11 Monate bedingt für Raser

  22.03.2024 Frutigen

JUSTIZ Ein 37-jähriger Mann wurde am Freitag vom Regionalgericht Oberland im abgekürzten Verfahren für eine massive Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt. Der Fahrer war in Wengi bei Frutigen unterwegs. Zur bedingten Freiheitsstrafe kommen Verfahrenskosten in der Höhe von 2100 Franken hinzu.

PETER SCHIBLI
Der Lenker war Anfang Oktober 2023 auf der Kantonsstrasse zwischen Frutigen und Reichenbach mit einer Geschwindigkeit von über 160 km/h geblitzt und angezeigt worden. Auf dem betreffenden Strassenstück gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Laut Strafbefehl war der Fahrer nach Abzug der üblichen Toleranzmarge 75 km/h zu schnell unterwegs. Der Mann zeigte sich sofort geständig. Da er auch mit der von der Staatsanwaltschaft Oberland ausgesprochenen bedingten Freiheitsstrafe von 11 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren einverstanden war, konnte vor dem Regionalgericht Thun das abgekürzte Verfahren beschritten werden.

Im abgekürzten Verfahren wird in der Hauptverhandlung auf ein Beweisverfahren sowie auf Plädoyers der Parteien verzichtet, wenn der Beschuldigte den ihm vorgeworfenen Sachverhalt eingesteht und eventuelle Zivilansprüche zumindest im Grundsatz anerkennt. Zu seinem Schutz wird er vor Gericht zwingend von einem Anwalt oder einer Anwältin vertreten, wobei diese vom Kanton finanziert werden, falls dem Beschuldigten die Mittel dafür fehlen. Den Antrag auf ein abgekürztes Verfahren muss der Beschuldigte respektive seine Anwältin selbst stellen.

In Zukunft: «Fuss auf der Bremse»
Die gesetzlichen Voraussetzungen für ein abgekürztes Verfahren waren im vorliegenden Fall erfüllt, sodass am vergangenen Freitag die Befragung des Beschuldigten durch die Gerichtspräsidentin kurz ausfiel. Der Angeklagte bestätigte den Sachverhalt und gab zu verstehen, dass er sich bewusst sei, im Wiederholungsfall eine unbedingte Gefängnisstrafe antreten zu müssen. Auf Nachfrage der Gerichtspräsidentin bestätigte der Mann, dass er seinen Job wegen des Vorfalls nicht verloren habe und dass er die verkehrspsychologische Untersuchung erfolgreich bestanden habe und wieder Auto fahren dürfe. Auf Nachfrage seiner Anwältin bestätigte er schliesslich, dass er seit drei Monaten wieder im Besitz des Führerausweises sei.

Auf Nachfrage der Richterin, ob er nun «mit dem Fuss auf der Bremse» fahre, antwortete er mit einem klaren «Ja» und ergänzte: «Es ist mir bewusst, dass ich die signalisierte Höchstgeschwindigkeit nicht überschreiten darf.» Darauf erklärte die ebenfalls anwesende Staatsanwältin das von ihr verhängte Strafmass. Auf einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 75 km/h stehe eine Mindeststrafe von 15 Monaten Gefängnis. Eine Strafreduktion um ein Viertel sei angebracht, da die Strecke zwischen Frutigen und Wengi übersichtlich sei und der Beschuldigte in den letzten zehn Jahren ohne Vorstrafen gefahren sei.

Doppelt so schnell wie erlaubt: Raser
Das eidgenössische Parlament hatte vor einem Jahr Anpassungen am Strassenverkehrsgesetz (SVG) beschlossen. Als Raser gilt seither, wer bestimmte Höchstgeschwindigkeiten überschreitet. Diese Bedingung erfüllt, wer in einer 50er-Zone schneller als 100 km/h, in einer 80er-Zone (also ausserorts) mehr als 140 km/h oder auf Autobahnen über 200 km/h fährt. Auch riskante Überholmanöver und Teilnahmen an Rennen fallen unter die «Raser-Regelung».

Seit Oktober 2023 gilt, dass Raserdelikte mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Führerausweisentzug von zwei Jahren sanktioniert werden können. Jedoch erhalten die Gerichte mehr Ermessensspielraum, um die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und unnötige Härten zu vermeiden.

Die Anwältin des Lenkers bestätigte, dass die Anklage mit der Aktenlage übereinstimmt und verwies auf den einwandfreien Leumund ihres Klienten. Dieser sei «kein notorischer Raser». Während der Ermittlungen hatte der Beschuldigte angegeben, am Abend der zu schnellen Fahrt übermüdet sowie unkonzentriert gewesen zu sein und deshalb die Höchstgeschwindigkeit nicht eingehalten zu haben. Ausserdem hätten sich Kollegen im Auto befunden, die ihn von einer korrekten Fahrweise abgelenkt hätten. Die Gelegenheit des letzten Worts nutzte der Beschuldigte nicht, sondern zuckte lediglich mit den Schultern.

Gute Prognose
Nach einer kurzen Bedenkzeit, während der die Parteien einvernehmlich vor dem Gerichtssaal warteten, bestätigte die Gerichtspräsidentin die Sanktion der Staatsanwaltschaft. Aufgrund einer guten Prognose und der begründeten Hoffnung, dass der Beschuldigte seine Lektion gelernt habe, stimmte sie einer Reduktion der Freiheitsstrafe um ein Viertel zu und bestätigte die bedingt ausgesprochenen 11 Monate. Unmissverständlich war ihr Appell an den Beschuldigten, «ein zweites Mal werde das Gericht kein Auge mehr zudrücken».

Die Verfahrenskosten in der Höhe von 2100 Franken wurden dem Angeklagten auferlegt. Falls er in den nächsten zehn Jahren materiell in die Lage kommen sollte, die entstandenen Anwaltskosten in der Höhe von 2677 Franken zu bezahlen, wird der Kanton Bern auch diese von ihm zurückfordern.


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