Betreuende Angehörige – die Politik ist gefordert
31.10.2025 PolitikIm Jahr 2012 hat der Kanton Waadt den Tag der betreuenden Angehörigen ins Leben gerufen. Inzwischen sind zehn Kantone in die Organisation involviert, darunter auch der Kanton Bern. Doch es braucht weit mehr als nur Sichtbarkeit und Wertschätzung der betreuenden Angehörigen. ...
Im Jahr 2012 hat der Kanton Waadt den Tag der betreuenden Angehörigen ins Leben gerufen. Inzwischen sind zehn Kantone in die Organisation involviert, darunter auch der Kanton Bern. Doch es braucht weit mehr als nur Sichtbarkeit und Wertschätzung der betreuenden Angehörigen. Denn schon in zehn Jahren wird sich die Anzahl der Menschen über 80 mehr als verdoppelt haben.
RACHEL HONEGGER
Gestern wurde auf die Wichtigkeit des Engagements von betreuenden und pflegenden Angehörigen hingewiesen. Erst seit letztem Jahr gilt der 30. Oktober schweizweit als nationaler Tag der betreuenden Angehörigen. In dessen Rahmen forderten verschiedene Stimmen zukunftsorientierte Lösungen.
Der grösste Pflegedienst der Schweiz
Schon heute investieren rund 600 000 betreuende Angehörige rund 64 Millionen Stunden in die Pflege und Betreuung ihrer Liebsten. Dies entspricht einem monetären Wert von rund 3,71 Milliarden Franken pro Jahr. Man spricht deswegen in Fachkreisen auch vom «grössten Pflegedienst der Schweiz». Betrachtet man die demografische Entwicklung, sieht es düster aus. Laut Stefan Knobel, Initiant der Werkstatt LQ – Die Lernwerkstatt für pflegende Angehörige, wird es in zehn Jahren 60 Prozent mehr Menschen im Alter von über 80 Jahren geben als heute, wie er gegenüber dem Einsiedler Anzeiger erklärte. In den nächsten 20 Jahren soll diese Altersgruppe sogar um 190 Prozent anwachsen. Des Weiteren müssen durch die gesellschaftliche Entwicklung immer mehr Personen ihre Erwerbsarbeit und die Betreuung oder Pflege von Angehörigen unter einen Hut bringen. Bei dieser Vereinbarkeit hilft das sogenannte Erwerbsmodell der Angehörigenpflege. Dabei dürfen private und öffentliche Spitex-Organisationen pflegende Angehörige anstellen. Seit einem Bundesgerichtsurteil von 2019 gilt dies auch für Personen ohne pflegerische Grundausbildung. Die Kosten werden dabei von den Spitex-Organisationen und den Krankenversicherungen gedeckt; die Unternehmen benötigen eine Zulassung des Kantons.
Es braucht einheitliche Regeln
Auch der Bundesrat hält weiterhin an dieser Option fest, wie er in seinem Bericht «Pflegeleistungen pflegender Angehöriger im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung» von Mitte Oktober festhält. Adrian Wüthrich, Präsident des Dachverbandes «Interessengemeinschaft Angehörigenbetreuung» (IGAB), begrüsst diesen Bericht. Allerdings sei er zu wenig weitreichend. Es brauche weitere politische Diskussionen und vor allem einheitliche Richtlinien.
Dabei gehe es um die Qualitätssicherung, aber auch um eine einheitliche Definition der betreuenden Angehörigen. «Angesichts der raschen Entwicklung des neuen Versorgungsmodells muss ein nationales Regelwerk die Praxis regeln.» Der Bericht des Bundesrates gehe nicht auf diese zentrale Forderung der IGAB ein. Er akzeptiere zwar, dass eine einheitliche Definition der betreuenden Angehörigen notwendig sei, jedoch nur zu statistischen Zwecken, so Wüthrich: «Das ist sehr bedauerlich, denn so werden die unterschiedlichen Sichtweisen und Praktiken in den Kantonen weiterhin bestehen. Das ist ein Nachteil für die Gleichbehandlung.»
Schwarze Schafe sind die Ausnahme
Natürlich gebe es vereinzelt auch schwarze Schafe unter den privaten Spitex-Organisationen, dies sei aber die Ausnahme, erklärt Wüthrich. Er hoffe, dass solche Querschläger das Modell nicht gefährden. Es sei nämlich nicht zu unterschätzen, was die Spitex-Organisationen leisten, um dieses Modell zu ermöglichen. «Sie müssen die betreuenden Angehörigen unterstützen oder bei medizinischen Fragen rund um die Uhr beraten. Auch müssen sie Pflegepersonal stellen, damit die Angehörigen Ferien und Freitage beziehen können. All dies kostet. Diese Unternehmen sind gefordert.»
