Das unerwartete Jubiläum
26.03.2019 Reichenbach, KientalLetzten Donnerstag gaben die Mitglieder des Gewerbevereins grünes Licht für eine grosse Geburtstagsfeier im Juni. Dabei wussten bis zur Hauptversammlung nur die wenigsten, dass der Verein 100-jährig wird.
BIANCA HÜSING
«Juhu!» Doris Hari machte keinen Hehl ...
Letzten Donnerstag gaben die Mitglieder des Gewerbevereins grünes Licht für eine grosse Geburtstagsfeier im Juni. Dabei wussten bis zur Hauptversammlung nur die wenigsten, dass der Verein 100-jährig wird.
BIANCA HÜSING
«Juhu!» Doris Hari machte keinen Hehl daraus, wie sehr sie das Votum der Mitglieder betreffend den 15. Juni 2019 freute. An diesem Tag will die Präsidentin das 100-jährige Bestehen des Gewerbevereins Reichenbach feiern – und die über 40 Anwesenden signalisierten ihr grundsätzliches Einverständnis. Die Sache hat nur einen kleinen Haken: Bis zum angepeilten Termin sind es noch zweieinhalb Monate, und innerhalb dieser sportlichen Frist will Hari etwas Grosses auf die Beine stellen. Ein nostalgisches Dorffest schwebt ihr vor, eine Art Open-Air-Gewerbeausstellung in der Bahnhofstrasse.
Ein «kollektives Schulterklopfen» wäre nicht genug
Dass die Planung dieses Ereignisses erst jetzt beginnt, hängt mit einem kleinen Fehler auf der Webseite des Vereins zusammen. Dort stand lange Zeit, er sei 1912 gegründet worden – und daran hat bislang auch niemand gezweifelt. «Ich war noch erleichtert, dass der Kelch einer Jubiläumsfeier an mir vorübergegangen ist», lacht Hari, die seit 2014 im Amt ist und 2017 die erste Gewerbeausstellung in der Kanderarena organisierte. Doch dann sei sie auf alte Dokumente gestossen, Bücher, in denen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sämtliche Vereinsprotokolle handschriftlich festgehalten worden sind – unter anderem jenes von der Gründungsversammlung am Sonntag, dem 15. Juni 1919. «Mir war sofort klar, was das bedeutet: Das müssen wir feiern, und zwar angemessen.» Mit den übrigen Vorstandsmitgliedern ist Hari zahlreiche Optionen durchgegangen, das meiste davon wurde entweder verworfen oder scheiterte an der Umsetzbarkeit. Langsam machte sich Enttäuschung breit, aber: «Bei einem kollektiven Schulterklopfen wollten wir es auf keinen Fall belassen. Auch ein internes Fest oder ein Ausflug wären zu wenig gewesen, wir sind schliesslich ein stolzer Verein», so Hari.
Gewerbestände, Trychler und ein Festakt
Schliesslich kam die zündende Idee:«Wir haben eine so grossartige und belebte Bahnhofstrasse mit ganz unterschiedlichen Geschäften – warum feiern wir nicht dort?» Man könne sich mit diversen Essens- und Gewerbeständen präsentieren und die Besucher zum Ausprobieren einzelner Handwerkstätigkeiten einladen. Beginnen könne man den Tag mit einem offiziellen Festakt für geladene Gäste – zum Beispiel im Pro Senectute Haus – und anschliessend mit den Trychlern durch die Bahnhofstrasse ziehen.
Als sie diese Vorschläge den Besuchern der Hauptversammlung unterbreitete, wirkte Hari noch ein wenig angespannt. «Natürlich steht und fällt das Ganze mit eurer Beteiligung», betonte sie denn auch. Deshalb werde das Fest nur durchgeführt, wenn sich in gegebener Frist genügend Gewerbler anmelden. Auf die Frage der Präsidentin, wer sich einen solchen Event ganz grundsätzlich vorstellen könne, schnellten die meisten Hände in die Höhe. Die Generalprobe hat Haris Vorschlag also schon bestanden. Als nach der offiziellen Versammlung die ersten Anmeldeformulare mit dem Titel «Unsere Bahnhofstrasse wie vor 100 Jahren» ausgefüllt wurden, wirkte die Präsidentin erleichtert. Angeregt diskutierte sie mit einzelnen Mitgliedern über weitere mögliche Einzelheiten der Jubiläumsfeier.
Aufschwung in der Industrie
Auch der Blick in die jüngere Vergangenheit stimmte Hari positiv. Das Jahr 2018 sei in wirtschaftlicher Hinsicht ein gutes gewesen. Insbesondere Tourismus und Industrie hätten einen Aufschwung erfahren, auch sei die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgegangen. Reichenbachs Gewerbeverein hatte gleich vier Neueintritte zu verzeichnen.
Problematisch ist allein die Nachwuchssituation, wie Carrossier Patrick Balmer in seinem Kurzvortrag unterstrich. Es sei immer schwieriger, junge Leute für eine Lehre zu begeistern. Guten Schülern werde heute schnell zum Studium geraten. Entsprechend warb Balmer für die Lehrstellenbörse in Spiez. Dieses Jahr seien überdies Schnuppertage für Lehrer angedacht, damit diese ihren Schülern ein besseres Bild von Ausbildungsberufen vermitteln könnten. Dringend legte Balmer den Reichenbachern ans Herz, auch von diesem Angebot Gebrauch zu machen – ein Aufruf, dem Doris Hari sich anschloss: «Wir sollten solche Plattformen nutzen und uns über die Grenzen des Tals hinaus öffnen. Nach Mülenen ist noch nicht Schluss.»