Autonome Pferdestärken

Jetzt kommen sie uns also mit diesen selbstfahrenden Autos. Noch fünf oder zehn Jahre, sagt die Industrie, dann ist es soweit: Der Fahrer wird zum blossen Passagier. Nachdem immer mehr Leute schon heute auf Schalthebel und Kupplung verzichten, wird uns demnächst auch noch der Spass an Lenkrad und Gaspedal abhanden kommen. Dann rollt das sensorengespickte, durchprogrammierte Ding einfach von selber. Und wer drin sitzt, widmet sich ungestört z.B. der Lektüre des «Frutigländers». Ist das nicht ein grossartiges Fortschrittsversprechen?
Nun, zunächst einmal werden sich auch die Autos der Zukunft nicht «von selber» bewegen: Ohne irgendeine Art von Motor geht weiterhin gar nichts. Und sowieso ist der futuristische Hype vom autonomen Automobil eigentlich nur ein Rückschritt ins vorletzte Jahrhundert. Da waren selbstfahrende Vehikel nämlich schon einmal alltäglich. Man nannte sie Pferdekutschen. Die waren zwar relativ gemächlich unterwegs, aber der Kutscher hatte im Vergleich zum heutigen Autolenker fast nichts zu tun. Es war das Ross, das den Wagen steuerte: Das Ross kümmerte sich höchst eigenständig um die Spurhaltung, sodass das Gefährt nicht ab der Strasse geriet. Kein Gaul ist ausserdem so dumm, im vollen Galopp in eine enge Kurve zu rasen – da drosselt der tierische Selbsterhaltungstrieb den Speed ganz automatisch. Und weil sich kein Pferd gerne die Schnauze einschlägt, hält es auch in stinktiv den nötigen Abstand zum vorausfahrenden Gefährt. Okay, den Zielort ins Bordcomputer-GPS eintöggelen konnte man im vorletzten Jahrhundert noch nicht. Aber dem Vernehmen nach soll manch ein Ross zumindest den Heimweg problemlos auf eigene Faust gefunden haben – auch wenn der Mann auf dem Kutscherbock eingeschlafen war.
Die Selbstfahrtechnik ist also eine uralte Erfindung; mehr oder minder autonome Transportmittel gibt es seit eh und je. Und wenn es trotz intelligenter Zugtiere gelegentlich zu Kollision und Karambolage kam, so hielten sich – dank dem bescheidenen Tempo des Kutschenverkehrs – die Unfallfolgen in engen Grenzen. Genau darauf möchte ich mich im intelligenten Auto der Zukunft lieber nicht verlassen.

TONI KOLLER

TONI_KOLLER@BLUEWIN.CH

KOLUMNE – QUERGESEHEN

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