«Liederliche Kerlis» unter Verdacht
12.03.2019 Frutigen1777 fand bei der Grantibrücke ein brutaler Raubüberfall statt. Auf die Protokolle der Ermittlungen zu dieser Tat ist der Frutiger Hans Egli im Staatsarchiv Bern gestossen.
Der alleinstehende 73-jährige Niclaus Pieren bewohnte ein kleines Haus in der Nähe der ...
1777 fand bei der Grantibrücke ein brutaler Raubüberfall statt. Auf die Protokolle der Ermittlungen zu dieser Tat ist der Frutiger Hans Egli im Staatsarchiv Bern gestossen.
Der alleinstehende 73-jährige Niclaus Pieren bewohnte ein kleines Haus in der Nähe der Grantibrücke. Am 30. Oktober 1777 um 10 Uhr abends war er bereits zu Bett gegangen. Da begehrte ein Mann vor dem Haus um Unterkunft: Er sei vom Weg nach Adelboden abgekommen, und in der Finsternis könne er unmöglich weitergehen. Pieren stand auf, zündete ein Kerzenlicht an und öffnete die Haustüre. Sogleich drängten sich vier Kerle ins Haus, warfen Pieren zu Boden, fesselten ihm die Hände mit einem Seil und schleppten ihn in den oberen Gaden. Die vier zogen Pieren den Geldbeutel aus dem Hosensack, brachen eine Truhe auf und stahlen dort weiteres Geld und Käse. Im Ganzen erbeuteten die Räuber 2 doppelte und 3 einfache Dublonen, 28 Neuthaler und 20 Kronen. Pieren war ob dem Schrecken ohnmächtig geworden, erwachte aber wieder, nachdem die Räuber geflüchtet waren, und konnte die Fesseln lösen.
Rasch ergaben sich Hinweise
Dies ist, in heutigem Deutsch nacherzählt, die im «Thurmbuch des Schlosses Tellenburg» eingeschriebene Aussage des überfallenen Niclaus Pieren. Erkannt habe er keinen der Räuber, denn sie hätten mit verstellten Stimmen geredet. Übrigens: Die erbeuteten Geldstücke waren viel wert; man hätte damit etwa 3 Kühe oder 25 Schafe kaufen können.
Die Kunde vom Raub bei der Grantibrücke verbreitete sich rasch im Dorf. Bereits am nächsten Abend gab es einen Hinweis auf die Täter. Im unteren Landhaus wechselten nämlich Peter Waffenschmid und David Dänzer ein grosses Geldstück, was die anderen Wirtshausgäste misstrauisch machte. Am 11. November ging auf der Tellenburg folgende Anzeige ein: «Der Peter Waffenschmid und David Dänzer, beyde von Frutingen, haben den 31. Octobris in dem Unteren Landhauss eine doppelte Neüwe Duplonen gewächslet, welches denen Umstehenden sehr verdächtig vorgekommen, indem beyde obige arme und liederliche Kerlis seyen.»
Nun wurde die Obrigkeit auf der Tellenburg tätig. Am 13. November erhielten der Amtsweibel Jungen und der Patrouilleur Egger den Befehl, die beiden Verdächtigten zu verhaften. Sie kehrten aber bloss mit Waffenschmid aufs Schloss zurück, Dänzer konnte entkommen.
Erst alles abgestritten
Laut den Wortprotokollen der Verhöre war Peter Waffenschmid 25 Jahre alt, verheiratet und hatte eine kleine Tochter. Frau und Kind wohnten bei den Schwiegereltern im Hasli. Er selber zog aber mehrzeitlich im Land herum und machte Gelegenheitsarbeiten.
Im ersten Verhör am 14. November stritt Waffenschmid eine Beteiligung am Raubüberfall ab. Die Dublonen habe er von Sergeant Sieber in Neuenburg, wo er im letzten Sommer in Dienst gestanden sei. «Er sage gewiss die Wahrheit, er seye absolut unschuldig, und Gott solle ihme straffen, wenn er ein Kreützer von dem Pierens Diebstahl habe.» In der Nacht vom 30. auf den 31. Oktober sei er bis morgens um 3 Uhr im Wirtshaus gesessen und habe mit Wachtmeister Schmid und Doktor Hager getrunken.
