Mit Hip-Hop und Gourmet-Menü zurück zu den Wurzeln
18.12.2018 WirtschaftRhythmischer Rap auf dem Platten- und delikates Wildbret auf dem Porzellanteller: «Mixed Tables» nennt sich das. Wie passt beides zusammen? Nico Seiler vom Hotel Alfa Soleil und sein alter Freund aus wilden Zeiten, Rafael Maurer, zeigen es.
YVONNE BALDININI / RETO ...
Rhythmischer Rap auf dem Platten- und delikates Wildbret auf dem Porzellanteller: «Mixed Tables» nennt sich das. Wie passt beides zusammen? Nico Seiler vom Hotel Alfa Soleil und sein alter Freund aus wilden Zeiten, Rafael Maurer, zeigen es.
YVONNE BALDININI / RETO KOLLER
Was machen wohl die Gäste des «Alfa Soleil» am Samstagabend mit ihren roten Papiertaschen im Garten? Sie fassen eine delikate Suppe mit Fischeinlage. «Wie im Militär», scherzt Gastgeber Nico Seiler. Im Sack tragen sie ihr Besteck und ihre Gläser mit sich. Die Tasche wird sie während des ganzen Menüs begleiten, wenn es gilt, bei jedem der fünf Gänge den Tisch zu wechseln. Sie setzen sich, stellen sich ihren Nachbarn vor, ein ungezwungenes Gespräch nimmt seinen Lauf. Der Bijoutier unterhält sich mit dem pensionierten Versicherungsmann, der sich beim nächsten Tischwechsel angeregt mit dem Sportgeschäftsbesitzer austauscht. Die Neuenburgerin Laure interessiert sich lebhaft für den Beruf ihrer Sitznachbarin. Sie finden heraus, dass sie beide in Biel gearbeitet haben. Nachdem die zwei Frauen in der Küche den nächsten Gang geholt haben, verlieren sie sich wieder aus den Augen. Platztausch ist angesagt.
Ein Gang, ein DJ
Von der Vorspeise bis zum Dessert – jeder der fünf Gänge wird vom Rhythmus eines anderen DJs begleitet. Hip-Hop heisst das Gebot des Mahles. Zwischendurch wird getanzt. Ernis sind eingeschworene Fans der Kandersteger Belle-Epoque-Woche. Der Gegensatz könnte eigentlich nicht grösser sein. Das scheint sie jedoch nicht zu stören. Sie gehören zu den Ersten, die zum afroamerikanischen Sound der US-Grossstadt-Ghettos das Tanzbein schwingen. Wie kommt die Musik dieser Jugend-Subkultur ins gediegene Boutique-Hotel, dazu noch als Untermalung kulinarischer Genüsse der gehobenen Art? Nico Seiler löst das Rätsel: «Hip-Hop war für mich und meinen Frutiger Freund Rafael Maurer die Leidenschaft unserer Jugend.» Der Hotelier erzählt gerne und ausführlich vom Lebensgefühl dieser kreativen Szene, die ihn und seine Kollegen Mitte der 90er-Jahre beseelte. Sie schloss auch das Malen von Graffitis ein.
Das «High Moon» wurde wiederbelebt
Seiler erzählt, wie es zum Hip-Hop-Gourmet-Dinner kam. «Mein alter Freund Rafi Maurer kehrte kürzlich mit seiner Familie von der Wahlheimat Äthiopien nach Frutigen zurück. Er hat sich ganz der Malerei verschrieben. Ich wollte ihm eine Chance geben, seine Bilder im ‹Alfa Soleil› auszustellen.» Bei der Vorbereitung der Vernissage entstand die Idee, sie mit einem Hip-Hop-Menü und einer Dance-Party zu verknüpfen. Seiler lud kurzerhand vier DJs aus Biel, Zürich und Bern ein, darunter die DJ-Legende Pablo. «Funk ist der Ursprung der Hip-Hop-Musik. Es funkt nicht nur im Publikum, sondern auch zwischen den DJs, die sich zum Teil vorher nicht kannten», empfindet der Gastgeber, der selbst tüchtig mit scratcht. Um alte Zeiten aufleben zu lassen, öffnet er gar die Tür zur der seit 1992 geschlossenen Disco «High Moon». Fritz Ruchti und Walter Rosser haben sich den ganzen Abend auf diesen Augenblick gefreut. Weil Livemusik Tradition im «Alfa Soleil» hatte, lassen sich Chlaus Teuscher, Markus Ryter, Fritz Ruchti, Sandor Hossmann, Nico Seiler und Philippe Hari alias «The Seniors» nicht zweimal bitten und intonieren im «Higer» den Rumpelstilz-Klassiker «D'Rosemarie und i».
