Eine Vollblut-Touristikerin tritt (fast) ab
18.04.2019Seit heute Donnerstag ist Doris Wandfluh offiziell in Pension. 17 Jahre lang hat sie den Tourismus geprägt und etliche Reorganisationen mitgetragen. Sorgen bereitet ihr das Verschwinden von Hotels und Läden im Dorf.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Sie sei ein Hotel-Kind, sagt ...
Seit heute Donnerstag ist Doris Wandfluh offiziell in Pension. 17 Jahre lang hat sie den Tourismus geprägt und etliche Reorganisationen mitgetragen. Sorgen bereitet ihr das Verschwinden von Hotels und Läden im Dorf.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Sie sei ein Hotel-Kind, sagt sie, aufgewachsen im «Des Alpes» in Kandersteg. Der Tourismus hat sie ihr Leben lang nicht mehr losgelassen. Immerhin hat sie ein Jahr länger als eigentlich üblich gearbeitet – aber ab Ostern wird sie kaum mehr im Tourist Center Kandersteg anzutreffen sein. Und doch wird sie trotz Pensionierung mit nunmehr 65 Jahren weiterhin eine Rolle im Tourismus spielen.
Das Netzwerk noch weiter ausbauen
Ihr liegt die Zukunft des Themas «Belle Epoque» am Herzen. Sie hat von Beginn weg mitgeholfen, diesen mittlerweile europaweit bekannten Nostalgieanlass aufzubauen. Ziel war, zusätzliche Gäste in der ruhigen Zeit Ende Januar zwischen bestehenden Anlässen anzulocken. «Ich werde 20 Prozent im Mandat tätig sein. Wir wollen den Winteranlass auch mit einzelnen Sommerevents ergänzen und mit ähnlichen Anlässen in anderen Orten der Destination besser verknüpfen – und vermehrt Italiener herholen.» Das werde sie noch maximal zwei oder drei Jahre machen und dann jemand Jüngerem übergeben. Gerade vor Ort sei nach zehn erfolgreichen Jahren Belle Epoque Überzeugungsarbeit nötig, um die Unterstützung zu behalten und neue Ideen einzubringen. Wandfluh spielt auch beim geplanten Relaunch des Heimatmuseums noch eine tragende Rolle. In der restlichen Freizeit will sie selber vermehrt reisen, statt sich um die Anliegen der Gäste zu kümmern – oder sogar ab und zu als Reiseleiterin tätig sein.
«Feierabend um 17 Uhr gabs nie»
17 Jahre sind es geworden, in denen sie die touristische Entwicklung des Orts begleitet und massgeblich mitgeprägt hat. Als einfache Angestellte an der Front hat sie begonnen. Vorher hatte sie die KV-Lehre auf dem Grundbuchamt Frutigen gemacht und war bei der Gemeinde Adelboden tätig. Als sie 23 Jahre alt war, starb die Mutter und sie führte mit dem Vater das familieneigene Hotel «Des Alpes». Sie absolvierte den Wirtekurs, die zusätzlichen Ausbildungen erfolgten dann im Alltag. Daraus wurden letztlich 24 Jahre Fulltimejob in der Hotellerie. «Dagegen war die 100-Prozent-Anstellung im Tourist Center fast Erholung. Feierabend um 17 oder 18 Uhr, das hatte ich vorher nie», schaut sie zurück.
Der Gast muss ins Oberland kommen
Die Geschäftsführerin begann in einer Zeit, in der sich im Tourismus vieles veränderte. Es fing an mit der Bildung der Destination Lötschberg, zusammen mit den Lötschentalern. Daraus wurde die Destination Kandertal mit Kiental-Reichenbach, der Verein «Berner Oberland Mitte» und seit Neustem gehört Kandersteg zur TALK AG mit den grossen Adelboden und Lenk. «Es wurde manchmal schon viel. Zum Glück konnte ich viele Arbeiten im Zusammenhang mit der TALK-Gründung an den Vorstand unseres Tourismusvereins abgeben. Und wir dürfen nicht vergessen: Dem Gast ist es egal, wie die Organisation in seinem Ferienort heisst», betont sie. «Wichtig ist, dass der Gast ins Oberland kommt, hier übernachtet und sich wohlfühlt.» Ob er dann von Kandersteg Ausflüge nach Interlaken, Bern oder ins Wallis mache, sei zweitrangig. «Die Zeiten sind schon lange vorbei, in denen die Gäste sich zwei Wochen lang nur in ihrem Ferienort beschäftigten.»
Ihre Sorge um den Detailhandel
Rückblickend sei diejenige Zeit am spannendsten gewesen, als die Destination Kandertal vor allem aus Kandersteg bestand und alle alles machten. Da wurde auch ein Messebesuch im Ausland zum Höhepunkt: «Wir arbeiteten ja ohne grössere Umstände schon zusammen und vertraten dabei gleich das Oberland.» Sie verheimlicht auch nicht, dass sie stolz ist auf das Wachstum der Logiernächte in Kandersteg, an denen der Tourismus gemessen wird. Waren es 2008 knapp 265 000, schloss das sehr gute letzte Jahr mit 317 000 ab. «Als ehemalige Hotelière tut es weh, wenn ich an die verschwundenen Betriebe denke: Schweizerhof, Erika, Simplon, einige Gruppenunterkünfte und das Royal Park, lange Zeit unser Fünf-Stern-Aushängeschild. Zum Glück bringt das Pfadfinderzentrum viel Leben ins Dorf.»
Was mit dem baufälligen «Royal Park» passiert, ist weiterhin offen. Ein hochklassiges Hotel würde Kandersteg noch vertragen, das ziehe neue Gäste an und würde auch Einfluss auf die Läden haben. «Zahlungskräftige Besucher würden beispielsweise den Sportgeschäften guttun …» Für die Einheimischen und die Touristen erhofft sie sich, dass der Detailhandel vor Ort nicht noch mehr verschwindet. «Vielleicht müssten die Gemeinde und der Tourismus überlegen, ob künftig Unterstützung für Läden möglich oder nötig ist», denkt Doris Wandfluh laut nach.
Was wollen die Gäste heute?
In dieser langen Zeit gab es etliche spannende Begegnungen zwischen Wandfluh und Gästen. «Mir fällt vor allem auf, dass heute die Leute teilweise keine Ahnung mehr von der Natur haben. Und wir sind hier eben mitten in den Bergen. Telefonische Anfragen im März, wenn im Mittelland die ersten Blumen blühen, ob man jetzt im Gasterntal bräteln könne, erstaunen mich noch immer.» Auch das blinde Vertrauen auf Wetter-Apps oder der innere Zwang, sich an einen Fahrplan zu halten. Was antwortet die Vollblut-Touristikerin dann? «Sie haben doch Ferien. Schauen Sie sich um, geniessen Sie die Landschaft. Und nehmen Sie sich Zeit.»