Es braucht mehr als einen Tropfen auf den heissen Stein
10.08.2018 AnalyseDie andauernde Hitze und Trockenheit bringt die Bauern an ihre Grenzen. Vom Futter- und Wassermangel ist die Region zwar weitgehend verschont, doch die sinkenden Fleischpreise bekommt man auch hier zu spüren. Nachhaltige Lösungen sind indes nicht in Sicht.
Alles hängt ...
Die andauernde Hitze und Trockenheit bringt die Bauern an ihre Grenzen. Vom Futter- und Wassermangel ist die Region zwar weitgehend verschont, doch die sinkenden Fleischpreise bekommt man auch hier zu spüren. Nachhaltige Lösungen sind indes nicht in Sicht.
Alles hängt mit allem zusammen. Diese gern zitierte humboldtsche Erkenntnis zeigt sich gerade in aller Deutlichkeit in der Viehwirtschaft. Die lang anhaltende Hitze führt zu Wasserknappheit auf den Alpen, während die Kühe gerade jetzt mehr Flüssigkeit brauchen: rund 100 Liter pro Tag und Tier. In der Ost- und Zentralschweiz zügeln Landwirte ihre Kühe notgedrungen früher hinunter ins Tal. Dort wächst aufgrund der Trockenheit jedoch kaum Gras, weswegen sie ihre Futterreserven für den Winter ankratzen oder etwas vom raren Gut dazukaufen müssen. Mancherorts ist die Lage so prekär, dass Kühe frühzeitig geschlachtet werden. Die Folge aus dieser «Todesspirale»: Futter wird teurer, Schlachtvieh billiger. Obwohl die Bauern im Berner Oberland vergleichsweise wenig unter der Hitze leiden, bekommen sie deren Auswirkungen also gleichwohl zu spüren.
Kaum Probleme auf Ueschinen
Der Berner Bauernverband (BBV) hat daher diverse Massnahmen ergriffen, um die Probleme einzudämmen. Dafür appelliert er vor allem an die Solidarität der Landwirte untereinander. Wer noch Platz oder genügend Futter hat, soll Tiere aus betroffeneren Regionen vorübergehend aufnehmen. Die eigens dafür eingerichtete Online-Börse ist seit Anfang Woche aktiv und zählt bereits sechs Anbieter. Einer von ihnen ist alt Grossrat Hans Rösti, der auf der Alp Ueschinen einen Sennbetrieb führt. Dort ist kaum etwas von der Dürreperiode zu spüren. «Weil wir im Winter viel Schnee hatten, ist das Gras gut gewachsen», so Rösti. Zwar räumt er ein, dass die eine oder andere Hütte der Alpgemeinschaft zurzeit sparsam mit dem «goldenen Nass umgehen» müsse. Für die insgesamt 270 Kühe sei jedoch ausreichend Wasser vorhanden. Deswegen sei man bereit, anderen zu helfen – sofern denn Interesse bestehe.
Daran hapert es zurzeit jedoch noch. Weder Hans Rösti noch Anton Zingrich haben bisher eine Anfrage erhalten. Zingrich bietet in Saxeten einige Plätze für Jungvieh an, da er und seine Alpnachbarn über gutes Futter und gute Quellen verfügen. Für ihn ist das auch eine Frage der brancheninternen Kollegialität. Denn eines sei klar: «Wenn die Preise fürs Schlachtvieh in den Keller gehen, betrifft uns das alle.»
Nicht mehr als 7 Franken pro Kilo
Andreas Wyss, Geschäftsführer des BBV, bestätigt diese Einschätzung. Aufgrund der Futtermittelknappheit in der Ost- und Zentralschweiz würden wesentlich mehr Tiere zum Schlachter gebracht, als es für die Jahreszeit normal wäre. Durch das Überangebot entstehe ein landesweiter Preisdruck, der sich auch in der Region niederschlage. Die Folgen sind schon jetzt spürbar, wie dem Magazin «Schweizer Bauer» zu entnehmen ist. Galten letzte Woche noch 8.20 Franken pro Kilogramm Schlachtkuh als realistisch, wollen manche Abnehmer inzwischen nicht mehr als 7 Franken dafür zahlen. Immerhin: Für Tiere, die bis letzten Dienstagmittag zum öffentlichen Markt angemeldet wurden, gilt noch der von Proviande festgelegte Preis von 8.20 Franken.
