Worauf zielt das Referendum?
22.02.2019 AnalyseDie Abstimmungskampagne zum Waffenrecht nimmt Fahrt auf, fast täglich ist das Thema inzwischen in den Medien. Vordergründig geht es dabei um Sturmgewehre und Ordonnanzwaffen. Doch eigentlich ist es ein Kampf um die Deutungshoheit in der Schweizer ...
Die Abstimmungskampagne zum Waffenrecht nimmt Fahrt auf, fast täglich ist das Thema inzwischen in den Medien. Vordergründig geht es dabei um Sturmgewehre und Ordonnanzwaffen. Doch eigentlich ist es ein Kampf um die Deutungshoheit in der Schweizer Aussenpolitik.
«Schweizer Offiziere auf Geisterfahrt», titelte vor zwei Wochen der «Tages-Anzeiger». Im Artikel ging es allerdings nicht um ein Verkehrsdelikt, sondern um die Änderung des Schweizer Waffenrechts (siehe Kasten rechts). Die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG), eine Dachorganisaton mit immerhin 22 000 Mitgliedern, hatte sich klar gegen eine Verschärfung ausgesprochen. Sie treffe jene, die legal im Besitz von Waffen seien, nicht aber den illegalen Handel, hiess es zur Begründung. Die Übernahme der EU-Waffenrichtlinie sei darum keine nachhaltige Massnahme gegen terroristische Bedrohungen. Als Abstimmungsparole sei das Ganze aber nicht zu werten, betonte die SOG gleichzeitig. Die einzelnen Sektionen seien nach wie vor frei, ihre eigenen Parolen zu fassen.
Ob Parole oder nicht, die Positionierung der Offiziersgesellschaft sorgte für einigen Wirbel. Sicherheitspolitiker wunderten sich über das Votum. Das Militär sei von der Gesetzesänderung doch gar nicht betroffen, hiess es beispielsweise. Ob die Offiziere sich bewusst seien, dass sie mit ihrer Haltung «einen gewaltigen Sicherheitsverlust für unser Land» riskierten, fragte der FDP-Ständerat Josef Dittli. Der Urner ist Präsident der sicherheitspolitischen Kommission der kleinen Kammer. Auch intern regte sich bald Widerstand gegen die Festlegung in Sachen Waffenrecht. Offiziere distanzierten sich öffentlich von der Verlautbarung ihres Verbands. In der SOG-Geschäftsstelle gingen zahlreiche Reaktionen ein – positive wie negative.
Die Offiziere sind sich nicht einig, das bürgerliche Lager ist es nicht, selbst unter ausgemachten Freunden des Schiesssports sind die Meinungen zum Waffenrecht keineswegs einheitlich. Und das ist auch kein Wunder, denn im Grunde werden hier zwei Debatten geführt. Die eine dreht sich darum, welche Auswirkungen die Verschärfung des Waffenrechts für das Schützenwesen hätte. Betroffen wären vor allem die Sturmgewehre 90 und 57, die unter Schweizer Schützen weit verbreitet sind. Wer eine solche Waffe privat besitzt oder weiterverkaufen will, müsste dafür künftig eine Bewilligung einholen, verbunden mit gewissen Nachweispflichten. Viele Schützen sind damit nicht einverstanden. Sie sehen darin eine überflüssige bürokratische Hürde – und damit eine Gefahr für ihr Vereinswesen. Mit dem neuen Waffenrecht habe der Schiesssport plötzlich etwas «Halblegales». Mancher Schütze fühlt sich wohl auch grundsätzlich von «der EU» gegängelt – ein Eindruck, der übrigens auch in der SOG durchaus verbreitet ist.
Die andere Debatte ist viel weitreichender, denn es geht eben nicht nur um ein paar Papiere, die zu beantragen wären. Formal hängt an der Übernahme des Waffenrechts das Schengen-Abkommen. Nach Einschätzung des Justizdepartements würde ein Nein des Stimmvolks die Schengen-Zusammenarbeit mit der EU «voraussichtlich automatisch beenden».
