Unterwegs mit den orangen Schutzengeln
02.04.2019 GesellschaftERLEBNISBERICHT Der pensionierte Polizist und Bergführer Bernhard Bühler sprang während zwei Wochen als Hilfspatrouilleur auf den Pisten der Bergbahnen Adelboden AG ein. Er erzählt von gebrochenen Kinderknochen, überforderten SkifahrerInnen und Evakuierungen bei Wind und ...
ERLEBNISBERICHT Der pensionierte Polizist und Bergführer Bernhard Bühler sprang während zwei Wochen als Hilfspatrouilleur auf den Pisten der Bergbahnen Adelboden AG ein. Er erzählt von gebrochenen Kinderknochen, überforderten SkifahrerInnen und Evakuierungen bei Wind und Sturm.
«Wir haben gerade auf der Piste Markierungen aufgestellt, als der Funk ruft: ‹Unfall im Sandige Bode›. Unverzüglich ergreift Patrouilleur David den Rettungsschlitten und braust los. Trotz des starken Sturmes und der schlechten Sicht ist er so schnell, dass ich als normaler Skifahrer kaum folgen kann. Bei der Patientin angekommen, kniet David neben das elf Jahre alte Mädchen aus dem Irak. Es weint und stöhnt vor Schmerzen. Diagnose: Oberschenkelbruch.
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Der starke Sturm bläst den Schnee in alle Ritzen. An einen Helikoptereinsatz ist nicht zu denken. David orientiert über Funk die Zentrale und bestellt die Ambulanz zum Restaurant Aebi. Es gilt, das Mädchen zuerst vor Kälte zu schützen. Die guten alten Militärwolldecken sind immer noch die beste Abwehr gegen Widrigkeiten des Wetters. Wärmebeutel werden hervorgeholt, Schmerzmittel verabreicht. Der Sturm hat nicht nachgelassen. Trotz der Schmerzen muss dem Mädchen eine Schiene angelegt werden. David macht das sehr behutsam und spricht ruhig auf die Verletzte ein. Es ist viel Feingefühl gefragt. Gemeinsam betten wir das Kind auf den Schlitten und gurten es an. Schon fünf Minuten später steht das Gefährt in einem geheizten Raum beim Restaurant Aebi. David hat ein Plüschtier bei sich und zeigt es dem Mädchen, um es abzulenken. Der Rettungssanitäter setzt die Infusionsnadel an.
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Pistenpatrouilleure müssen auf Draht sein. Das zeigt sich auch bei einem anderen Unfall, einer Kollision zwischen einem Skifahrer und einem Kind. David und sein Kollege Simon meistern diese Herausforderung mit Bravour. Patient betreuen, den Rettungshelikopter anfordern, Piste absperren, Polizei orientieren – alles ist eingespielt und vollzieht sich ruhig und ohne jegliche Hektik.
Unverständnis löst bei mir folgende Begebenheit aus: Kurz vor 17 Uhr, bevor wir die Pisten ein letztes Mal kontrollieren, läutet das Telefon. Eine Schulklasse mit Kindern zwischen sieben und acht Jahren. Die Gruppe sitzt bei der Bergstation Stand wegen des starken Sturms fest. Wir schicken unverzüglich Pistenmaschinen los, um die geschockten SchülerInnen abzuholen. Beim Eintreffen auf Sillerenbühl werden sie empfangen. Kein Wort des Vorwurfs an die verantwortlichen Lehrkräfte. Der Helfergedanke steht im Vordergrund.
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Bei der abschliessenden Pistenkontrolle treffen wir eine Frau an. Sie trägt die Ski vor sich an den Körper gepresst und ist zu Fuss unterwegs. Sie hat die Wetterund Pistensituation unterschätzt. Patrouilleur Simon nimmt die Frau ohne Umschweife auf den Rücken, ich ergreife die Ski, und ab geht es Richtung Aebi. Noch ein Taxi bestellen, und unsere Arbeit ist fertig. Kein Wort des Dankes von der geretteten Dame. ‹Das ist Alltag›, meint Simon.
Der kurzzeitige Einsatz als Hilfspatrouilleur hat mich beeindruckt. Ich durfte mit ausserordentlich verantwortungsbewussten und motivierten Menschen zusammenarbeiten. Die Zeit mit den Helfern in ihren orangen Westen hat mir die Augen für ihr Können, ihr umsichtiges Handeln in kritischen Situationen und ihr Wissen geöffnet. Ich ziehe vor der Arbeit dieser Männer den Hut.»
BERNHARD BÜHLER, ADELBODEN