Aus Spass wurde Ernst – jetzt will sie laufen
20.12.2019 Kandersteg, SportNachdem es aus Verletzungsgründen mit dem alpinen Skirennsport vorbei war, fing Natascha Baer an zu laufen. Aus Spass und zur Befriedigung ihres Bewegungsdranges. Heute ist sie Schweizermeisterin im Marathon und beginnt, den Spass ernst zu nehmen.
KEREM S. MAURER
Nachdem es aus Verletzungsgründen mit dem alpinen Skirennsport vorbei war, fing Natascha Baer an zu laufen. Aus Spass und zur Befriedigung ihres Bewegungsdranges. Heute ist sie Schweizermeisterin im Marathon und beginnt, den Spass ernst zu nehmen.
KEREM S. MAURER
«Ich bin ehrgeizig, zielorientiert und kann auch faul sein», lacht die zierliche Sportlerin. Das ursprünglich in Kandersteg geplante Treffen mit Natascha Baer kam spontan in Spiez zustande. Spontan und flexibel sollte auch sein, wer mit der 25-Jährigen Schritt halten will. Natascha Baer wirkt konzentriert und wählt ihre Worte mit Bedacht, obschon sie eigentlich schon wieder auf dem Sprung ist. Seit ihrem Schweizermeistertitel im Marathon, den sie im vergangenen September errungen hat, ist nichts mehr so, wie es einmal war.
Die sympathische Kanderstegerin erzählt, wie ihre Eltern, die selber schon immer sportlich unterwegs waren, sie auf die Skier gestellt hätten, als sie kaum laufen konnte. Langlauf gehört bei Baers zum Winterleben mit dazu, und Skifahren – nun, «das macht man halt einfach, wenn man im Frutigland aufwächst», erklärt sie, als wäre dies die natürlichste Sache der Welt. Ausserdem gehe man wandern und erklimme die umliegenden Voralpengipfel. Auf den ersten Blick ist Natascha Baer also eine ganz gewöhnliche Kanderstegerin – nur, dass sie eben oft ein bisschen schneller ist als alle anderen.
Mentale Stärke trotz Verletzungspech
Von ihrer Schnelligkeit erfuhr Natascha Baer spätestens dann, als sie im Skiclub Frutigen erfolgreich ihre ersten Skirennen fuhr, zum Beispiel den Migros-Grandprix. Sie schaffte es in den Regionalen Skisportverband und landete schliesslich im zarten Alter von 14 Jahren als eines von drei Mädchen ihres Jahrgangs im Nationalen Leistungszentrum Engelberg, der Talentschmiede für junge Skirennfahrerinnen schlechthin. Es schien perfekt – doch dann kam alles ganz anders. Bereits im ersten Jahr in Engelberg suchte sie das Pfeiffersche Drüsenfieber heim, und als wäre das nicht genug, riss auch noch das Kreuzband in ihrem linken Knie, ein Jahr darauf dann das rechte. «So bin ich in Engelberg nie wirklich auf Touren gekommen», erinnert sie sich und fügt ohne Wehmut oder Gram in ihrer Stimme hinzu, dass sie im Nationalen Leistungszentrum keine einzige ganze Saison habe durchfahren können.
Letzten Endes waren es die Verletzungen, die sie zwangen, den alpinen Skirennsport aufzugeben. Was aus ihr ohne Verletzungspech hätte werden können? «Das weiss man nicht, und es ist auch nicht wichtig», sagt sie ruhig. Natascha Baer hat nicht nur einen Weg gefunden, sich mit dieser unglücklichen Geschichte auseinanderzusetzen, sie hat sich auch damit abgefunden und kann sich damit zufrieden geben. Und sie würde alles noch einmal genauso machen, resümiert sie.
«Ich dachte nicht daran, Läuferin zu werden!»
Ihre Mutter sei in den letzten Jahren eine begeisterte Läuferin gewesen, berichtet Natascha Baer und ergänzt, dass sie nach dem Aus im Skirennsport vorerst definitiv keine neue sportliche Herausforderung gesucht hätte. Und wenn, dann nicht unbedingt im Laufen. Eher hätte sie ihre Mutter als «verrückt» bezeichnet, weil diese «stundenlang in der Gegend herumrannte».
Doch der quirligen jungen Frau fehlte schon bald die Bewegung, das regelmässige Training – und nicht zuletzt auch das Wettkampf-Feeling. So begann sie, ihre Mutter beim Laufen zu begleiten. Nicht immer, aber immer öfter und eigentlich «nur zur Befriedigung meines Bewegungsdranges», wie Natascha Baer betont.
