Der «dringende Appell» kommt bei vielen Rentnern nicht gut an

Friedrich II. von Preussen, der wie viele Adlige seiner Zeit französisch parlierte, hat Politikern und Staatenlenkern einen Rat mitgegeben: «Servir et disparaître.» Auf gut Deutsch: «Wenn dein Dienst getan ist, verschwinde.» Im Grossen und Ganzen halten sich Bundesrätinnen und Bundesräte an diese Devise: Sie geben kaum Interviews und kommentieren die Politik ihrer Nachfolger nur selten. Umso erstaunlicher ist der aktuelle Abstimmungskampf um die 13. AHV-Rente. Gleich fünf ehemalige Magistraten haben sich zuletzt zu der Vorlage geäussert. Alt Bundesrätin Ruth Dreifuss (SP) sprach sich für die 13. Rente aus. «Wenn man alt ist, sollte man keine Angst haben müssen», sagte sie in einem Interview mit der Tamedia-Presse. Einen Tag später konterte alt Bundesrat Pascal Couchepin (FDP). «Das Eigeninteresse darf nicht zum einzigen Kriterium werden», forderte er, ebenfalls via Tamedia.

Post von drei alt Bundesräten
Am weitesten ging wohl die Aktion der Allianz «Nein zur 13. AHV-Rente». Über die Schweizerische Post liessen sich die Gegner der Vorlage einen sogenannten Adressbroker vermitteln. Von diesem Unternehmen erwarben sie Hunderttausende Anschriften von Seniorinnen und Senioren. Wer ins Raster geriet, bekam sodann Post von prominenten Absendern. In einem «dringenden Appell» forderten die alt Bundesräte Adolf Ogi (SVP), Doris Leuthard (CVP) und Johann Schneider-Ammann (FDP), ein Nein in die Urne zu legen (zum Schreiben siehe Bild rechts).

Geht der Schuss nach hinten los?
Mittlerweile zeigt sich: Die Abstimmungspropaganda der ehemaligen Regierungsmitglieder könnte zum Eigentor werden. In vielen Zeitungen quellen die Kommentarspalten über, die meisten Rückmeldungen sind negativ. Viele, die von dem bürgerlichen Trio Post erhielten, wundern sich, woher das Nein-Lager ihre Daten hat – alle Briefe waren namentlich adressiert. Andere stören sich an dem Vorgang als solchem: dass drei längst nicht mehr aktive Politiker, die «ihre Schäfchen im Trockenen haben», sich in die aktuelle Politik einmischen. Darüber hinaus ruft der Inhalt des Schreibens Kritik hervor, das zeigen auch die teils geharnischten Reaktionen, die der «Frutigländer» erhalten hat.

Auszugsweise veröffentlichen wir nachfolgend einige Leserreaktionen zur AHV-Abstimmung und zum Schreiben der drei alt Bundesräte.

MARK POLLMEIER

Offener Brief zum Schreiben der alt BundesrätInnen zur 13. AHV-Rente

Lieber Adolf Ogi

Dieser Tage lag der «Dringende Appell zum Schutz unserer AHV» – an mich persönlich adressiert – in unserem Briefkasten. In diesem Schreiben, das Sie zusammen mit Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann unterzeichnet haben, warnen Sie uns ältere Mitbürger eindringlich davor, am 3. März ein «Ja» in die Urne zu legen, Sie bezeichnen die Volksinitiative gar als brandgefährlich. Die Mehrkosten von jährlich fünf Milliarden Franken, von denen Sie in Ihrem Drohbrief sprechen, mögen zwar stimmen – trotzdem sind sie irgendwie falsch. Denn wer auch immer diese zusätzlichen Kosten errechnet hat, geht von der irrigen Annahme aus, dass die 13. AHV-Rente vor allem über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu finanzieren sei. Meiner Meinung nach stimmt aber genau das nicht, sondern es geht einmal mehr um gerechte Verteilung. Lassen Sie mich an kurzen Beispielen erklären, was ich unter gerechter oder eben ungerechter Verteilung verstehe: Die sogenannte Kohäsions-Milliarde: jährlich fliessen über 100 Millionen Franken direkt an äusserst korrupte Staaten wie Rumänien, Bulgarien und Malta oder an Länder wie Polen und Ungarn, deren Regenten die demokratischen Bestrebungen mehr und mehr mit Füssen treten.