Was das bedeuten würde, kann man nachlesen. An den Grenzen müsste im Personen- und Warenverkehr wieder strikt kontrolliert werden. Es gäbe erhebliche Auswirkungen auf den Tourismus und auf das Asylwesen. Zudem wäre die Schweiz ausgeschlossen aus dem Schengener Informationssystem SIS. Darin sind zur Fahndung ausgeschriebene Personen aus ganz Europa gespeichert, was die Strafverfolgung erheblich erleichtert.
Es stimmt ja: Der direkte Sicherheitsgewinn durch die Verschärfung des Waffenrechts wäre gering. Wer sich illegal eine Kalaschnikow besorgen will, könnte dies vermutlich immer noch tun.
Zur Terrorabwehr taugt das EU-Waffenrecht also nur bedingt. Die oben genannten Beispiele zeigen allerdings, dass damit eben doch viele Sicherheitsbereiche tangiert sind. Und dass die Schweiz, würde sie aus dem Schengen-Abkommen fliegen, einige Nachteile hätte.
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Wer anfangs noch dachte, es gehe «nur» um Sturmgewehre, findet sich spätestens jetzt im Zentrum der Schweizer Aussenpolitik. Und wie so oft wird die Abstimmung über ein eigentliches Sachthema überlagert von einer EU-Diskussion.
In den nächsten Wochen wird man weniger diskutieren, ob es für rund 200 000 Schweizer Schützen zumutbar ist, ihre Waffe nachzumelden. Sondern vor allem darüber, wie wahrscheinlich es ist, dass die EU ernst macht und die Schweiz aus dem Schengenraum ausschliesst.
Für die meisten Schützenverbände – und offenbar auch für die Offiziersgesellschaft – scheint diese politische Dimension nachrangig zu sein. Ihnen geht es vor allem um die praktischen Auswirkungen der Rechtsänderung, der Rest wird ausgeblendet. SVP-Vertreter wiederum, die im Referendumskomitee prominent vertreten sind, spielen die Gefahr eines EU-Konflikts konsequent herunter. Jean-François Rime etwa findet, das Waffenrecht sei für das Schengen-Abkommen eher unwichtig. Werner Salzmann, Präsident des Berner Schiesssportverbands, geht davon aus, die EU habe doch gar kein Interesse, die Schweiz bei sicherheitspolitischen Fragen aussen vor zu lassen. Motto: Es wird schon alles nicht so schlimm kommen. Tschechien weigere sich ja schliesslich auch, die Waffenrichtlinie 1:1 zu übernehmen.
Die Stimmbürger stehen damit einmal mehr vor der Frage, wem sie mehr Glauben schenken wollen: Den Mahnern, unter ihnen der Bundesrat und die Schweizer Wirtschaft. Oder den Beschwichtigern, zu denen im politischen Spektrum vor allem die SVP gehört. Im Wahljahr 2019 bietet ihr das Waffenrecht eine gute Gelegenheit, sich auf einem angestammten Politikfeld zu profilieren.
Worum es der SVP bei der Waffenrechtsdebatte geht, lässt sich mitunter schon an der Internetseite des Referendumskomitees erkennen. Zu finden ist sie unter der Adresse «eu-diktat-nein.ch».
Worum geht es?
Im November 2015 wurden in Paris mehrere Terroranschläge verübt, bei denen vor allem Sturmgewehre zum Einsatz kamen. Die EU verschärfte daraufhin ihr Waffenrecht. Weil die Schweiz dem sogenannten Schengenraum angehört, müsste sie diese Anpassung übernehmen und das eigene Waffenrecht entsprechend ändern. Betroffen wären vor allem die im Schiesssport beliebten halbautomatischen Gewehre – in bestimmten Fällen bräuchten Besitzer fortan eine Bewilligung.
Die Schweiz muss die Änderungen der EU-Waffenrichtlinie bis zum 31. Mai 2019 umsetzen. Dagegen wurde jedoch erfolgreich das Referendum ergriffen. Die Abstimmung über die Waffenrichtlinie findet am 19. Mai statt.
POL