Blamable Hockey-Expedition nach Frankreich
29.05.2018 Adelboden, Allerlei, SportWas passiert, wenn es ein 3.-Liga-Ersatztorhüter mit kanadischen Eishockeyprofis zu tun kriegt? Klar: Es gibt eine krachende Niederlage. So geschehen vor 50 Jahren bei Paris – es war die wohl merkwürdigste Begegnung in der Geschichte des EHC Adelboden.
TONI KOLLER
Was passiert, wenn es ein 3.-Liga-Ersatztorhüter mit kanadischen Eishockeyprofis zu tun kriegt? Klar: Es gibt eine krachende Niederlage. So geschehen vor 50 Jahren bei Paris – es war die wohl merkwürdigste Begegnung in der Geschichte des EHC Adelboden.
TONI KOLLER
Als 16 Adelbodner Hockeyspieler am frühen Morgen des 18. Oktobers 1968 den Car bestiegen, der sie nach Nordfrankreich bringen sollte, da ahnten sie noch nicht, was ihnen am selbigen Abend widerfahren würde. Sie folgten einer Einladung des neuerbauten Schwimm- und Eissportzentrums der Stadt Reims. Die Gattin dessen Direktors, eine Madame Clauzel, hatte zuvor die Frühlingsferien in Adelboden verbracht und Ausschau gehalten nach einem internationalen Gegner für den Hockeyclub Reims: Es galt, für die dortige Eishalle ein würdiges Eröffnungsspiel zu oganisieren. «Vous êtes dans quelle ligue?» hatte Mme Clauzel den Adelbodner Sporthändler und Eishockeyaner Arthur Hari gefragt. Dessen treuherzige Antwort – «première ligue», erste Liga – sollte den Adelbodnern zum Verhängnis werden.
Es war nicht die erste Garde des EHC Adelboden, die da nach Frankreich rollte. Eine Reihe von Stammspielern war nicht abkömmlich, und so wurden auch sehr junge, kaum dem Schulalter entwachsene Nachwuchsleute auf die Reise mitgenommen. Darunter auch solche von minderem Talent (womit der Autor dieses Artikels namentlich sich selber meint).
Ein folgenschwerer Trugschluss
«Super!» musste sich Direktor Clauzel in Reims gedacht haben, als ihm seine Frau im Frühjahr von den Adelbodnern berichtete: Erste Liga – ein Spitzenclub! Die Korrespondenz in den Archiven des EHC Adelboden dokumentiert die freudige Einladung, die daraufhin im Lohnerdorf eintraf. Zwar enthält der Briefwechsel auch den Hinweis des damaligen EHC-Präsidenten Fred Inniger, seine Equipe sei «nicht sehr stark». Aber das brachte den Franzosen nicht aus dem Konzept: Der Begrifflichkeiten des Schweizer Eishockeys unkundig, hielt er die «erste Liga» für die oberste Schweizer Spielklasse. Er erwartete einen Gegner vom Kaliber von La-Chaux-de-Fonds oder eines SCB. Und weil seine Boys vom jungen Hockeyclub Reims auch nicht gerade die besten waren, heuerte Clauzel zur Verstärkung über ein halbes Dutzend Francokanadier und französische Nationalspieler von ACBB an – dem Pariser Spitzen-Eishockeyclub, der zuvor immerhin dreimal hintereinander den Spengler-Cup in Davos gewonnen hatte ...
Was da kommen sollte, zeichnete sich am Abend des 18. Oktobers 1968 im prächtigen Reimser Stadion schon vor Matchbeginn ab: Als der ahnungslose Adelbodner Coach Hans Koller beim Einlaufen voller Schreck die Kanada-Profispieler wahrnahm, eilte er zum französischen Gegenpart, um ihm den Einsatz dieser Hünen auszureden. Vergeblich: Noch immer zeigte sich der Reimser überzeugt, mit solch «ausrangierten Ex-NHL-Senioren» würden wir als Schweizer Top-Team doch gewiss ohne Weiteres fertig.
In der mit 1200 Zuschauern vollbesetzten Eishalle erklang nun – feierlich wie bei einem Länderspiel – die französische und die schweizerische Nationalhymne. Und dann nahm das Schicksal seinen Lauf: Minute um Minute, ohne sich sonderlich anstrengen zu müssen, umwirbelten die gegnerischen Cracks die hilflose Adelbodner Rumpfmannschaft, es fiel Tor um Tor: 11 zu 0 lautete der Stand nach dem ersten Spieldrittel. Im zweiten Drittel liess der französische Coach Gnade vor Recht walten und beliess die ACBB-Stars auf der Spielerbank. So vermochte Adelboden den Einheimischen halbwegs die Stange zu halten: 4 zu 1 hiess das Drittelsergebnis. Im letzten Abschnitt allerdings schickte Reims seine Verstärkung – wenn man sie schon teuer zugemietet hatte – wieder aufs Eis. Irgendwie hatten Arthur Hari und Adolf Schmid immerhin zwei Adelbodner Ehrentreffer geschafft, aber das Schlussresultat der Partie spricht Bände: 25 zu 2.
Trotz Widerwärtigkeiten ein denkwürdiges Abenteuer
Etwas beschämt waren sie schon, die Gäste aus der Schweiz, als sie anschliessend auf Einladung der Veranstalter im Restaurant des Sportzentrums ihr Abendmenü verzehrten. Und nach der ebenfalls von Reims bezahlten Hotelnacht entschwanden sie tags darauf nach Paris, genossen die grossartige Metropole – und wohl auch den Umstand, dass es hier keinen Menschen kümmerte, welch peinliche Niederlage sie am Vorabend eingefangen hatten.
Recht wohlwollend liest sich dagegen der Bericht zum Match in der Reimser Zeitung «L’Union» vom 19. Oktober 1968: «Irresistible» sei der verstärkte HC Reims gewesen – nicht zu besiegen durch die unterklassigen Adelbodner, welche sich aber tapfer und kämpferisch zur Wehr gesetzt hätten. Verwundert zeigte sich der Reporter namentlich über das Alter des Schweizer Goalies: Niklaus Büschlen war damals gerade mal 14 Jahre alt. Dass die ungleiche Paarung letztlich auf jenes «Erste Liga»-Missverständnis von Direktor Clauzel zurückging, bleibt in der Zeitung unerwähnt. Gut für Clauzel – ein bisschen mehr Sorgfalt bei der Auswahl des Gegners wäre ja angebracht gewesen ...
Trotz alldem haben sich die Hockeyclubs von Reims und Adelboden in Freundschaft getrennt: Noch vor Ort luden die Schweizer die Franzosen fürs darauffolgende Frühjahr zu einem Gegenbesuch ein. Reims sagte zu, Briefe zu den Details gingen hin und her. Bis der EHC Adelboden Ende März 1969 nach Reims schrieb, wegen ausserordentlich warmen Wetters sei das Eis der Adelbodner Kunsteisbahn leider derzeit für kein Eishockeyspiel mehr zu gebrauchen, und man möge doch ein Besuchsdatum für das Folgejahr vorschlagen. Eine Antwort aus Reims ist offenbar nie mehr eingetroffen – die Spur einer seltsam-schönen sportlichen Begegnung hat sich verloren.