«Diese Strafe ist ungerecht»

  09.04.2024 Gesellschaft

JUSTIZ Ein Unternehmer aus dem Frutigland ist vergangene Woche vom Regionalgericht Oberland zu einer Übertretungsbusse von 800 Franken verurteilt worden. Er nahm sein Geschäftshandy mit nach Hause, obwohl er privat die Radio-TV-Gebühr nicht bezahlt hatte. Die entsprechende Abgabe für sein Unternehmen hatte er stets entrichtet.

PETER SCHIBLI
Der 75-jährige Mann ist Inhaber eines Unternehmens im Tal mit mehreren Mitarbeitenden, die auch am Arbeitsplatz oder auf der Baustelle Radio hören sowie ihr Mobilgerät nutzen. Deshalb bezahlte der Mann Jahr für Jahr treu die Mediengebühr, zuerst an die Billag, seit 2019 an die Firma Serafe. Den grössten Teil seiner Zeit verbringt der Rentner im Büro, weshalb er zu Hause weder Radio- oder Fernsehgeräte noch einen Computer besitzt. «Ich gehe nur nach Hause, um zu essen und zu schlafen», sagte er.

Ein privates Mobiltelefon besitzt der Mann auch nicht. Anlässlich der Änderung des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) reichte er deshalb bei der Firma Serafe ein Gesuch um eine Befreiung von der Zahlung der RTVG-Gebühr ein. Zwischen 2019 und Ende 2023 war es möglich, sich von der Bezahlung der RTVG-Gebühr befreien zu lassen, wenn man im Privathaushalt keine entsprechenden Geräte besass. Was der Mann nicht wusste: Das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) liess sich von Serafe alle Adressen geben, die ein sogenanntes Opting-out beantragt hatten und führte systematisch Kontrollen durch. Seit Anfang 2024 gibt es die Möglichkeit eines Opting-out nicht mehr. Wer ein Mobiltelefon besitzt, muss die RTVG-Gebühr bezahlen, unabhängig davon, ob er mit dem Gerät Medien konsumiert oder nicht.

Geschäftstelefon kontrolliert
Laut Serafe-Tätigkeitsbericht waren Ende Dezember 2022 7833 Schweizer Haushalte von der Bezahlung der RTVG-Gebühr befreit. Die Zahlen für 2023 sind noch nicht bekannt. Am 23. November 2022 über Mittag erschien eine Bakom-Mitarbeiterin unangemeldet an der Wohnungstür des Unternehmers und bat darum, die Räume kontrollieren zu dürfen. Der überraschte Rentner verweigerte ihr vorerst den Zutritt mit dem Hinweis, er sei gerade auf dem Weg zu einem wichtigen Termin.

Am 30. März 2023 erschien dieselbe Kontrolleurin ein zweites Mal unangemeldet. Diesmal verlangte der Unternehmer von der Frau den Ausweis. Sie zeigte ihm ihren «Batch», gab diesen aber nicht aus der Hand. Auf Drängen des Mannes schlug sie vor, dass er den Ausweis ja fotografieren könne, was dieser auch tat: Er holte aus dem an der Garderobe aufgehängten Arbeitskittel sein Smartphone und machte damit ein Foto des Ausweises. Darauf bat die «untersuchende Beamtin» (offizielle Berufsbezeichnung) den Mann, ihr das Handy zu Kontrollzwecken auszuhändigen. Dabei stellte die Kontrolleurin fest, dass auf dem Smartphone sogenannte Applikationen (Apps) von SRF sowie von regionalen Medien installiert waren.

Einige Wochen später erhielt der Unternehmer einen eingeschriebenen Brief des Bakom mit einer Übertretungsbusse. Da er die im abgekürzten Verfahren ausgesprochene Strafe nicht bezahlte, leitete die Behörde das reguläre Verfahren ein und büsste den Mann am 22. August 2023 mit einem zweiten, ordentlichen Strafbescheid. Gegen diese Verfügung erhob der Unternehmer Einsprache, worauf es vergangenen Donnerstag zur Hauptverhandlung vor dem Regionalgericht Oberland in Thun kam. Laut Bakom-Angaben handelte es sich erst um den zweiten solchen Gerichtsfall schweizweit.

2,5-stündige Verhandlung
Der beschuldigte Rentner erschien in Thun ohne Anwalt. Das Bakom war durch den Co-Leiter Finanzen, Frank Tuschling, vertreten. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Teilnahme an der Verhandlung. Einleitend befragte Gerichtspräsidentin Dorothea Zülligvon Allmen beide Parteien zum Sachverhalt. Der sehr gut vorbereitete Frutigländer Unternehmer bestätigte die im Strafbescheid umschriebenen Fakten, betonte aber, er benutze sein Geschäftshandy nur zum Telefonieren sowie zum Fotografieren von Baustellen. Medien konsumiere er über das Gerät nicht.

Dezidiert äusserte er sich zur aufgebrummten Strafe: Die Busse empfinde er als ungerecht, da er ja die Mediengebühr für das Handy als Unternehmer stets bezahlt habe. Zweimal für dasselbe zahlen? «Für mich hört die Logik da auf, wo die Juristen eingreifen.» Zudem gehöre das Telefon gar nicht ihm, sondern der Firma, weshalb er privat nicht zur Kasse gebeten werden könne.