Wider die flüchtige Handy-Kultur
Heute Abend herrscht Smartphoneund Tabletverbot. Seiler wünscht, dass sich seine Gäste austauschen, Musik erleben und zusammen eine gute Zeit verbringen. «Menschen haben viel zu erzählen. Wir müssen ihnen wieder die Gelegenheit dazu geben», meint der Hotelier. Er hat seine liebe Mühe mit dem allgegenwärtigen Handy. Statt sich miteinander zu unterhalten, starren die Kunden auf ihre kleinen Bildschirme. Für den leidenschaftlichen Koch ist dies ein Verfall der Tischkultur und eine Missachtung seines Restaurants als Hort der Gastfreundschaft. «Wir können oft kaum Bestellungen aufnehmen, weil der Besucher am Handy hängt. Ankömmlinge widmen sich am Empfang mehr dem Smartphone als der Rezeptionistin. Wie können wir so Gastgeber sein?», fragt er sich.
Künftig anmelden statt überrumpeln
Für die limitierten Plätze bei «Mixed Tables» haben fünfzig Gäste reserviert. Die Küche und der Service konnten alles gezielt vorbereiten, Seiler wusste, wie viel Personal er einsetzen muss.
Tatsächlich leiden der Gastronom und sein Team zunehmend an der Unberechenbarkeit und der Hektik des Tagesgeschäftes. «Viele Besucher meinen, die Speisen fallen einfach vom Himmel auf den Teller. Kochen und Anrichten ist jedoch Handwerk und braucht Zeit.» Das Restaurant bleibt normal geöffnet, künftig wird Seiler aber Kunden bitten, sich bis 17 Uhr anzumelden. Er will so die Arbeiten in der Küche und die gepflegte Gästebetreuung besser gestalten. Der Hotelier gedenkt, das Angebot mit jährlich vier Anlässen in der Art des Hip-Hop-Dinners zu ergänzen. «Das Wagnis, meine Eingebung spontan umzusetzen, hat sich gelohnt. Alt und Jung, Bauer und Städter – die Verbindung aller Besucher hat geklappt. Die Zeit scheint für diese Art von Gastronomie reif zu sein», zieht er morgens um vier Uhr Bilanz, als sich die letzten Dance-Freudigen verzogen haben. Der Berner DJ Matish schwärmt: «Die bunt gemischte, unkomplizierte Gästeschar hätte ich in Kandersteg nicht erwartet.» Laure doppelt nach: «Musik, Essen fassen und spontane Gespräche mit mir unbekannten Menschen. Das hat Spass gemacht.»
Poppige Bildreihe im «Alfa Soleil»
Ab sofort sind die Bilder des Frutiger Künstlers Rafael Maurer – er ist der Sohn des verstorbenen Country-Papstes Aschi Maurer – im Hotel Alfa Soleil zu sehen «The ‹Alfa-Family› verbringt eine Woche Ferien im Berner Oberland», heisst das Motto. Eine Anzahl farbiger, expressiver Gemälde zeigen Sehenswürdigkeiten der Gegend. Der Künstler plant, ein Büchlein zur Begleitung der Ausstellung zu drucken. Es soll insbesondere ausländischen Gäste als kleiner, farbiger Reiseführer zu den Oberländer Attraktionen dienen. Ein grosses Graffito ziert das Dach oberhalb des Hoteleinganges. Es macht von Weitem auf die Ausstellung aufmerksam, die bis Ende März dauert.
YB