KOLUMNE – QUERGESEHEN
18.04.2019 KolumneSein und Schein
Für einmal etwas Positives über den skurrilen US-Präsidenten, den man sonst gerne der Lügenhaftigkeit bezichtigt: Genau besehen legt auch Donald Trump grössten Wert auf die Wahrheit! Wie sonst ist es zu erklären, dass er seine Gegner hartnäckig ...
Sein und Schein
Für einmal etwas Positives über den skurrilen US-Präsidenten, den man sonst gerne der Lügenhaftigkeit bezichtigt: Genau besehen legt auch Donald Trump grössten Wert auf die Wahrheit! Wie sonst ist es zu erklären, dass er seine Gegner hartnäckig beschuldigt, über ihn selbst Lügen zu verbreiten? Gegen 8000 Falschaussagen hat die «Washington Post» dem Präsidenten bisher angekreidet, was Trump gar nicht gefällt: Diese Zeitung, CNN, überhaupt die meisten Medien würden ihn mit «fake news» fertigzumachen versuchen, jammert er. Daraus folgt, dass Lügen und wahrheitswidrige Nachrichten für Trump zum Übel auf der Welt gehören; sogar in seinem Wertesystem hat die Faktentreue einen Ehrenplatz. Wie bei uns allen. Es kann also nicht so schlimm stehen mit dem Bedeutungsverlust der Wahrheit, den Kulturpessimisten allenthalben beklagen. Und wenn Deutschlands Rechtspopulisten die Medien als «Lügenpresse» beschimpfen, sagen sie damit auch nur: Lügen ist böse! Trotz allen Geredes um das «postfaktische Zeitalter» – Wahrheit als ethische Maxime geniesst nach wie vor höchstes öffentliches Ansehen.
Sogar die «politische Korrektheit», über welche sich Rechtspopulisten lautstark aufregen, wird von diesen selbst in erstaunlichem Masse respektiert. Auch radikale Migrationsgegner bezeichnen nämlich Flüchtlinge aus Afrika kaum je als minderwertige Menschen; nicht einmal abseits der Öffentlichkeit will man sich rassistisch geben. Lieber bringen die Migrationskritiker sachliche, statistische Argumente vor – etwa dass Einwanderer in grosser Zahl bald unsere Sozialwerke ruinieren würden. Ob sie zutreffen oder nicht: Solche Überlegungen sind durchaus «politisch korrekt» und verstossen gegen niemandes Menschenwürde.
Aber eben: Hier der Schein, da das Sein. Manche einwanderungskritische Kommentare in Internet-Foren und Netzwerken wecken halt doch den Eindruck, dass nicht die Sorge um die Sozialwerke im Vordergrund steht – sondern die blosse Ausländerfeindlichkeit. Nicht die vorgeschobene, begreifliche Angst um den Arbeitsplatz, sondern Abscheu vor allem Fremden, Überlegenheitsdünkel, vielleicht gar purer Hass scheint die Gefühle vieler zu prägen. Ob der einzelne Migrationsablehner sich dessen bewusst ist? Oder ob ihm sein Ressentiment gegen die Andersartigkeit selber nicht geheuer ist, sodass er gegen die Migration auf rationale Argumente zurückgreift? Wir wissen es nicht. Aber es ist zu befürchten, dass es mit der Achtung für die Gleichheit aller Menschen doch nicht überall zum Besten steht. Dass dies schon immer so war, macht es nicht besser.
Und wie war das doch eben mit der Wahrheitsliebe des Donald Trump? Nun, er rühmt zwar die Tugend der Faktentreue. Aber nur so lange, wie er sich nicht selbst daran halten muss.
TONI KOLLER
TONI_KOLLER@BLUEWIN.CH