Das Gute im anderen
Es geht scharf zu und her im öffentlichen Disput. «Schweizer Politiker versuchen einmal mehr, das Volk hinters Licht zu führen», schrieb ein aufgebrachter Leser in die Kommentarspalte von SRF online. Thema war das Rahmenabkommen mit der EU. Darüber ...
Das Gute im anderen
Es geht scharf zu und her im öffentlichen Disput. «Schweizer Politiker versuchen einmal mehr, das Volk hinters Licht zu führen», schrieb ein aufgebrachter Leser in die Kommentarspalte von SRF online. Thema war das Rahmenabkommen mit der EU. Darüber kann man in der Tat geteilter Meinung sein. Und es ist jedem unbenommen, seine Haltung in pointierter Weise auszudrücken. «Ungenügend informiert!» kann man dem Widersacher entgegenhalten, «falsch gewichtet», «falsches Wertesystem» oder «Irrtum». Sogar der Vorwurf der Dummheit hat – obwohl von der «politischen Korrektheit» geächtet – durchaus einen legitimen Platz in der Auseinandersetzung. Denn für seine Dummheit kann niemand etwas.
Was aber nicht geht, ist die blanke Unterstellung bösen Willens. Es gehört zur demokratischen Kultur dieses Landes, in der Öffentlichkeit auch dem politischen Gegner a priori gute Absichten im Sinne des Gemeinwohls zuzubilligen. Wer Andersdenkende beschuldigt, sie wollten «das Volk hinters Licht führen», missachtet diesen Grundsatz und vergiftet die Debatte.
Nun gibt es gewiss Politiker (und andere Leute), die statt des Gemeinwohls heimlich Ungutes oder Eigennütziges anstreben und uns alle «hinters Licht führen» wollen. Erfreulich, wenn solches publikumswirksam angeprangert wird. Dazu braucht es aber Belege, Argumente, Anhaltspunkte zumindest, um die vermutete Böswilligkeit oder Lügnerei nachzuweisen. Dann können andere Politiker, Journalistinnen oder gegebenenfalls gar die Justiz dem Missetäter zu Leibe rücken. Wer hingegen die redlichen Motive anderer verneint, ohne einen hinreichenden Beleg mitzuliefern, betreibt blosse Polemik – was weder der Diskussionskultur noch der eigenen Glaubwürdigkeit dient.
Es kann allerdings geschehen, dass Böswilligkeits-Unterschiebungen einem in der Hitze des Gefechts ganz unbedacht entfahren. Ist mir auch schon passiert: Als die Berner Jung-SVP-Präsidenten Adrian Spahr und Nils Fiechter kürzlich wegen der rassendiskriminierenden Art ihres «Zigeuner»-Cartoons gerichtlich verurteilt wurden, kommentierte ich in besagtem Online-Forum: «Den SVPlern wirds recht sein. Allfälliger Unrat von Fahrenden ist ihnen eigentlich egal. Wichtig ist ihnen der Medienrummel – und dass sie sich nun als ‹Opfer der Justiz› in Szene setzen können.» Klarer Fall einer Zuschreibung von versteckter, unredlicher Absicht. Aus dem Bauch heraus formuliert, ganz ohne Beleg. Geht nicht. Mein Sorry nach Frutigen an Herrn Fiechter – ich versuchs, nicht wieder zu tun.
TONI KOLLER
TONI_KOLLER@BLUEWIN.CH