Sie hatte mehrere «Böse»
26.04.2019 Reichenbach, KientalDie Schwingersektion macht sich zum 100. Geburtstag gleich selber ein Geschenk: Sie lädt am 4. Mai zum Jubiläumsschwinget ein. An der vereinsinternen Feier im Spätherbst wird die Jubiläumsschrift aufliegen.
KATHARINA WITTWER
13 Jahre nach Frutigen, wo auch ...
Die Schwingersektion macht sich zum 100. Geburtstag gleich selber ein Geschenk: Sie lädt am 4. Mai zum Jubiläumsschwinget ein. An der vereinsinternen Feier im Spätherbst wird die Jubiläumsschrift aufliegen.
KATHARINA WITTWER
13 Jahre nach Frutigen, wo auch Reichenbacher Schwinger aktiv waren, wurde am 13. September 1919 im Gasthaus zur Linde (heute Dorfstrasse 23) die Schwingersektion Reichenbach gegründet. Hauptinitiant war Gottlieb von Känel zusammen mit dem Kien-Lehrer und Oberst Fritz Erb, dem Vater des legendären Sportjournalisten Karl Erb. Bereits ein Jahr später trat Reichenbach dem Oberländischen Verband bei.
Sieben verschiedene Übungslokale
Das Schützenhaus diente zwei Jahre auch als Übungslokal. Bald wurden Matten angeschafft, die im «Linden-Saal» ausgebreitet wurden. Da während des Zweiten Weltkrieges Geld für die Reparatur der inzwischen schadhaften Unterlagen fehlte, wurde vorübergehend in einem mit Stroh und Heu gepolsterten Tennboden geschwungen. Nach dem Krieg konnten die Männer im Schlachthaus an der Alten Strasse ihren ersten Schwingkeller einrichten. Weil dieser Raum zu einem Kühlhaus umfunktioniert wurde, belegten die Schwinger von 1957 bis 1997 im Sekundarschulhaus Kien (heute Oberstufenzentrum) einen Keller mit Sägemehl.
Eine Occasions-Baracke beim Sportplatz Kien diente weitere zwanzig Jahre als Trainingslokal. Diese entsprach dann nicht mehr den aktuellen Anforderungen – also wurde 2017 an gleicher Stelle das neue Schwingerlokal erstellt. Es ist zugleich Oberländisches Trainingszentrum und wird auch von den anderen drei Frutigländer Klubs benützt.
Ein einziger eidgenössischer Kranz
In der hundertjährigen Sektionsgeschichte wurden 33 Häupter gekränzt. Als einziger brachte Fritz Burri (1923 – 2004) 1953 eidgenössisches Eichenlaub aus Winterthur nach Hause. «Wir hatten zwar mehrere ‹Böse›, doch früher lag die Latte höher, weil an viel weniger Schwingfesten Kränze abgegeben wurden», weiss der Verfasser der Jubiläumsschrift Ueli Schneider vom Erzählen und aus Protokollen. Bis zu Beginn der 1960er-Jahre gab es bloss am Eidgenössischen, an den damals vier Bergfesten (Brünig, Rigi, Stoos und Schwarzsee), an den fünf Teilverbandsfesten (Bernisches, Nordost-, Nordwest-, Südwest- und Innerschweizerisches) sowie an den kantonalen Schwingfesten Kränze. Anschliessend durften im Wechsel alle drei Jahre an zwei Gauverbandsfesten (Oberland, Emmental, Seeland, Mittelland, Oberaargau, Jura), später an drei, dann an vier und seit dem Jahr 2000 an jedem Gauverbandsfest Kränze vergeben werden.
Aktiv-, Passiv- und Ehrenmitglieder
Bei der Vereinsgründung schrieben sich sofort 60 Mitglieder ein. Da in Aeschi erst 1955 eine eigene Sektion ins Leben gerufen wurde, umfasste das Einzugsgebiet auch Aeschi, Krattigen und die Gemeinde Spiez. Während der Kriegsjahre schrumpfte die Mitgliederzahl auf 20, stieg dann 1949 auf über 200 an. Mit aktuell 367 ist Reichenbach eine der grösseren Sektionen im Oberländischen Schwingerverband. Davon sind neun aktive Schwinger, 38 Ehren- und 320 Passivmitglieder.
«Ohne Frauen geht nichts», betont Schneider und fügt gleich an, dass er damit nicht Schwingerinnen meine. «Die haben sich inzwischen selber organisiert.» Verschiedene Klubs haben Frauen im Vorstand und die Zahl der weiblichen Passivmitglieder ist überall gross. Sie alle sind dem Schwingsport zugetan, unterstützen die Vereine mit ihrem Jahresbeitrag und helfen bei der Durchführung von Anlässen.
