KOLUMNE – POLITIKUM - Alleine jassen
03.12.2019 KolumneAlleine jassen
Seit Jahren wollte ich ein Buch lesen, das den spannenden Titel «Bowling Alone» trägt. Der amerikanische Politikwissenschaftler Robert Putnam beschreibt darin, wie sich die Gesellschaft in den USA in den letzten 100 Jahren verändert hat. Jetzt habe ich es ...
Alleine jassen
Seit Jahren wollte ich ein Buch lesen, das den spannenden Titel «Bowling Alone» trägt. Der amerikanische Politikwissenschaftler Robert Putnam beschreibt darin, wie sich die Gesellschaft in den USA in den letzten 100 Jahren verändert hat. Jetzt habe ich es endlich geschafft und das Buch zu Ende gelesen.
Das Hauptthema darin ist das Sozialkapital, das Putnam in eine Reihe mit dem Geldkapital und dem Humankapital stellt: Es ist das Kapital, welches aus der Vernetzung der Menschen untereinander entsteht. Und dieses Sozialkapital sei in den letzten 100 Jahren dramatisch kleiner geworden, schreibt Putnam. Wichtig zu wissen ist: Das Buch wurde vor knapp 20 Jahren veröffentlicht. Putnam beschreibt darum die Auswirkungen des Internets auf das Miteinander der Menschen nur als Vermutungen. Also: Schon vor dem Internetzeitalter haben die Menschen sich weniger miteinander vernetzt. Und das ist nicht nur schade, weil die Amerikaner dann halt allein zum Bowling gehen müssen, sondern hat auch handfeste Auswirkungen: Ohne das Sozialkapital trauen sich die Menschen gegenseitig weniger. Das wiederum hat negative Folgen für die Wirtschaft. Aber auch für die Politik: Wenn sich die Menschen weniger für das Gegenüber interessieren, interessieren sie sich auch weniger für Politik.
Putnam legt dar, dass der Niedergang damit zu tun hat, dass sich die jüngeren Generationen weniger für die Produktion von Sozialkapital interessieren, weil es die individuelle Lebensweise weniger zulässt, sich auf diese Art und Weise zu binden. Die Menschen haben schon vor 20 Jahren viel weniger den direkten Kontakt gesucht.
Für mich haben sich daraus zwei Erkenntnisse ergeben:
1. Auch wenn man es heute oft hört, aber es ist nicht nur das Internet, welches zu einer Veränderung der traditionellen Gesellschaft führt. Vielmehr verstärkt es einen Effekt, der schon in den 1970er-Jahren eingesetzt hat.
2. Die Erkenntnisse von Putnam für das Amerika im 20. Jahrhundert kann man zwar nicht 1:1 für die Schweiz des 21. Jahrhunderts übernehmen, ich meine aber doch sehr viele Gemeinsamkeiten erkennen zu können.
Vor allem der zweite Punkt müsste die Politiker in der Schweiz aufhorchen lassen: Natürlich ist ihnen (und auch allen Medienleuten und Politikinteressierten) nicht entgangen, dass sich in der Schweiz weniger Leute für Politik interessieren als auch schon. Daran ändern auch die Klimastreiks nichts. Sie zeigen meiner Meinung nach lediglich, dass sich einige Junge für ein spezifisches Thema interessieren und nicht, dass sich das Interesse grundsätzlich vergrös sert hat. Doch zurück zur Politik: Puntnam sagt, dass sich das Interesse innerhalb einer Generation nur selten grundsätzlich verändert. Das heisst: Wenn sich die heutigen Jungen nicht für Politik interessieren, werden sie das ihr ganzes Leben lang nicht tun.
Aber man kann die Voraussetzungen für kommende Generationen schaffen, damit sich diese wieder mehr für Politik begeistern. Die Politiker, welche diese Voraussetzungen schaffen, werden die Veränderung vermutlich nicht mehr als Politiker mitbekommen. Sie müssen also langfristig denken und handeln, ohne an die nächste Wiederwahl zu denken. Das ist ihre Herausforderung. Es gibt aber auch diejenige der Gesellschaft: Sie muss Wege finden, wieder mehr Sozialkapital zu produzieren. Das heisst nicht unbedingt, dass man Jodelchörli und Schwingklub ums Verrecken zum Massenphänomen machen muss. Aber es gilt, Wege zu finden, wie die Menschen sich mehr austauschen, und zwar nicht nur mit Leuten, die ganz genau gleich denken.
Ich war im letzten Monat im WK und habe dort einen Lösungsansatz gefunden: Gejasst hat dort nämlich keiner allein.
SEBASTIAN DÜRST
SEBASTIAN.DUERST@BLUEWIN.CH