RICHTIG ODER FALSCH? Das Jahr beginnt dunkel und trist – oder doch nicht?

  04.01.2023 Gesellschaft

Dieser Tage ist wieder viel vom Januarloch die Rede, jener «toten» Zeit, die uns nach dem Dezembertrubel angeblich ereilen soll. Doch womöglich können oder wollen wir uns solche Pausen gar nicht mehr leisten.

MARK POLLMEIER
Seit der Wintersonnenwende am 21. Dezember soll es ja angeblich wieder aufwärts gehen: mehr Licht, bessere Laune, mit Optimismus ins neue Jahr! Wie, Sie merken gar nichts davon? Das könnte am Januarloch liegen. Besser gesagt: An einem der Januarlöcher, denn anscheinend gibt es mehrere davon, je nach Blickwinkel.

Ebbe in der Kasse
Der Dezember ist traditionell ein «ausgabenintensiver» Monat. Weihnachtsgeschenke, Skipässe, Winterbekleidung, gutes Essen, der eine oder andere (Glüh-) Wein, nicht zu vergessen die gestiegenen Energiepreise – da kommt schon einiges zusammen. Und im neuen Jahr werden gleich schon wieder die nächsten Rechnungen fällig.

Wo das erste Januarloch klafft, kann man sich also denken: im Portemonnaie. Selbst wer sich über ein 13. Monatsgehalt freuen konnte, muss nun vielleicht den Gürtel enger schnallen.

Harter Verzicht
Apropos Gürtel enger schnallen: In den Wochen vor Weihnachten und erst recht an den Festtagen wird bekanntlich mehr gegessen und mehr getrunken als im übrigen Jahr. Viele nehmen sich deshalb vor, im Januar auch kalorientechnisch kürzerzutreten. Manche versuchen, auf Alkohol zu verzichten, andere auf Fleisch oder Süsses. Und weil ohne Englisch heute nichts mehr geht, gibt es für diese guten Vorsätze natürlich auch die passenden Begriffe: Dry January, Veganuary oder Sugar Free January.
Die Sache ist nur: Auch in einer fremden Sprache macht der Verzicht nur den wenigsten Spass. Ähnlich wie das Loch in der Kasse schlägt auch das Alkohol- oder Zuckerloch eher aufs Gemüt, als dass es die Stimmung hebt.

Mieses Wetter
Dass die Tage länger werden, nimmt man zu Beginn des Jahres kaum wahr. Ganz im Gegenteil: Die Sonne macht sich rar, und wenn es dann auch noch regnet, statt zu schneien, fällt es schwer, in Aufbruchstimmung zu geraten. Eigentlich ist der Januar genau wie der dunkle Dezember – nur ohne Glühwein und Weihnachtsbeleuchtung. Ganz allgemein ist nach dem Stress der letzten Wochen weniger los. Keine Weihnachtsfeiern, keine Konzerte, kein Essen mit den Kollegen und keine Familientreffen mehr. Eigentlich könnte man froh sein, dass es nun wieder etwas ruhiger zugeht und die Normalität den Alltag zurückerobert. Aber der Mensch gewöhnt sich bekanntlich an alles, auch an den Trubel. Und wenn dann plötzlich gar nichts mehr los ist, fällt er regelrecht in ein ... ganz genau: ein Loch.

Verschnaufpause im Tourismus
Angeblich geht der Begriff Januarloch sogar auf genau dieses Phänomen zurück: auf die ungewohnte Ruhe nach den Feiertagen, die nicht zuletzt auch den Wintertourismus betrifft. Nachdem der Jahreswechsel meist noch gut gebucht war, reisen die letzten Gäste Anfang Januar ab. In Hotels, Restaurants und auf den Skipisten wird es ruhiger. Eine Art kleine Zwischensaison beginnt, die vielerorts bis zu den Sportferien andauert.
Für diese «Tourismustheorie» spricht, dass man den Begriff Januarloch zwar in der Schweiz und in Österreich kennt, er in Deutschland aber nahezu unbekannt ist. Bis vor Kurzem stand das Wort nicht einmal Duden. Mittlerweile ist es drin – mit dem Zusatz, es sei ein «schweizerischer» Begriff.

Alles nur ein Mythos?
Ob das Land zum Jahresbeginn tatsächlich in ein Loch fällt, darüber kann man natürlich streiten. Im Tourismus beispielsweise wird die Auszeit im Januar mittlerweile von allerlei Events gefüllt. In Kandersteg gibt es die Belle-Epoque-Woche, und allein die Skiorte Adelboden und Wengen locken mit den Weltcuprennen Tausende Fans an. Wenn die Bedingungen stimmen, sorgen überdies viele Tagestouristen dafür, dass Bergbahnen, Pisten und Loipen gut genutzt werden. Und weil viele Schneesportler irgendwann Hunger bekommen, profitieren auch die Restaurants. Natürlich hat sich auch der Detailhandel zur Vermeidung des Januarlochs etwas einfallen lassen. Wenn die Kunden knapp bei Kasse sind, lockt man sie eben mit Aktionen und dem Winterausverkauf in die Läden. Um die Rabatte noch besser aussehen zu lassen, werden vor den Feiertagen in vielen Branchen extra die Preise angehoben – um sie nun um so stärker senken zu können.

Auch von den zu Weihnachten vielfach verschenkten Gutscheinen profitiert der Handel zu Beginn eines Jahres, nicht zu vergessen die vielen Fitnessabos, die nun abgeschlossen werden, um den guten Vorsätzen auch Taten folgen zu lassen. Wenigstens kurzzeitig.

So gesehen scheint es das oft zitierte Januarloch gar nicht zu geben – zumindest ist es nicht so gross, wie man annehmen könnte. Und das aus gutem Grund: Kollektive Phasen des Stillstands und der Ruhe können sich moderne Gesellschaften heute offenbar gar nicht mehr leisten. Es muss immer irgendwie weitergehen. Das Januarloch ist somit eine bedrohte Art, genau wie sein grosser Bruder, das Sommerloch.


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