Sollte die Argumentation des Bakom rechtlich verfangen, dann müsste auch sein Lernender die Gebühr für sein Geschäftstelefon ein zweites Mal bezahlen, wenn er bei ihm, beim Chef, zum Mittagessen eingeladen sei. «Ich habe keine strafbare Handlung begangen. Das Gesetz ist ein juristisches Konstrukt», erklärte der Mann dem Gericht völlig unaufgeregt, aber überzeugt.

Darauf erläuterte der Bakom-Vertreter den Anwesenden die Rechtslage und betonte, der Antragsteller habe mit seiner Unterschrift unter das Formular des Opting-out-Gesuchs einer Kontrolle seiner Räumlichkeiten ausdrücklich zugestimmt. Zudem gelte die Abgabepflicht ausschliesslich für den Inhaber des Haushalts und nicht für Besucherinnen oder Besucher.

Zeugin bestätigt Sachverhalt
Darauf wurde die als Zeugin vorgeladene «untersuchende Beamtin» befragt. Auch sie bestätigte den geschilderten Sachverhalt und ergänzte, sie habe anlässlich des Kontrollbesuchs an der Tür den Eindruck erhalten, dass in der Wohnung ein Radiogeräte laufe. Dies bestritt der beschuldigte Rentner vehement und versicherte, er höre Musik ausschliesslich ab CD-Player. Zum Abschluss des Beweisverfahrens deutete die Gerichtspräsidentin an die Adresse des Beschuldigten an, «dass die Rechtslage eigentlich klar» sei. Auf den fragenden Blick des Mannes antwortete sie: «Das Gericht kann das Gesetz nicht ändern.»

Da der Mann an seiner Einsprache festhielt, musste das Regionalgericht Oberland ein Urteil fällen. Nach einer kurzen Pause und der obligaten Beratungszeit bestätigte die Gerichtspräsidentin den Strafbescheid des Bakom: Der Beschuldigte wurde zu einer Übertretungsbusse von 800 Franken (möglich wäre eine Busse bis zu 5000 Franken) und zu den Untersuchungs- sowie Gerichtskosten in der Höhe von 2860 Franken verurteilt.

In der differenzierten Begründung betonte die Gerichtspräsidentin, dass das Opting-out-Gesuch explizit den Hinweis enthalte, dass die Besitzverhältnisse am beanstandeten Telefon für eine Abgabepflicht unerheblich seien. Die Argumentation des Beschuldigten, dass das in der Wohnung gefundene Mobilgerät seiner Firma und nicht ihm privat gehöre und er die RTVG-Gebühr für sein Unternehmen stets bezahlt habe, bezeichnete die Richterin als Schutzbehauptung. Wäre dies anders, würde kein Geschäftsinhaber mehr die RTVG-Gebühr privat zahlen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Unternehmer kann es an das Obergericht weiterziehen.


KOMMENTAR

Recht versus Gerechtigkeit

Formaljuristisch ist das erstinstanzliche Urteil korrekt. Hätte der Beschuldigte die Opting-out-Bedingungen sowie das Formular genau gelesen, wäre ihm klar geworden, dass er die RTVG-Gebühr privat auch dann schuldet, wenn er das betriebsbereite Geschäftstelefon mit installierten Medien-Apps mit nach Hause nimmt. Gerecht aber dürfte der Richterspruch nach allgemeinem Volksempfinden nicht sein: Wer für seine im Unternehmen angemeldeten Geräte die Gebühr treu bezahlt, sollte nicht ein zweites Mal zur Kasse gebeten werden. «Nicht zweimal für dasselbe» lautet eine fundamentale Maxime im schweizerischen Steuer- und Abgabenrecht.

Unabsehbar sind die politischen Implikationen der unglücklichen Bakom-Praxis und des Thuner RTVG-Urteils auf die Halbierungsinitiative der SVP: Das Volksbegehren will die umstrittene Mediengebühr auf 200 Franken senken. Nur dürfte in den Augen vieler kritischer Bürgerinnen und Bürger der beschuldigte Rentner kein Straftäter, sondern das Opfer spitzfindiger Medienjuristen sein, die in der Übergangszeit von 2019 bis 2023 eine ungeschickt formulierte Rechtslage konsequent durchsetzten und nicht davor zurückschreckten, auch den «kleinen Mann» vor Gericht zu zerren. Diese Haltung wird der SVP viele verunsicherte StimmbürgerInnen in die Arme treiben und den Argumenten der Initiativ-Befürworter zusätzlichen Schub verleihen.

PETER SCHIBLI

PETERSCHIBLI@GMX.CH


Welche Firmen müssen bezahlen?

Seit 2019 sind Unternehmen mit einem Jahresumsatz ab 500 000 Franken abgabepflichtig. Unabhängig von der im Artikel erwähnten Halbierungsinitiative schickte der Bundesrat Ende letzten Jahres eine Anpassung der Radio- und Fernsehverordnung in die Vernehmlassung. Diese soll unter anderem KMU entlasten: Vorgesehen ist, dass künftig auch Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis 1,2 Millionen Franken von der Abgabe befreit werden.

REDAKTION


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