Die erste Zündhölzlifabrik in Frutigen
31.05.2019 Frutigen1850 wurde mitten im heutigen Dorf der Betrieb der ersten Zündhölzlifabrik aufgenommen. Diese brachte etlichen armen Leuten ersehnten Verdienst. In den folgenden Jahren wurde die Produktion ausgebaut, doch es gab auch dunkle Kapitel in dieser Geschichte.
Rund 120 Jahre ...
1850 wurde mitten im heutigen Dorf der Betrieb der ersten Zündhölzlifabrik aufgenommen. Diese brachte etlichen armen Leuten ersehnten Verdienst. In den folgenden Jahren wurde die Produktion ausgebaut, doch es gab auch dunkle Kapitel in dieser Geschichte.
Rund 120 Jahre lang, von 1850 bis 1970, war die Zündhölzliindustrie für das Frutigland sehr wichtig und geradezu typisch, denn nirgendwo sonst gab es eine solche Dichte an entsprechenden Fabriken. Die Kenntnis, wie Zündhölzli herzustellen sind, war 1839 von Deutschland nach Zürich gekommen und verbreitete sich in den 1840er-Jahren rasch in den ländlichen Gebieten der Deutschschweiz. Im Jahre 1847 wurden eine Fabrik in Interlaken und eine im Schloss Unterseen eingerichtet. Dort lernten bald auch Frutiger diese neuartige Industrie kennen.
Aus der Fabrik wurde eine Backstube
Landseckelmeister Friedrich Schneider, Vieharzt Christian Zurbrügg von Reinisch, und sein gleichnamiger Sohn sowie Amtsschreiber Bütschi taten sich zusammen und liessen unter dem Namen Friedrich Schneider & Compagnie im Jahr 1850 die erste Zündhölzlifabrik in Frutigen bauen. Das Fabrikgebäude steht heute noch: Es ist das Haus Stucki an der Dorfstrasse, seit mehr als 90 Jahren eine Bäckerei, heute «Schneider’s Backstube». Der Bauplatz lag damals ausserhalb des Dorfkerns. Zwischen der Leischengasse beziehungsweise der heutigen Postgasse und dem Leimbach stand an der Landstrasse nur ein einziges Haus, jenes des Bäckers Maurer (dort befindet sich heute das Kleidergeschäft Seematter). In Leimbachnähe, jenseits der Oberdorfgasse, gab es nur noch die Scheune von Jakob Rubin.
Das erste Baugesuch
Friedrich Schneider (er vertrat meistens die «Compagnie» gegen aussen) richtete im Juni 1850 nach einigen Vorabklärungen eine Bittschrift an den Regierungsrat. Darin ersuchte er um die Baubewilligung für die Fabrik: «Der Petent Herr Landsekelmeister Friedrich Schneider et Comp. sind Vorhabens auf einem von Johannes Maurer, Sohn, erkauften Plaze nächst dessen Bäkerei-Lokal an der Leischen im Dorf Frutigen, ein neues Gebäude zur Fabrikation von Zündhölzchen, nach Mitgabe des aufgestellten Profils, in Mauer und Rieg aufführen und dann mit Ziegeln eindeken zu lassen.» Der Regierungsstatthalter umschrieb den Bauplatz zu Handen der Regierung noch näher: «Das Gebäude käme auf ein Grundstük zu stehen, das zwischen der Thunstrasse und einem Dorfwege einen Triangel bildet. […] Das Trottoir neben der Strasse ist sechs Fuss [1,80 Meter] breit und dicht an dieses käme das aufzuführende Gebäude zu stehen.»
Armenverein setzt sich für den Bau ein
Der Gemeinderat unterstützte das Vorhaben. «Der Gemeinderath empfiehlt die Herren Petenten bei den betreffenden Behörden um Bewilligung ihres Vorhabens dringend, denn durch die Errichtung dieser Fabrike wird der hiesigen armen Bevölkerung ein schöner Verdienst zugesichert, was bei der gegenwärtigen Verdienstlosigkeit und sich immer mehrenden Noth um so erwünschter sein muss.» Hier wird erstmals angeführt, dass die Fabrik die Armut lindern würde.
Der Regierungsstatthalter nahm dieses Argument auf und bekräftigte, dass die Zündhölzlifabrik im Interesse der Armen liege. Schliesslich befürwortete auch der Armenverein das Projekt; offenbar hatte dieser sogar den Anstoss dazu gegeben. Namens dieses Vereins schrieb Pfarrer Schädelin im Juli 1850 dem Regierungsrat: «Angeregt durch hiesigen Armenverein haben sich drei wohlhabende Bürger entschlossen, eine Zündhölzchenfabrik zu errichten, wodurch den Armen viel Verdienst zugewendet würde. […] Die Unternehmer haben einen Sachverständigen bestellt, der schon im Frühjahr mit Familie hergezogen ist. Die Baumaterialien sind gerüstet. Nun verzögert sich die Sache wegen der nöthigen Bewilligung. […] Ich bin daher auch im Namen des Armenvereins so frei, dringend um Beschleunigung der Sache zu bitten, damit der Bau beginnen könne.» Die künftigen Fabrikanten hatten also bereits einen «Sachverständigen» engagiert, der sie beim Bau beraten und die Produktion leiten sollte. Er dürfte seine Kenntnisse in einer der Fabriken in Interlaken erworben haben.
