«Jetzt muss ich raus und ihn nehmen»
06.09.2019 Adelboden, SportAcht Knieoperationen und drei Jahre Zwangspause: Kaum jemand hätte in dieser Zeit wohl geglaubt, dass sich Thomas Inniger dereinst einen eidgenössischen Kranz erkämpfen würde. In Zug ist ihm dieser vorläufige Karrierehöhepunkt nun gelungen – und sein Heimatdorf feierte mit ihm. ...
Acht Knieoperationen und drei Jahre Zwangspause: Kaum jemand hätte in dieser Zeit wohl geglaubt, dass sich Thomas Inniger dereinst einen eidgenössischen Kranz erkämpfen würde. In Zug ist ihm dieser vorläufige Karrierehöhepunkt nun gelungen – und sein Heimatdorf feierte mit ihm. Was Inniger als Nächstes vorhat und was in seiner Schwinger-WG so aufgetischt wird, erfahren Sie im Interview. GALERIE
SCHWINGEN Am Mittwoch wurde in Adelboden ausgiebig gefeiert: Der erste eidgenössische Kranz des Schwingklubs, errungen von Thomas Inniger (22) in Zug. Damit hat sich eine Prophezeiung aus dem Jahr 2012 erfüllt.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Fünfmal verliess Thomas Inniger am Eidgenössischen Schwingfest in Zug den Sägemehlring als Sieger, er bezwang unter anderem die Eidgenossen Raphael Zwyssig und Michael Bless. Am Schluss resultierte Rang 9b mit 75.25 Punkten und der ersehnte eidgenössische Kranz. Vor dem offiziellen Empfang und der Ehrung im Schulhaus Boden hat der junge Spitzensportler über seine Verletzungen, das Comeback und seine Zukunftspläne gesprochen.
Thomas Inniger, kann der Stellenwert eines eidgenössischen Kranzes – für den Laien – mit irgendeiner Auszeichnung verglichen werden?
Das ist sehr schwer. Es ist eine nationale Auszeichnung und es gibt ausser dem Kranzfestsieg und dem Schwingerkönigtitel keine Steigerung mehr. Aber das sind dann sehr hohe Erwartungen.
Sie hatten eine starke Saison – der Kranz in Zug war also fällig?
Ich habe in diesem Jahr vier Kränze erreicht, andere waren da viel besser. Aber ich bin natürlich zufrieden. Fällig war der Kranz keinesfalls. Daran geglaubt habe ich natürlich schon, aber damit gerechnet nicht.
Wie gingen Sie in den achten entscheidenden Gang, als der ersehnte Kranz in Reichweite war?
Wir erfahren die Paarungen jeweils eine halbe Stunde früher als das Publikum. Als ich Michael Bless las, wurde ich sofort konzentriert und ging dann voller Überzeugung aus der Garderobe. Dieses Gefühl hatte ich noch nie. Als dreifacher Eidgenosse ist er ja kein unbeschriebenes Blatt. Ich wusste, ich muss jetzt raus und ihn nehmen.
An was dachten Sie, als Bless auf dem Rücken lag?
Nach dem Ringrichterruf drehte ich mich zur Tribüne der Berner. Dann hörte ich Michael Bless stöhnen. Ich schaute dann zuerst, was mit ihm los war. Leider hat er sich den Mittelfussknochen gebrochen. Für mich war in dem Moment wichtig zu erfahren, wie es meinem Gegner geht. Richtig realisiert habe ich erst ausserhalb des Rings, dass ich mein grosses Ziel erreicht habe.
Um ihre Leistungen in Zug zu beurteilen, muss auch Ihre Krankengeschichte betrachtet werden. Was ist 2011 und danach genau passiert?
Bei einem Bike-Unfall wurde die linke Kniescheibe verschoben und dann sprengte es mir Knorpel weg. Beim Schwingen kamen dann weitere Schläge dazu, die ebenfalls wieder Knorpel beschädigten. Insgesamt hatte ich links fünf Operationen und drei am rechten Knie.
Sie mussten dann drei Jahre, von 2015 bis 2017, aussetzen. War Aufhören in dieser Schwingpause ein Thema – oder der Wechsel in eine andere Sportart?
