KOLUMNE – FROM THE OTHER SIDE - Notstand
24.12.2019 KolumneNotstand
Es wäre schön, hier etwas über die Weihnachtsbräuche in Australien zu schreiben. Über typisches Feiertagsessen – Crevetten und Mangosalat (weil Hochsommer ist und die Mangos nie besser schmecken als jetzt), Schinken (weil der britische Einfluss halt noch ...
Notstand
Es wäre schön, hier etwas über die Weihnachtsbräuche in Australien zu schreiben. Über typisches Feiertagsessen – Crevetten und Mangosalat (weil Hochsommer ist und die Mangos nie besser schmecken als jetzt), Schinken (weil der britische Einfluss halt noch immer sehr gross ist), Pavlova (eine Meringuetorte mit Früchten, um deren Herkunft sich die Australier und die Neuseeländer genauso streiten wie die Schweizer und die Franzosen über die des Fondues). Dieses Jahr aber will es mit der festlichen Stimmung nicht so recht klappen.
Das Land brennt. Überall. Seit Monaten. Eine Fläche von der Grösse Belgiens ist inzwischen verbrannt, über tausend Häuser zerstört, mehrere Menschen sind ums Leben gekommen, darunter zwei Feuerwehrleute. Der Lebensraum der Koalas entlang der Ostküste ist zerstört, über tausend der bedrohten Tiere sind wahrscheinlich in den Flammen verendet.
Sydney, die ikonische Millionenmetropole an der Ostküste des Kontinents, ist von drei Seiten von Feuer umgeben. Die Stadt versinkt seit Wochen im Rauch. Die Luftqualität wird als gefährlich eingestuft – die Feinstaubbelastung, die normalerweise bei acht Mikrogramm per Kubikmeter liegt, ist inzwischen auf über 700 Mikrogramm gestiegen. Das ist, als würde man 37 Zigaretten rauchen. Der Rauch brennt in den Augen und im Hals. Weniger gefährlich, aber dafür unheilvoller ist das Licht – der Rauch hat einen kränklich-gelblichen Farbton, die Sonne wirkt wie ein apokalyptischer Feuerball, wenn sie denn überhaupt zu sehen ist. Buschfeuer gehören zu Australien wie Lawinen in die Berge. Neu hingegen ist die schiere Grösse und Dauer der Brände. Normalerweise brennt es im Sommer, dieses Jahr hat es bereits im Spätwinter begonnen. Im Land herrscht Dürre, in vielen Regionen regnet es seit über einem Jahrzehnt weit unter dem Durchschnitt. Unter günstigen Umständen kann die Feuerwehr im Winter kontrollierte Brände durchführen, um das Unterholz zu lichten und damit die Ausbreitung eines unkontrollierten Feuers zu verlangsamen. Dieses Jahr waren die Umstände nicht günstig.
Das Land brennt und der Ministerpräsident tritt von einem Fettnäpfchen ins nächste.
Erst vor wenigen Monaten wurden Scott Morrison und seine Liberalen (weniger im Sinne der FDP und mehr in der Tradition der amerikanischen Republikaner: konservative Verfechter eines starken Marktes und eines schwachen Staates) im Amt bestätigt. Wären die Wahlen heute, würde das Resultat wohl anders aussehen. Nachdem er zusätzliche staatliche Hilfe zur Feuerbekämpfung ausgeschlossen hatte – die freiwillige Feuerwehr, von denen sich viele seit Wochen unbezahlt und pausenlos engagieren (und die dabei ihren eigentlichen Jobs nicht mehr nachgehen können), würde das ja gerne machen, so Morrison –, fand er es zunächst wichtiger, ein Gesetz zum Schutz vor religiöser Diskriminierung vorzustellen und danach klammheimlich nach Hawaii in den Urlaub zu fahren.
Bei den Australiern, die generell politisch eher lethargisch sind, kam das für einmal gar nicht gut an. Unter Druck musste er seinen Urlaub vorzeitig abbrechen und ins Land zurückkehren.
Inzwischen ist der Sommer so richtig da, mit Temperaturen über 40 Grad. Der Rauch hat Neuseeland erreicht. Regen ist nicht in Sicht. Wie es in den folgenden Wochen weitergehen soll, weiss niemand. Die Feuer wüten weiter.
Fröhliche Weihnachten.
SANDRA BUOL
BUOL.SANDRA@GMAIL.COM