Im Dorf gab es offenbar Leute, die über den Raub mehr wussten. Am Morgen des 17. Novembers wurde an Landesseckelmeister Schneiders Haustüre ein angehefteter Zettel gefunden mit dem Hinweis: «Es verwunderet mich, dass Ihr Herren die Vorgesezten die Thätere dess Diebstahles so bey der Grantenbrugg widerfahren noch nicht wisset. Es ist der Abraham Roth, Peter Waffenschmid, David Dänzer und Joseph Kurzen.» Der Amtsweibel wurde daraufhin beauftragt, auch Roth und Kurzen zu verhaften. Roth konnte er ergreifen, Kurzen hingegen gelang die Flucht. Am gleichen Tag wurde Waffenschmid vom Kastlan zum zweiten Mal einvernommen. Erneut gab er nichts zu.
«Ich habe mich verführen lassen»
Am 18. November wurde Abraham Roth ins Verhör genommen. Auf die Frage nach seinen Personalien gab er an, dass er 42 Jahre alt sei, auf dem Tellenfeld wohne, verheiratet sei und vier Kinder habe. Auch Roth stritt jede Beteiligung am Raubüberfall ab und beteuerte, er sei am 30. Oktober bis um 22 Uhr in der Wirtschaft gewesen. Dann sei er nach Hause zu Frau und Kindern gegangen, «so wahr er eine Seel im Leib habe».
Am nächsten Tag, dem 19. November, war nochmals Waffenschmid an der Reihe. Bereits nach der ersten Frage des Kastlans brach Waffenschmid zusammen und gestand den Raub: «O Herr, ich bin schuldig, ich bitte umb Gnad und Barmherzigkeit, ich habe mich verführen lassen, ich will alles bekennen. Ich bin mit dem Abraham Roth, David Dänzer und Joseph Kurzen an der Jäger Musterung gegen Mitternacht in das Grante gegangen.» Gleichentags wurde auch Roth nochmals vorgeführt. Zuerst bestand er darauf, dass er ganz unschuldig sei. Dann wurde ihm Waffenschmids Geständnis vorgelesen, worauf auch er einknickte und die Beteiligung am Raub zugab.
Es folgten weitere Verhöre. Am Schluss mussten Waffenschmid und Roth gemeinsam mit dem beraubten Pieren die Einvernahmeprotokolle bestätigen, wobei die Inhaftierten «um Gottes Willen umb ein Gnädiges Urtheil» baten.
Urteil auf dem Galgenhubel vollstreckt
Da es sich bei diesem Raub um ein schweres Verbrechen, um eine «Mallefizsache», handelte, lag das Recht zum Urteil nicht beim Kastlan, sondern in Bern bei den gnädigen Herren des Kleinen Rats. Diese verurteilten Peter Waffenschmid und Abraham Roth zum Tod am Galgen, um «diese Rachschreyende That gebührend zu bestraffen». Wörtlich lautete das protokollierte Urteil: «Es sollen diese Verbrecher, nachdemme selbige in Sachen ihres Heils genugsam werden unterrichtet sein, anderen zum Schrecken und Exempel, dem Scharffrichter übergeben, von demselben gebunden, auf die gewohnte Richtstatt geführt, und alda unter Empfehlung ihrer armen Seele, in die Erbärmbden ihres Erlösers und zwaar den Waffenschmid zu erst, mit dem Strang vom Leben zum Tod hingerichtet, die Körper 14 Tag lang am Hochgericht hangen, nachwerths abgenommen, und an verschmächtem Ort verscharret werden.»
Das Urteil wurde am 30. Dezember 1777 auf dem Galgenhubel in Frutigen vollstreckt. Weil Hingerichtete eines unehrenhaften Todes starben, durften sie nicht auf dem Friedhof beerdigt werden. Und demzufolge ist der Tod der beiden in den Kirchenbüchern von Frutigen nicht vermerkt.
Kein Hinweis auf den Rest der Bande
Die geflüchteten Mittäter David Dänzer und Joseph Kurzen kehrten wahrscheinlich nie mehr zurück. Im Turmbuch ist jedenfalls kein weiterer Prozess gegen die beiden vermerkt. Einen späten Hinweis auf David Dänzer findet sich in den Kirchenbüchern von Frutigen. Am 15. November 1795 starb «Susanna Däntzer, Davids im Dorf, des landsflüchtigen Tochter». Susanne Dänzer starb im Alter von 22 Jahren, sie war also zum Zeitpunkt der Tat ihres Vaters vier Jahre alt gewesen.
HANS EGLI, FRUTIGEN
Quellen: Staatsarchiv Bern, Kirchenbücher Frutigen (recherchiert von Martin Hari, Adelboden)