Entwicklungshilfe: Nach meinen Kenntnissen unterstützt die Schweiz sogenannte Entwicklungsländer mit jährlich etwa vier Milliarden Franken. Tatsache aber ist, dass diese Entwicklungsländer seit Jahrzehnten nicht vom Fleck kommen, weil sich die örtlichen Machthaber seit Generationen gegenseitig aufs Übelste bekämpfen und mit unserer Hilfe lieber Kriege führen als die Gelder für angebrachte Projekte zum Wohl der Bevölkerung einzusetzen.

Das jüngste Beispiel: Die Schweiz unterstützt mittelbar die Hamas mit Hilfszahlungen, wohlwissend, dass kaum je ein Franken den notleidenden Palästinensern zugutekommt, sondern dass unsere Hilfszahlungen von dieser Terrororganisation aufs Ärgste missbraucht und zweckentfremdet werden.

Ich könnte Ihnen seitenlang Gegenargumente auftischen, die erläutern würden, weshalb es für eine 13. AHV-Rente weder einer Erhöhung der Mehrwertsteuer noch sonstiger neuer Geldquellen bedarf. Nur gerecht verteilen müsste man. Aber da fehlt es wohl am Willen von Parteien und Politikern. Denn es ist doch sehr bemerkenswert, dass gerade diejenigen Kreise, die mit Drohungen und Angstmacherei gegen die Volksinitiative auf die Barrikaden gehen, ihre Schäfchen längst im Trockenen haben.

MIT FREUNDLICHEN GRÜSSEN

UELI SCHMID, FRUTIGEN

Offener Brief zum Schreiben der alt BundesrätInnen

Sehr geehrte Damen und Herren

Ich wende mich heute mit ernster Besorgnis an Sie, da Sie als alt Bundesräte Ihre Nachfolger für deren Untätigkeit zur 13. AHV unterstützen. Für diesen Schlamassel sind einzig und alleine der jetzige Bundesrat und das Parlament verantwortlich. Hätten sich diese um einen akzeptablen Gegenvorschlag bemüht, müssten Sie heute keine «Angstbriefe» verschicken. Solche Briefe ohne jeden Lösungsansatz sprechen für sich!

Es ist ja irrsinnig, dass bei einer Annahme der Initiative die 13. AHV-Rente an Personen ausbezahlt würde, die sie nicht nötig haben. Ein grosser Anteil der AHV-Bezüger sind jedoch dringend auf die Erhöhung der AHV angewiesen. Besonders letztes Jahr ist die Kaufkraft für alle gesunken! Es gibt demnach wesentlich mehr AHV-Bezüger, die auf eine Erhöhung angewiesen sind, als uns die Regierung weismachen will. Die Abstimmung wird es zeigen.

Sollte die Initiative angenommen werden, können Sie einen weiteren Brief an die Wohlhabenden und an die sogenannten «Vernünftigen» versenden, mit der Bitte, die nicht notwendige 13. AHV freiwillig an diese zurückzuüberweisen. Das wäre Solidarität. Der freiwillige Verzicht würde die AHV entlasten!

Viele Gegner der Initiative sind vor allem gegen das sogenannte Giesskannenprinzip. Einverstanden – dann her mit einer akzeptablen Lösung! Nichtstun ist keine Lösung für dieses ernsthafte Problem. Bundesrat und Parlament müssen für die ärmeren AHV-Bezüger eine Lösung finden, die auch für die Besserverdienenden akzeptabel ist. Sie wissen genau, dass eine Erhöhung der Ergänzungsleistung keine Alternative sein kann.

Ich bin für die Initiative, weil die Erhöhung der AHV für die ärmeren AHV-Bezüger jetzt (2026) notwendig ist und nicht vielleicht erst in einigen Jahren. Mit einem zügigen guten Vorschlag könnte später dieser Schlamassel vielleicht korrigiert werden.