Auf die besondere Situation reagiert die Politik mit besonderen Regeln. Im Kanton Bern dürfen Landwirte dieses Jahr bei nachweislichem Bedarf mehr zugekauftes Grundfutter verwenden, auch wenn die Nährstoffbilanz dadurch nicht mehr ausgeglichen ist. Auch die Schweizer Berghilfe hat sich des Themas angenommen und bietet betroffenen Alpbetrieben an, sie bei aufwendigen Wassertransporten zu unterstützen. Insgesamt hat der Stiftungsrat dafür einen Beitrag von 500 000 Franken aus dem Katastrophenhilfefonds gesprochen. Weil das Angebot erst seit wenigen Tagen gilt, ist über allfällige Gesuche jedoch noch nichts bekannt.
Anpassung der Viehbestände?
So sehr diese Massnahmen den Landwirten in der akuten Situation helfen mögen – angesichts der Klimaerwärmung bleiben sie wohl buchstäblich ein Tropfen auf dem heissen Stein. Was unternimmt die Landwirtschaft, um langfristig auf trockene Sommer vorbereitet zu sein? Im Moment zeigt sich der Berner Bauernverband in dieser Frage ratlos. «In unserer Vorstandsitzung war das natürlich Thema. Der Verband will sich künftig verstärkt damit auseinandersetzen», berichtet Hans Rösti. Schon jetzt sei aber allen klar, dass es keine einfachen Antworten geben werde. Auf Ueschinen geht man zumindest pragmatisch vor und plant eine kollektive Strom- und Wasserversorgung für die Alpgemeinschaft. Auch Anton Zingrich sieht vor allem in der effizienten Wasserspeicherung eine Lösung für die Zukunft. Gute Zisternen seien jedoch teuer. Ansonsten könne man gerade in der Alpwirtschaft nicht viel ändern, da diese bereits sehr nah an der Natur arbeite.
Für Christian Hofer, Leiter des kantonalen Amts für Landwirtschaft und Natur (LANAT), fallen erhöhte Reservekapazitäten für Futter und Wasser unter die Kategorie kurz- bis mittelfristige Lösung. Auf lange Sicht müsse man jedoch überlegen, welche Art der Landwirtschaft in welcher Gegend noch zu machen sei. Mancherorts müsse man vielleicht vermehrt trockenresistente Pflanzen anbauen. Kulturen mit erhöhtem Wasserbedarf könnten nur noch in Gebieten mit Bewässerungsmöglichkeit angebaut werden. In anderen Regionen wäre eine Anpassung des Tierbestands denkbar. «Im Jura wird auf grossen Flächen weniger Futterertrag erzielt. Weil es dagegen in den Alpen tendenziell mehr regnet und die Böden tiefgründiger sind, kann dort mehr Futter produziert und mehr Vieh ernährt werden», so Hofer. Die Wissenschaft werde sich noch intensiv mit den Herausforderungen des Klimawandels befassen und Lösungsmöglichkeiten erarbeiten müssen.
Vor allem fordern
Um Veränderungen (und Einschränkungen) wird die Landwirtschaft auf Dauer wohl nicht umhinkommen, sollten Sommer wie diese tatsächlich bald an der Tagesordnung liegen. Bisher üben sich die Branchenvertreter jedoch vor allem im Fordern. Aktuell will der Schweizer Bauernverband SBV einen Solidaritätszuschlag auf den Milchpreis in Höhe von fünf Rappen pro Liter. Den Ruf nach einer Senkung der Importzölle auf Heu hat der Bund bereits erhört. Doch wenn es um den Kern des Problems geht, halten sich die Landwirte etwas bedeckter. Grundsätzlich unterstütze man die Ziele des Pariser Klimaabkommens zwar, heisst es im Positionspapier des SBV. Gleichzeitig spricht sich der Verband jedoch gegen Zwangsmassnahmen aus, welche die einheimische Lebensmittelproduktion verteuern würden. Zugespitzt formuliert heisst das: Massnahmen ja – aber möglichst woanders. Die Frage ist, wie lange sich die Landwirte diese Haltung noch leisten können. Inzwischen sollten sie realisiert haben: Wenn wir die globale Erwärmung nicht in den Griff bekommen, gehören auch sie zu den Leidtragenden.