«Als wir vor acht Jahren Therese Wandfluh die Ehrenmitgliedschaft verliehen, ernteten wir Kritik aus anderen Sektionen. Sie hat für unseren Klub enorm viel geleistet – und tut es immer noch. Diese Ehre hat sie zweifellos verdient!», sagt Ueli Schneider, der selber Ehrenmitglied ist. Ungezählte Male habe sie Buben mit ihrem Auto an Jungschwingeranlässe chauffiert, helfe stets in der Festwirtschaft mit und packe überall dort mit an, wo Not am Mann ist.
Fünf Oberländische und ein Kantonales
Eine Reise an ein Oberaargauisches, auf die Rigi oder gar an ein Eidgenössisches war bis Mitte des letzten Jahrhunderts teuer und umständlich. Hingegen sei es manchmal gar lustig zu und her gegangen, wenn die Mannen gemeinsam auf den Brünig und am Abend in angeheitertem Zustand nach Hause geradelt seien.
Damit sich die Aktiven untereinander messen können, organisiert fast jeder Verein einen Wettkampf pro Jahr. Wegen des grossen Einzugsgebietes wurden seinerzeit im Frühling in Aeschi und im Herbst ein zusätzlicher Schwinget in Reichenbach oder Mülenen ausgetragen. Nach längerer Suche für einen geeigneten Austragungsort konnte dem Wunsch nach einem Bergschwinget entsprochen werden: Premiere an Ramslauenen war 1967. Weil noch keine Strasse existierte, wurde das Sägemehl in Säcke abgefüllt und – ebenso wie die Festbänke – mit der Sesselbahn transportiert.
Reichenbach war bisher fünfmal Austragungsort des Oberländischen. Absoluter Höhepunkt war zweifellos das Kantonale 1963. «Das flott gelungene Fest wird nicht nur in der Gemeinde, sondern im ganzen Kanton in lebendiger Erinnerung bleiben», schrieb der damalige OK-Präsident Fritz Burri im Jahresbericht.
Auch der Nachwuchs wird ehrenamtlich gefördert
Mit einem eher symbolischen Jahresbeitrag von 10 Franken liegen für den Verein keine grossen Sprünge drin. «Wir Schwinger machen alles ehrenamtlich», erklärt Vereinspräsident Ruedi Zahler. Dazu gehören die Arbeit im Vorstand, der Auf- und Abbau sowie die Mithilfe bei der Durchführung eines Schwingfestes, und nicht zu vergessen – die Nachwuchstrainer. «Buben von 8 bis 16 Jahren können bei den Frutigländer Klubs kostenlos trainieren. Ist es den Eltern nicht möglich, ihre Kinder an Feste zu begleiten, übernehmen dies Vereinsmitglieder – ohne Entschädigung wohlverstanden.
Am Samstag, 4. Mai, findet das Jubiläumsschwingfest beim Sportplatz Kien mit Schwingern aus dem Kanton Bern, Herisau und Sissach statt. Anschwingen 14 Uhr. Festwirtschaft, musikalische Unterhaltung und Barbetrieb. Sonntag, 5. Mai: Frutigtaler Buebeschwinget ab 8 Uhr
Ein uraltes Hirtenspiel
Die Wurzeln des Schwingens liegen im Dunkeln. Eine Darstellung in der Kathedrale Lausanne aus dem 13. Jahrhundert zeigt die typische Art, Griff zu fassen. Dieses Kleider- und Gürtelringen rückt das Schwingen in die Nähe des Ringens, das in den Hochkulturen Ägyptens und Chinas verbreitet war. Das handgreifliche Kräftemessen wurde schon früh zum festen Bestandteil der Festkultur im Alpenraum. Die strenge Sittengesetzgebung des 16. und 17. Jahrhunderts führte zu Schwingverboten, denn der Obrigkeit gefiel es nicht, wenn das Volk Wettkämpfe austrug, statt «z’Predigt» zu gehen. Als eigentliche «Sporttage» galten die Kirchweihe (Chilbinen) und die Fasnacht. Dort kam man zusammen zum Essen und Trinken, Singen und Tanzen, zum Kegeln, Steinstossen, Schiessen, Schwingen und für «mengerlei Sünden …».
Ab dem 18. Jahrhundert wurden «Bergdorfeten» und «Alpschwingete» organisiert. Eine Neubelebung des Schwingens brachte das erste Alphirtenfest zu Unspunnen 1805. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde aus dem ursprünglichen Spiel der Hirten und Bauern ein Nationalsport, der in die Städte überschwappte und seither alle Gesellschaftsschichten umfasst. Bald wurden einheitliche Regeln geschaffen und 1895 der Eidgenössische Schwingerverband gegründet.
QUELLE: EIDG. SCHWINGERVERBAND / WI