KOLUMNE – PUNKTLANDUNG
31.05.2019 KolumneKorsikas TGV und die SBB
Meine erste Fahrt mit den Camini di Ferru di a Corsica führten mich vor zehn Jahren mit Bahnjournalisten von Bastia nach Calvi. Nach einer abwechslungsreichen Fahrt in einem rauchenden und röhrenden Diesel-Zweiwagenzug erreichten wir nach drei ...
Korsikas TGV und die SBB
Meine erste Fahrt mit den Camini di Ferru di a Corsica führten mich vor zehn Jahren mit Bahnjournalisten von Bastia nach Calvi. Nach einer abwechslungsreichen Fahrt in einem rauchenden und röhrenden Diesel-Zweiwagenzug erreichten wir nach drei Stunden die Haltestelle E Padule kurz vor Calvi. Bei gefühlten 45 Grad im Schatten und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit empfing uns der Directeur des Chemins de Fer de la Corse (CFC) im «Complet», also im Anzug, weissen Hemd und mit Krawatte. Auf Fachfragen fand der Monsieur aus Paris kaum Antworten, war er doch von der damaligen Mutter der Inseleisenbahn, der Staatsbahn SNCF, erst vor Kurzem nach Korsika versetzt worden.
Auf der Ile de Beauté waren wir wegen des alpinen Charakters der Landschaft wie der abenteuerlichen Streckenführung über 231 Kilometer mit 34 Brücken und Viadukten – darunter auch solche von Gustave Eiffel – und 38 Tunnels. Versprochen war uns die Fahrt mit einem der neuen Panoramazüge. Sie sollten für die Korsen zum Stolz auf Schienen werden, zum TGV Corse. Wobei hier die Abkürzung für «Train à Grande Vibration» (Hochschwingungszug) steht! Es reichte dann allerdings nur zur Besichtigung einer in der Hauptstadt Ajaccio diskret hinter dem Güterschuppen abgestellten Komposition. Fahren durfte sie nach den ersten Tests nämlich nicht, denn in engen Kurven pflegte sie aus den Schienen zu springen, die Klimaanlage funktionierte nicht, Bremsen versagten ihren Dienst. Nach mehreren Anläufen gelang es dem spanischen Hersteller schliesslich, diese doch sicher dem Betrieb zu übergeben.
Was aus dem damaligen CFC-Directeur geworden ist, weiss ich nicht. Doch steht fest, dass auch seine Nachfolger dem Schienenverkehr auf der Insel nicht zum Durchbruch verhelfen. Das touristische Potenzial wird kaum erkannt – obwohl es jetzt einen vierteljährlich (!) wechselnden Fahrplan für die «Grandes Lignes» (zwei bis fünf Verbindungen pro Tag) und einen für den «Train des Sables» entlang den Sandstränden zwischen Calvi und Ile-Rousse (bis zu acht Fahrten im Juli und August) gibt. Hier herrschen bereits in der Vorsaison Zustände wie zu S-Bahn-Stosszeiten. Wohl um die ferienmachenden Städter nicht allzu abrupt aus ihrem Berufsalltag zu reissen, setzt man nur einen Triebwagen ein. Wenn das dann so eng wird, dass der Contrôleur seinen Auftrag nicht mehr erledigen kann, hängt man einen Wagen an. Dieser ist ein «Stehfahrzeug»: Die CFC hat ihn kürzlich von den platzraubenden Sitzen befreit und schafft so mehr Raum für an Metroverhältnisse gewohnte Passagiere. Will man einige Blicke auf die faszinierende Küstenlandschaft erhaschen, empfiehlt es sich bereits eine halbe Stunde vor Abfahrt, einen Fensterplatz auf der richtigen Seite zu ergattern.
Konsequent ist die CFC bei den Tarifen: Es gibt keine Reduktion für Stehplätze, keine für Kinder über 12 Jahre, Jugendliche, Studenten oder Pensionierte. Mitreisen darf nur, wer sich geziemt kleidet und anständig aufführt – Badekleider, Essen und Trinken an Bord sind nicht gestattet. Fahrräder werden nicht befördert. Bloss zahme Hunde dürfen zum halben Preis mitreisen – an den Bahnhöfen gibt es Aushänge, welche die verbotenen Kampfhundetypen zeigen. Hingegen existiert ein Generalabonnement, der «Pass Libertà», für sieben Tage unbeschränktes Fahren auf dem ganzen Netz der CFC für bescheidene 50 Euro. Und dazu eine kostenlose und intensive Kundenbetreuung: Um den aus zwei Wagen bestehenden «Strandzug» in Calvi in Bewegung zu setzen und während 45 Minuten bis Ile-Rousse in Fahrt zu halten, braucht es einen Schalterbeamten, den Stationsvorstand zum Abfertigen, den Lokomotivführer und zwei Kondukteure an Bord!
Fazit: Ich empfehle zwei Gruppen von Schweizer «Verkehrsexperten» eine Studienfahrt auf Korsika. Einmal diejenigen, die permanent und penetrant an unserem hervorragend funktionierenden, effizienten und preiswerten ÖV-System herummäkeln. Dann den Vertretern der obersten Etage der SBB, um sich mit der Direction der CFC auszutauschen: Was es braucht, um neues Rollmaterial in Fahrt zu bringen und wie man ungeahnte Kreativität bei der Tarifgestaltung entwickelt.
KURT METZ
MAIL@KURTMETZ.CH