MIT FREUNDLICHEN GRÜSSEN

ULRICH WÄLTI, FRUTIGEN (JAHRGANG 1946, PARTEILOS)

«Das missfällt natürlich Economiesuisse»

Wie so oft, wenn es hart auf hart geht, werden beim Argumentieren wichtige Informationen weggelassen, wenn sie den eigenen Standpunkt nicht unterstützen. Es wird zum Beispiel unterschlagen, dass bei der Auszahlung zwar das Giesskannenprinzip angewendet wird, keineswegs aber bei der Einzahlung: Die Reichen in unserem Land erhalten niemals zurück, was sie zur AHV beigetragen haben. Das missfällt natürlich Economiesuisse und den bürgerlichen Parteien, und sie wenden viel Propaganda an, damit dieses gut funktionierende Sozialwerk nicht gestärkt wird. Und der Bauernverband muss mitmachen – das ist der Preis für den Pakt, den er mit den Wirtschaftsverbänden geschlossen hat.

UELI HALLER, HINTERKAPPELEN / KANDERSTEG

Warum ich der Initiative für eine 13. AHV-Rente zustimme

Als ehemaliges Mitglied der SVP bin ich meist Gegner von Beschlüssen der SP und der Gewerkschaften. Doch diese Initiative ist endlich ein Vorstoss, um das ganze AHV-Rentensystem der Gegenwart anzupassen! Seit bald 17 Jahren bin ich AHV-Rentner und beziehe heute eine bloss um 14,166 Prozent höhere AHV. Dabei sollten ja die Lohn- und Preissteigerungen bereits alle berücksichtigt worden sein!
DENKSTE!

Weder der Bundesrat, der keine Erhöhung auf 2024 beschloss, noch die Politiker unseres National- und Ständerats haben sich der AHV richtig angenommen. Ebenso haben sie keinen Gegenvorschlag zu der Initiative erarbeitet, die jetzt zur Abstimmung kommt! Sie drohen nur mit vagen Angaben über die Mehrkosen (4 bis 5 Milliarden). Ich habe jedoch nirgends Zahlen gefunden von den aktuellen jährlichen Beitragseinnahmen. Warum wohl? Sicher wäre ein Teil dieser Summe bereits finanziert. Zudem wird die 13. AHV ja auch steuerpflichtig, bei jedem Bezüger wird sie zum höchsten Progressionssatz besteuert, was meines Erachtens einen Steuermehrertrag von 35 bis 40 Prozent bringt (also gegen 2 Milliarden Franken). Es wäre nun an den Politikern, diesen Mehrertrag der AHV-Finanzierung zuzuführen. Eine allfällige Beitrags- oder Mehrwertsteuererhöhung wäre also nur tief, marginal!

Auch das Argument, die Jugend dürfe nicht weiter belastet werden, sticht nicht. Dies sind ja viele Lehrlinge, Studierende und noch niedrig bezahlte Neu-Erwerbstätige. Bezahlt werden die AHV-Beiträge vorwiegend durch die 30- bis 65-Jährigen sowie die noch Älteren (zum Beispiel Ver waltungsräte, Banker, Ingenieure, Juristen, Ärzte und Gewerbler), die sich nicht an das übliche Pensionierungsalter halten.

Doch wie steht’s bei der Schweizer Wirtschaft? Dieser wird es nach wie vor blendend gehen, denn gegenüber dem Ausland profitiert sie von einer weniger als halb so hohen Mehrwertsteuer, tieferen Sozialabgaben und ebenfalls tieferen Steuersätzen. Die Franken-Teuerung ist dagegen unbedeutender.

Der Hinweis, die Ergänzungsleistungen (EL) sollen angepasst werden, wäre eigentlich plausibel, effektiv ist er aber f adenscheinig, ist doch die EL in den letzten Jahren stets verschlechtert worden: Herabsetzung der Freivermögen, neu eine Rückerstattungspflicht, die allfällige Bezüger wieder abschreckt. Die EL-Mehrausgaben gingen indessen voll zu Lasten der öffentlichen Ausgaben des Staates. Ich habe das Vertrauen in unsere Politiker verloren, dass sie einer EL-Verbesserung zustimmen würden bei allen inskünftig drohenden Mehrausgaben. Mir fehlt hier eindeutig der Glaube!

So werde ich der Initiative für eine 13. AHV zustimmen. Es ist der einfachste und günstigste Weg zur Anpassung des AHV-Rentenwesens.

FERDINAND SCHNEIDER, FRUTIGEN, PENSIONIERTER FINANZVERWALTER (FRÜHER 11 JAHRE LEITER DER AHV-AUSGLEICHSKASSSE)

Der «dringende Appell» der Bundesräte kommt bei vielen Rentnern nicht gut an

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