KOLUMNE – WIR MÜSSEN REDEN …! - Vom Streiten, Scheiden und Sterben
17.12.2019 KolumneVom Streiten, Scheiden und Sterben
Oft schreibe ich hier über das Tabuthema «psychische Krankheiten». Heute möchte ich den Blick auf ein anderes Tabu werfen.
Mein Mann und ich sind nicht verheiratet, haben aber zusammen zwei kleine Kinder. Wir sind eine ganz ...
Vom Streiten, Scheiden und Sterben
Oft schreibe ich hier über das Tabuthema «psychische Krankheiten». Heute möchte ich den Blick auf ein anderes Tabu werfen.
Mein Mann und ich sind nicht verheiratet, haben aber zusammen zwei kleine Kinder. Wir sind eine ganz normale Familie und wenn ich über meinen Partner rede, dann sage ich ganz selbstverständlich «mein Mann ...» Aber oha! Das geht so nicht. Wie oft höre ich: «Ihr seid doch gar nicht verheiratet! Er ist doch nicht dein Mann.» Tja, was soll man da sagen? Ich entgegne dann immer: «Er ist ein Mann.» Dafür gibt es ziemlich viele Indizien. Nur ein Mann kann sooo laut schnarchen. Und pupsen. Und nur ein Mann hat so viele Brusthaare. Ich will jetzt nicht weiter ins Detail gehen. Weiter argumentiere ich: «Einen Menschen kann man gar nicht besitzen.» Das «mein» vor Mann ist also sowieso nur symbolisch und soll die Zusammengehörigkeit betonen. Ergo: Mein Partner ist ein Mann, und er gehört zu mir. Also ist es MEIN Mann. Er ist nur nicht mein EHEmann! Sie glauben gar nicht, wie oft ich das erzählen muss.
Nun, das mag nach einer lustigen Anekdote klingen. Es ist sozusagen eine unliebsame Nebenwirkung des Nichtverheiratetseins. Doch was hat das mit Tabu zu tun? Spätestens als ich zum ersten Mal schwanger wurde, wollten wir uns bewusst mit dieser Situation auseinandersetzen. Nicht verheiratet sein bedeutet nämlich auch: Wenn einem von uns beiden etwas zustösst, dann haben wir keine gegenseitigen Rechte oder Ansprüche. Nicht auf der Intensivstation, nicht finanziell. Im Todesfall auch keinen Anspruch auf Witwen-/Witwerrente. Und wenn wir uns trennen, dann gibt es nicht so klar definierte Abläufe und Rechte wie Alimente für den Partner wie bei einer Scheidung.
Dann, wenn andere ihre Hochzeit planen und auf rosa Wolken schweben, haben wir uns also zusammengesetzt und ganz viele Tabus angesprochen. Das war alles andere als einfach. Schon nur beim Thema Finanzen. Wenn man sich vorstellt, wie es sein wird, wenn man sich mal trennen sollte, dann werden Existenzängste plötzlich ganz real und man realisiert, warum wohl so viele Paare im Unguten auseinandergehen. Plötzlich ist sich jeder selbst am nächsten. Wir haben eine faire Lösung gefunden, die wir schriftlich festgehalten und notariell beglaubigt haben. Doch dem gingen heftige Diskussionen voraus. Beide fühlten sich allein in der Vorstellung schon benachteiligt. Und das nur beim theoretischen Durchspielen einer Trennung. Zu einem Zeitpunkt, an dem wir uns noch lieben. Ich will nicht wissen, wie das ist, wenn man erst über solche Themen spricht, wenn man sich nichts mehr zu sagen hat.
Sterben und Tod waren das zweite schwierige Thema. Plötzlich stellt man sich Fragen wie: Will ich lebenserhaltende Massnahmen, ja oder nein? Darf mein Partner die Maschinen abstellen und falls ja, wann? Wie sieht es aus mit einer Organspende? Zu wem sollen unsere Kinder kommen, falls uns beiden etwas zustösst? Lauter Fragen, die man sich nicht stellen will. Antworten, die man suchen muss und kaum findet. Aber dadurch, dass wir uns gegen die Hochzeit entschieden haben, sahen wir uns in der Pflicht, uns mit diesen Tabuthemen zu beschäftigen. Weil es in diesem unverheirateten «Zustand» rechtlich sonst nicht geregelt wäre. Vor allem aber: uns zuliebe und den Kindern zuliebe. Wir haben unsere ganz persönlichen Antworten gefunden und auch diese schriftlich festgehalten und beim Notar hinterlegt. Und wir haben gelernt: Es braucht nicht unbedingt eine Hochzeit, um sich noch näher zu kommen. Auch Gespräche über und die Auseinandersetzung mit Tabus schweissen einen noch näher zusammen.
Und was wir vor allem gelernt haben: Wir müssen reden! Auch über Unangenehmes.
RACHEL HONEGGER
WIRMUESSENREDEN@FRUTIGLAENDER.CH