Brandstifter als Fabrikbesitzer?
Es gab Widerstand gegen das Vorhaben. Mit einer gemeinsamen Eingabe wollten vier Männer und eine Frau die Fabrik verhindern. In erster Linie befürchteten sie, dass von der Fabrik eine Feuersgefahr ausginge. Als Argument brachten sie sogar die verleumderische Behauptung vor, dass Friedrich Schneider bereits den Dorfbrand von 1827 verursacht habe, der in dessen Vaters Haus ausgebrochen war. Diese Unterstellung war unwahr, denn Friedrich Schneider weilte gemäss Berichten von 1827 beim Brand auf einer Alp. Nebst der Feuersgefahr argumentierten die Projektgegner auch damit, dass die Nachbarn durch einen unerträglichen Gestank belästigt und gesundheitlich geschädigt würden.
Der Kantonsbaumeister sah keine Feuersgefahr, denn das nächste Gebäude, die Scheune von Rubin, sei 50 Fuss (15 Meter) entfernt und die Fabrik werde feuersicher gebaut. Am 23. August 1850 erhielten Schneider & Comp. die Baubewilligung. Nach einem nochmaligen Rekurs der Opponenten, weiteren Untersuchungen durch einen Arzt und einen Baumeister und einer Stellungnahme des Gemeinderates, nach dessen Beurteilung «gar keine Feursgefahr vorhanden sei, und der Bau nach dem Baureglement des Dorfes Frutigen ausgeführt sei», wurde am 29. November 1850 auch die Betriebsbewilligung erteilt.
Eine traurige Zeit für die Kinder
Um den Jahreswechsel 1850 / 51 begann die Produktion. Die Fabrikationsräume befanden sich im ersten Stock des Gebäudes. Das Dachgeschoss diente wahrscheinlich als Lager, vielleicht anfänglich auch zur Herstellung von Schächtelchen und rohen Hölzchen. Im untersten Stock wurden später, 1866, eine Wohnung und ein Kramladen eingerichtet.
Der Betrieb begann offenbar gut. Im Amtsbericht für das Jahr 1851 schrieb der Regierungsstatthalter: «Die Herren Schneider & Cie. in Frutigen treiben einen bedeutenden Handel mit den von ihnen fabrizirten Zündhölzchen, ich glaube, mit gutem Erfolg. Wenigstens ist dieses Unternehmen für die Dorfschaft Frutigen eine Wohlthat, da die Fabrike durchschnittlich ca. 100 Arbeiter, meistens Kinder, beschäftigt.» Hier ist bereits ein Hinweis auf ein trauriges Kapitel jener Zeit vorhanden, die Kinderarbeit. Auch ganz kleine Kinder mussten in der Fabrik arbeiten. Erst im Jahr 1865 wurde es im Kanton Bern verboten, Kinder unter 7 Jahren in den Zündhölzlifabriken zu beschäftigen, und gegen grossen Widerstand erhöhte das Fabrikgesetz von 1877 die Altersgrenze für Fabrikarbeit schweizweit auf 14 Jahre.
Der Kanton macht ein Ende
Dieser ersten Zündhölzlifabrik folgten im Laufe der Jahre viele andere; schon 1876 gab es im Amtsbezirk Frutigen deren 20. Die Fabrik von Schneider & Comp. ging 1867 an den bisherigen Teilhaber Christian Zurbrügg Vater über und 1871 an Peter Gyseler. Gegen die Fabrik gab es zunehmenden Widerstand, nun vor allem von den Kantonsbehörden, denn weder Lage noch Einrichtung genügten den neuen Gesetzen. Im Jahr 1876 erhielt Gyseler die erste Schliessungsverfügung. Durch Einsprachen konnte er die Schliessung noch einige Jahre hinauszögern. Ende 1880 machte Gyseler aber Konkurs und die Fabrik ging ein.
HANS EGLI
Die Kulturgutstiftung Frutigland plant eine Ausstellung über die Zündholzindustrie in Frutigen. Wer Gegenstände, Fotos oder Schriftstücke besitzt, möge sich melden bei: Arthur Grossen, Telefon 033 671 35 18, oder Ruedi Egli, Telefon 033 671 16 34.