DER KANTON
Kürzlich las ich, die Gemeinde und der Kanton seien vielen Menschen nicht mehr so wichtig. Erklärt wurde das mit der Globalisierung. In Zeiten des rasanten Wandels würden sich die Leute eher mit der Schweiz identifizieren. Die Bedeutung des eigenen kleinen ...
DER KANTON
Kürzlich las ich, die Gemeinde und der Kanton seien vielen Menschen nicht mehr so wichtig. Erklärt wurde das mit der Globalisierung. In Zeiten des rasanten Wandels würden sich die Leute eher mit der Schweiz identifizieren. Die Bedeutung des eigenen kleinen Dorfs oder des Wohnkantons habe dagegen abgenommen.
Ich weiss nicht, ob diese Studie in allen Punkten richtig liegt. Nach meinem Eindruck spielt die Gemeinde schon noch eine grosse Rolle. Man ist zuerst einmal Adelbodner oder Frutiger, Kandergrunder oder Aeschiner. Und das bleibt man auch sein Leben lang, selbst wenn man wegzieht und längst woanders lebt.
Mit dem Kanton ist es allerdings etwas komplizierter. Ihre Landschaften und ihr Lebensgefühl liegen den Bernern schon am Herzen. Ein bisschen Stolz ist vielleicht auch im Spiel. Schliesslich hat Bern als frühere Grossmacht eine lange Geschichte. Und das Kantonswappen mit dem kraftvollen Mutz ist ja auch eines der schönsten. Es gibt sogar Leute, die erheben sich, wenn an einem Fest der Berner Marsch gespielt wird.
Im grauen Alltag hält sich der bernische Patriotismus allerdings in Grenzen. Das Schimpfen auf «den Kanton» ist so etwas wie ein Volkssport geworden. «Der Kanton» ist wahlweise zu langsam, völlig weltfremd oder übertrieben bürokratisch, und den Wolf will er auch nicht abschiessen lassen. Lokalpolitiker, Unternehmer – wer auch immer gegen «den Kanton» wettert, erntet zustimmenden Applaus.
Ich frage mich dann immer, wer das eigentlich sein soll: «der Kanton». Ist es derselbe Kanton, der die Rinderwaldstrasse mitfinanziert und fast zwei Millionen Franken für den Hochwasserschutz an der Suld ausgibt? Der seine Fachleute nach Kandersteg zum «Spitzen Stein» schickt oder dem Adelbodner Weltcup die Helfer von Armee und Zivilschutz zahlt? Dieser Kanton Bern – ist das der, in dem die Grossräte Ernst Wandfluh, Jakob Schwarz, Kurt Zimmermann, Martin Egger und Anita Luginbühl die Gesetze machen? Falls ja, wäre das ständige Gemotze über «den Kanton» schon ein wenig merkwürdig. Denn dann würde man am Ende ja auf sich selbst schimpfen. Aber wie das so ist: Heimatliebe kann kompliziert sein.
MARK POLLMEIER
M.POLLMEIER@FRUTIGLAENDER.CH