten können. Und ich habe zuletzt gemerkt, dass ich die Dinge nicht mehr mit dem gleichen Feuer angehe wie zu Beginn. Insofern war jetzt der Zeitpunkt gekommen, meinen Posten an eine kompetente Kollegin mit mehr Kapazität zu übergeben. Aber ganz raus bin ich ja nicht aus der Verbandsarbeit: Ich gehöre weiterhin dem Vorstand von Sonart an und habe auch andere Mandate noch behalten, einfach ohne Festanstellung und permanente Präsenzpflicht. Das eröffnet mir neue Freiräume, gerade auch als Künstler.

In einem Interview vor etwas mehr als einem Jahr haben Sie die Befürchtung geäussert, im Kulturbetrieb werde es nach der Pandemie «auf vielen Ebenen weniger geben». Ist diese Prognose eingetreten?
Nein, die schlimmsten Befürchtungen haben sich zum Glück nicht bewahrheitet. Es gibt sicher bedauerliche Beispiele, aber dank der staatlichen Unterstützungsmassnahmen konnte das meiste wohl gerettet werden. Ich glaube auch, dass im Parlament in dieser Hinsicht eine Sensibilisierung stattgefunden hat.

Also ist die Corona-Pandemie für die Kulturbranche kein Thema mehr?
Ganz so positiv kann ich es nicht sehen. Viele Leute sind nach zwei Jahren Hoffen und Bangen einfach müde. Das Publikum kommt nicht mehr wie vorher. Kleinere Anlässe, die keine Selbstläufer sind, müssen aktuell noch häufig abgesagt werden. Es ist im Kulturbereich zudem etwas anders als in vielen anderen Branchen. Wir haben lange Vorlaufzeiten und müssen Auftritte und Anlässe erst einmal planen, wir können also nicht alles einfach wieder hochfahren.

Der Bund scheint das erkannt zu haben: Die Ausfallentschädigungen für Kulturschaffende wurden bis Ende Juni 2022 verlängert. Genügt diese Massnahme, um den Neustart der Branche abzusichern?
Das ist schwierig abzuschätzen. Ich verstehe, dass irgendwann mal Schluss sein muss mit der staatlichen Unterstützung. Die Verlängerung bis Ende Juni wäre sicher sinnvoll – nur dass der Kanton Bern, wie einige andere Kantone, da nicht mitzieht.

Wie kommt das?
Die Ausfallentschädigung ist subsidiär geregelt. Das heisst: Wenn vom Kanton nichts kommt, entfällt auch die Hilfe des Bundes.

Das führt uns zu der Frage, ob Kultur in der öffentlichen Wahrnehmung genug wertgeschätzt wird. Kürzlich wurde über das Filmgesetz abgestimmt, von dem letztlich ja auch Kulturschaffende betroffen sind. Viele Gemeinden im Frutigland haben das Gesetz deutlich abgelehnt. Was glauben Sie: Enthalten solche Ergebnisse eine Botschaft?
(überlegt) Ja, ich denke schon. In meinen Augen fehlt mancherorts das Verständnis für die Bedeutung und den Wert von Kultur.

Können Sie das näher erläutern?
Was viele nicht sehen: Eine kulturell inspirierte Gesellschaft bereichert den Alltag auch für jene, die Kultur selbst nicht konsumieren. Das ist wie mit der Bildung. Nicht alle lernen dasselbe oder gleich viel. Aber es ist für alle gut, wenn es sowohl gute Ärztinnen als auch kompetente Bauleute gibt.

Wie könnte man die Wertschätzung für die Kultur erhöhen?
Das ist für mich klar eine Bildungsaufgabe. Kulturelle Bildung, künstlerische Perspektiven auf die Welt und das Leben müssen schon in der Grundschule einen höheren Stellenwert bekommen – und zwar der künstlerische Ausdruck und sein Verständnis an sich, nicht nur eine bestimmte Technik wie Gesang oder Zeichnen.

Beim Filmgesetz haben gerade auch die Jüngeren Nein gesagt.
Angeblich, weil sie die Sorge hatten, am Ende mehr bezahlen zu müssen. Das ist bezeichnend für die Generation, die schon mit dem Internet aufgewachsen ist: Es ist ja alles schon vorhanden und jederzeit abrufbar. Dass irgendwer das Angebot erst mal erstellt haben muss, dass damit Investitionen und Arbeit verbunden sind – dafür fehlt vielfach das Bewusstsein.

Ein Trend, der auch den klassischen Medien zu schaffen macht.
Wir haben es – nicht nur – in der Schweiz verpasst, solche Nebeneffekte der Digitalisierung ausreichend zu berücksichtigen. Das sieht man unter anderem beim Urheberrecht, das hierzulande immer noch schwach ausgeprägt ist.

Auf der politischen Bühne ist schon die nächste Initiative in Vorbereitung, die den Kultursektor betrifft: Die Gelder für die SRG sollen halbiert werden. Eine Gefahr für die Kultur?
Das ist in der Branche tatsächlich ein grosses Thema. Die SRG hat eine noch relativ neue Direktion, und die muss sparen. Natürlich ist unsere Befürchtung, dass das auch zulasten der Kultur gehen wird. Im Gegensatz zu privaten Medien hat die SRG zwar einen Kulturauftrag, aber um den erfüllen zu können, braucht sie eben finanzielle Mittel. Mit Blick auf die «Halbierungsinitiative» werden wir sicher das Gespräch suchen und mit der SRG zusammenarbeiten. Wir werden uns wehren.

Zum Abschluss weg vom Politischen und zurück zu Trummer: Welche Projekte stehen bei Ihnen als Nächstes an?
Zuerst einmal Ferien mit der Familie. Anfang Juli bin ich dann als Programmleiter am Openair Kiental, das seinen 20. Geburtstag feiert. Meine eigene künstlerische Arbeit werde ich im Sommer wieder aufnehmen, und ich freue mich, dafür eine grössere Beweglichkeit zu haben als in den vergangenen Jahren.

INTERVIEW: MARK POLLMEIER

Christoph Trummers Künstler-Website finden Sie unter trummeronline.ch


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