Das Volk entscheidet über die Schulsozialarbeit
08.02.2019 FrutigenDer Gemeinderat hält an der Schulsozialarbeit fest. Ein grösseres Stellenpensum lehnt er jedoch ab – trotz anderslautender Empfehlungen. Am 19. Mai entscheidet das Volk, ob das Angebot dauerhaft eingeführt werden soll.
BIANCA HÜSING
Zwar läuft das Projekt noch ...
Der Gemeinderat hält an der Schulsozialarbeit fest. Ein grösseres Stellenpensum lehnt er jedoch ab – trotz anderslautender Empfehlungen. Am 19. Mai entscheidet das Volk, ob das Angebot dauerhaft eingeführt werden soll.
BIANCA HÜSING
Zwar läuft das Projekt noch knapp ein Jahr. Doch bereits jetzt lässt sich festhalten, dass die Schulsozialarbeit beliebt ist – zumindest dort, wo sie zum Einsatz kommt. Die grosse Mehrheit der Lehrer im Kander- und Engstligental hat die Dienste von Jutta Mosimann und Michael Röthlisberger schon in Anspruch genommen und fühlte sich dadurch entlastet. Allerdings kommt die Schulsozialarbeit dort an ihre Grenzen, wo sie nur selten präsent sein kann: In Kandergrund, Kandersteg und Reichenbach. Dies sind – kurz zusammengefasst – die Ergebnisse der Evaluation, die der Regionale Sozialdienst am Mittwoch vorstellte.
Besseres Klima an den Schulen
Die Berner Fachhochschule hatte die Schulsozialarbeit im Frutigland wissenschaftlich begleitet und deren Auswirkungen von Januar 2017 bis Juli 2018 analysiert. Innerhalb dieses Zeitraums nutzten 85 Prozent der Lehrer und sämtliche Schulleiter das neue Angebot und liessen sich vor allem in Bezug auf verhaltensauffällige Schüler beraten. Auch bei Gruppen- und Klassenprojekten wurden sie unterstützt. 80 Prozent der Lehrenden sahen dabei ihre Erwartungen an die Schulsozialarbeit erfüllt, rund 75 Prozent von ihnen befürworten eine Weiterführung des Projekts in seiner jetzigen Form. 20 Prozent wünschen sich Anpassungen.
Im ersten Jahr kam die Schulsozialarbeit in 156 Fällen zum Einsatz und bewirkte eine Entschärfung von Mobbingsituationen, half bei persönlichen, familiären oder schulischen Problemen und verschaffte den Lehrern mehr Handlungssicherheit. «Früher waren die Lehrer stark absorbiert, wenn es zu Schwierigkeiten im Klassengefüge kam oder die Schüler Probleme hatten», erläutert Sozialdienstleiter Markus Bieri. Dank der Schulsozialarbeit könnten sie sich nun verstärkt auf den Unterricht konzentrieren. «Das Klima an den Schulen hat sich dadurch insgesamt verbessert», ist er überzeugt.
Zu wenig Präsenz in Kandergrund
Dass jedoch noch nicht alles rund läuft, zeigt der Bericht der Berner Fachhochschule ebenfalls. Nicht überall sind die Schulsozialarbeiter gleichermassen bekannt. Vor allem für Schüler in Kandersteg, Kandergrund und Reichenbach sei es schwieriger, Kontakt zu ihnen herzustellen und eine Beziehung aufzubauen. Mosimann und Röthlisberger sind mit 160 Stellenprozenten für rund 1800 Schüler in 22 Schulhäusern zuständig. Laut BFH Bern führt das grosse Gebiet zu einer Verzettelung der Schulsozialarbeit: «Sie ist zwar überall vorhanden, weist aber in den Aussenstandorten zu wenig Präsenz auf, um auftretende Schwierigkeiten angemessen, frühzeitig und konsequent bearbeiten zu können», heisst es im Bericht. Für die Sozialarbeiter selbst bedeute das mehr Stress und weniger Arbeitszufriedenheit. Die Empfehlung der BFH ist deshalb eindeutig: Entweder müsste die Schulsozialarbeit um mindestens 80 Stellenprozent aufgestockt werden oder man müsse deren Leistungskatalog eingrenzen. Auch müssten die Rollen und Zuständigkeiten klarer geregelt werden. Bieri räumt ein, dass es in dieser Hinsicht tatsächlich noch Handlungsbedarf gebe: «Es wurden aber Zusammenarbeitsvereinbarungen mit einer wichtigen Fachstelle abgeschlossen, damit die Zuständigkeiten klar sind, Doppelspurigkeiten vermieden werden und die Unterstützung zielgerichtet erbracht wird.»
