Das plötzliche Ende eines Grossprojekts
12.04.2019 KrattigenSeit mehr als einem Jahrhundert wird in der Gemeinde Gips abgebaut. Und eigentlich sollte es noch 50 Jahre so weitergehen. Doch nun zieht sich die Rigips AG wahrscheinlich ganz aus dem Oberland zurück – mit Folgen für die Krattiger Finanzen.
BIANCA HÜSING
Seit mehr als einem Jahrhundert wird in der Gemeinde Gips abgebaut. Und eigentlich sollte es noch 50 Jahre so weitergehen. Doch nun zieht sich die Rigips AG wahrscheinlich ganz aus dem Oberland zurück – mit Folgen für die Krattiger Finanzen.
BIANCA HÜSING
Regelrecht schockiert reagierte Krattigens Gemeindepräsident Christian Kummer, als er am Dienstagnachmittag erfuhr, die Rigips AG wolle ihre Produktionsstandorte in Heimberg und Leissigen schliessen. Denn dieser plötzliche Entscheid betrifft auch seine Gemeinde unmittelbar: Seit Jahren plant die Rigips AG, ihre Abbaufläche in Krattigen um 240 000 Quadratmeter zu erweitern und dort für weitere 40 bis 50 Jahre Gips abzutragen. Die Verträge mit den betroffenen Grundeigentümern waren bereits ausgehandelt, die Mitwirkung abgeschlossen. Aktuell liegt das Projekt zur Vorprüfung beim Kanton. «Wir haben natürlich keinen Gedanken mehr daran verschwendet, dass es nicht zustande kommen könnte», so Kummer. Umso überraschter war er nun, als er zeitgleich mit den Medien eine entsprechende Mitteilung erhielt – und eine Einladung zum Gespräch.
Die Belegschaft könnte es verhindern
Laut Medienmitteilung will die Rigips AG die Produktion ihrer Vollgipsplatten an ihrem Walliser Standort in Granges konzentrieren. Davon verspricht sich das Unternehmen, seine Transportkosten zu senken und in einem «zunehmend anspruchsvollen Marktumfeld» wettbewerbsfähiger zu werden. Im Gegenzug gibt Rigips seine Werke in Leissigen und Heimberg auf – und streicht damit insgesamt 35 Stellen. Gleichzeitig sollen durch die Erhöhung der Produktionskapazitäten in Granges 15 neue Arbeitsplätze entstehen. Im Laufe des Jahres 2020 soll die Stilllegung der Berner Oberländer Standorte vollzogen werden.
Das letzte Wort ist allerdings noch nicht gesprochen. Bis Ende April läuft das Konsultationsverfahren, zu dem sich die Rigips AG nach eigenen Angaben freiwillig entschieden hat. Im Rahmen dieses Prozesses könne die Belegschaft Vorschläge einbringen, wie die Stilllegung «vermieden oder beschränkt» werden könne. Sollte es dennoch zur Schliessung kommen – und davon ist realistisch betrachtet wohl auszugehen –, wäre auch das geplante Abbaugebiet in Krattigen hinfällig.
Ein «Verlust» von mehreren Zehntausend Franken
Für das Dorf fällt damit das grösste Projekt der jüngeren Vergangenheit weg. Über fünf Jahre habe man daran gearbeitet, habe Informationsveranstaltungen durchgeführt, die Umzonung des Grundstücks veranlasst und das Mitwirkungsverfahren organisiert.
«Im Vergleich zu dem, was die Rigips AG investiert hat, war unser Aufwand zwar verschwindend gering», so Kummer. Gleichwohl habe das Projekt die Gemeinde sehr beschäftigt. Vor allem hätte sie davon profitiert, wenn es wie geplant umgesetzt worden wäre: Für jeden abgebauten Kubikmeter Gips sowie für die Querung der Gemeindestrasse wäre Krattigen entschädigt worden. Auch wollte man den Boden nach der Gipsentnahme mit Bauschutt auffüllen lassen – in Zeiten mangelnder Deponiestandorte eine lukrative Angelegenheit. Gesamthaft geht Kummer von mehreren Zehntausend Franken aus, die der Gemeinde nun jährlich durch die Lappen gehen.
Deponie und Renaturierung im bisherigen Abbauperimeter
Trotz aller Enttäuschung bleibt Christian Kummer relativ gelassen. Der Gemeinde gehe es finanziell gut, und vom Stellenabbau sei sie bis auf einzelne bedauerliche Ausnahmen kaum betroffen. «Krattigen existiert natürlich weiter. Es gibt bestimmt auch Leute, die sich darüber freuen, wenn das Projekt platzt.» Damit spielt der Gemeindepräsident auf die Kritiker der Abbauerweiterung an, die es durchaus gab – etwa seitens der Umweltverbände. Was die Natur betrifft, haben Gemeinde und Rigips AG ohnehin noch eine Rechnung offen. Für das aktuelle Abbaugebiet sind diverse Renaturierungsmassnahmen vorgeschrieben. Und wer immer diese übernehmen wird: «Es ist unmöglich, dass sie sich bis Ende 2020 umsetzen lassen», meint Kummer. Sicher sei er sich jedoch, dass die Grube als Deponiestandort auf Interesse stossen werde.