Natürlich. Es hiess lange Zeit, Schwingen werde nicht mehr möglich sein. Deshalb bin ich heute dankbar, dass es wieder gut geht, auch wenn ich die Verletzungen ab und zu spüre. Und so wie es jetzt läuft, denke ich sicher nicht an andere Sportarten.
Sie waren schon als 7-Jähriger im Sägemehl. Wie kam es überhaupt dazu?
Mein Vater Alfred hat früher geschwungen und mich zu seinem Training mitgenommen. Er musste verletzungsbedingt früh mit dem Sport aufhören, doch mir nahm es beim ersten Mal gleich «den Ärmel rein».
Sie haben angeblich schon 2012 prophezeit, 2019 einen eidgenössischen Kranz zu holen. Sind Sie Hellseher?
(Lacht) Wir haben damals in einem Trainingslager unsere Ziele aufschreiben sollen. Die drei notierten Zwischenziele habe ich nicht erreicht, aber den Kranz schon. Aber das ist wohl eher Zufall.
Haben Sie diesen Zettel noch?
Ja, der hängt zu Hause. Eigentlich könnte ich den jetzt wegnehmen. Aber er war in den schwierigen Jahren immer ein bisschen Motivation für mich. Ich wäre sehr enttäuscht gewesen, wenn ich die Karriere ohne eidgenössischen Kranz hätte beenden müssen.
Was steht jetzt an – als nächster Schritt ein Kranzfestsieg?
Das wird mit dem breiten Mittelfeld und der starken Spitze bei den Berner Schwingern extrem schwer. Und für mich wird es mit den Einteilungen nach diesem Kranz sicher nicht leichter. Aber ich freue mich darauf. Man muss ja immer ein Ziel haben, also wer weiss ...?
Kann oder muss der riesige Trainingsaufwand dafür noch gesteigert werden?
Im Winter trainiere ich pro Woche sechsbis siebenmal, im Sommer viermal. Mindestens zweimal davon im Sägemehl, die anderen Blöcke sind Ausdauer und Kraft. Das ist kaum mehr zu steigern, sonst wird die Erholungszeit zu kurz. Allenfalls können gewisse Schwächen gezielter angegangen werden.
Und stimmt die Vorstellung vom Schwinger, der dauernd und in rauen Mengen Teigwaren isst?
Vor allem seit Patrick Gobeli und ich eine Schwinger-WG bilden, wird sehr auf die Ernährung geachtet. Aber kaum Teigwaren! Wir essen viel Fleisch, jeden Tag Eier, Früchte und viel Reis. Das sei besser als Teigwaren, hat die Beraterin gesagt.
Wie bringen Sie Job, berufliche Ambitionen und das Privatleben unter einen Hut?
Der Sport ist klar der Schwerpunkt in meinem Leben. Das geht aber nur, wenn das Umfeld mit Familie, Freundin und Betrieb mitmacht. Die müssen schon zurückstecken. Erfolge wie am «Eidgenössischen» entschädigen sie hoffentlich auch ein bisschen. Aber ohne Goodwill des Chefs könnte ich diesen Aufwand kaum meistern.
Die Art der Auswahl der Paarungen stösst vor allem bei Neulingen ab und zu auf Kritik. Was sagen Sie dazu?
Es wird ja niemand gezwungen, beim Schwingen zuzuschauen. Es ist ein Teil des Sports, seit eh und je. Das gehört einfach dazu, solange es für die Schwinger selber stimmt.
Und was halten Sie von Frauen im Ring?
Ich habe im Training auch schon gegen Frauen geschwungen, aber aktiv verfolge ich deren Wettkämpfe nicht. Wenn jemand Spass daran hat, soll er oder sie doch jeden beliebigen Sport ausüben können.
ZUR PERSON
Der Adelbodner Thomas Inniger hat Jahrgang 1997, ist ledig und wohnt zusammen mit seinem Schwingerkollegen Patrick Gobeli aus St. Stephan in Diemtigen in einer WG. Das habe Vorteile bezüglich der Wege in die verschiedenen Schwingkeller zu den Trainings. Inniger ist gelernter Heizungsinstallateur und hat sich zum Heizungsplaner weitergebildet. Derzeit arbeitet er als Planer bei der Adelbodner Firma Spiess Energie + Haustechnik AG. Aktuell ist die berufliche Karriere nicht zentral, doch kann er sich für die Zukunft durchaus auch eine Tätigkeit als Sportinstruktor oder ähnliches vorstellen.
HSF