Doch bald schon startete sie zusammen mit ihrer Mutter an einem Halbmarathon. «Das hat mir grossen Spass gemacht!», sagt sie und erzählt, wie sie quasi in den Laufsport hineingerutscht sei. Im Jahr 2016 bestritt sie dann in Davos ihren ersten Marathon. Es sei mehr darum gegangen, ins Ziel zu kommen, als eine gute Zeit zu laufen, erinnert sie sich. «Es war eine harte Erfahrung und ein tolles Erlebnis!»
Ihre Laufzeiten wurden immer besser
Wenn Natascha Baer vom Laufsport erzählt, von den Strapazen und davon, dass Marathon laufen für sie ein «reiner Genuss» ist, leuchten ihre Augen. Mit ansteckender Begeisterung vermittelt sie ihre Freude am Laufen, jedoch immer mit einem leicht ironischen Unterton – denn sie wollte ja nicht zwingend Läuferin werden.
Doch bereits im zweiten Jahr ihrer Karriere, die eigentlich nie eine hätte werden sollen, verbesserte sie ihre Laufzeiten stetig. Noch bis in den vergangenen September hinein bezeichnete sie die Lauferei als Hobby, obwohl mittlerweile ihr Wettkampfinstinkt geweckt war und sich schon erste Triumphe eingestellt hatten. Zu ihren Zielsetzungen, die sie natürlich spontan setzte, zählten im Jahr 2019 zwei bis drei Langlaufrennen. Darunter auch der Engandiner Skimarathon, welchen sie mit einer «überraschend guten Zeit» und einer Klassierung «weit vorne bei den Frauen» beendete. Wer Natascha Baer kennt, ist darüber wohl kaum noch erstaunt.
Die frischgebackene Läuferin bestritt in der Laufsaison 2019 den Blüemlisalplauf sowie den Zermatt- und den Jungfrau-Marathon. An letzterem, zu dem sie sich spontan angemeldet hatte, weil eine Kollegin ihr den Startplatz überliess, wurde sie sensationelle Fünfte.
Von jetzt an wird trainiert
Richard Umberg, der schon Conny Berchtold und Franziska Rochat-Moser trainiert hatte, wurde auf die schnelle Kanderstegerin aufmerksam und bot ihr an, sie zu trainieren. Baer nahm an und war spontan dabei, als Richard Umberg mit der Idee daherkam, sie könne die Schweizermeisterschaft im Marathon mitlaufen. Natürlich nicht mit dem Ziel, dort zu gewinnen, sondern nur, um zu schauen, ob die Kanderstegerin auch im flachen Gelände fähig war, die Marathon-Distanz zu schaffen.
Sie war fähig. Scheinbar mit Leichtigkeit wurde sie Schweizermeisterin. Die 25-jährige Frutigländerin erreichte damit etwas, was andere Frauen erst mit Anfang Dreissig schaffen. «Eigentlich bin ich für solche Sachen noch zu jung!», lacht sie. Doch spätestens jetzt ist für Natascha Baer klar: Aus dem Spass wurde Ernst. Die Freude am «stundenlangen in der Gegend herumrennen» hat sie trotzdem nicht verloren, ihre Resultate sind sehr gut, und sie hat jetzt sogar einen Trainer. «Wir werden ab 2020 richtig trainieren», verspricht sie, blickt auf die Uhr und bedauert, dass sie schon wieder los muss.
Natascha Baer: Rückblick auf die Saison 2019
Bergmarathon
Gornergrat Zermatt Marathon: 1. Rang, 3 h 55 min
Jungfrau Marathon: 5. Rang, 3 h 47 min
Flachmarathon
Dreiländer Marathon (Schweizermeisterschaft): 1. Rang, 2 h 52 min
Halbmarathon
Swiss City Marathon Luzern: 3. Rang, 1h 24min
Blüemlisalplauf: 1. Rang, 1 h 23 min
Langlaufrennen 2019
Gommer Halbmarathon: 4. Rang, 1 h 01 min
Engadiner Skimarathon: 24. Rang, 1 h 43 min
Ziele 2020:
Verbesserung der persönlichen Bestleistung über 10 km, Halbmarathon und
Marathon; Qualifikation für Grossanlässe in den nächsten Jahren
KSM