«Es muss finanziell tragbar bleiben»
Dem Frutiger Gemeinderat lag der Evaluationsbericht im Januar vor. Auf dessen Grundlage hat sich das Gremium am 31. Januar entschieden, die Schulsozialarbeit ab 2020 dauerhaft einzuführen. «Die Schulsozialarbeit kann Kindern dabei helfen, auf dem richtigen Weg zu bleiben oder wieder dorthin zurück zu gelangen», glaubt Annelies Grossen, Gemeinderätin für Soziales, Jugend und Gesundheit . «Das entlastet letztlich auch die Allgemeinheit.» Ratskollege Christof Pieren pflichtet ihr bei: «Wenn den Kindern geholfen wird, investieren wir am richtigen Ort.» Mehr als bisher will der Gemeinderat allerdings nicht aufbringen – trotz der Empfehlung der Wissenschaftler. «Das Projekt muss finanziell tragbar bleiben», so Grossen. Man halte weiterhin an den 160 Stellenprozenten fest und müsse entsprechende Änderungen am Angebot vornehmen.
Der Ball liegt somit wieder bei Markus Bieri, der für die Schulsozialarbeit verantwortlich ist. In den kommenden Monaten werde er mit der Kommission Regionale Sozialbehörde Schule auf der strategischen Ebene und mit den Schulsozialarbeitenden auf der operativen Ebene konzeptionelle Anpassungen erarbeiten. Denkbar sei zum Beispiel, dass Mosimann und Röthlisberger nur noch dann an einige Schulen kommen, wenn dort akut Bedarf besteht. «Wir müssen in jedem Fall darauf achten, dass die Nachfrage gedeckt bleibt, ohne dass wir den Sozialarbeitern zu viel zumuten», so Bieri. Dies sei eine Herausforderung, der er sich jedoch gern stelle. Er sei froh, mit dem Gemeinderatsbeschluss die erste Hürde genommen zu haben.
Die nächste Hürde ist das Urteil der Stimmbevölkerung. Weil das Gesamtprojekt auf zehn Jahre hochgerechnet über zwei Millionen Franken kostet (insgesamt für alle Gemeinden), muss es in Frutigen an der Urne entschieden werden. Der dafür vorgesehene Abstimmungstermin ist der 19. Mai 2019.
Alles steht und fällt mit Frutigen
An den übrigen Standorten reicht ein Ja von den Gemeindeversammlungen – und den Gemeinderäten. Obwohl Kandergrund dem Evaluationsbericht zufolge weniger von der Schulsozialarbeit profitiert, ist man dort offenbar trotzdem vom Angebot überzeugt. «Es ist ein sehr gutes Projekt und alle Lehrer, mit denen ich gesprochen habe, bestätigen dies», meint die Kandergrunder Gemeinderätin Katharina Ryter. Das gesamte Gremium sei deshalb dafür.
Doch letztlich steht und fällt alles mit dem Urnenvotum der Frutiger. Ohne die Sitzgemeinde könnte die Schulsozialarbeit wohl kaum aufrechterhalten werden. Als 2016 an einer Gemeindeversammlung über das Pilotprojekt abgestimmt wurde, war der Rückhalt mit 109 zu 6 Stimmen jedenfalls gross. Annelies Grossen ist zuversichtlich, dass dies auch im Mai so sein wird.