«Künftig werde ich nur noch ganz normaler Zuschauer sein»
07.01.2020 Reichenbach, Kiental, SportINTERVIEW Er doktorierte im Fach Biologie, verbrachte aber etliche Stunden seines Lebens auf dem Fussballplatz – als Unparteiischer. Der gebürtige Reichenbacher Stephan Klossner über die Gründe seines Rücktritts nach 20 Jahren, über Unterschiede zwischen Amateur- und Profifussball ...
INTERVIEW Er doktorierte im Fach Biologie, verbrachte aber etliche Stunden seines Lebens auf dem Fussballplatz – als Unparteiischer. Der gebürtige Reichenbacher Stephan Klossner über die Gründe seines Rücktritts nach 20 Jahren, über Unterschiede zwischen Amateur- und Profifussball und über Berufskrankheiten eines Schiedsrichters.
«Frutigländer»: Herr Klossner, Sie waren jahrelang passionierter Spielleiter, standen in der Superleague 150-mal im Einsatz und traten auch international in Erscheinung. Im letzten Dezember traten Sie mit 38 Jahren zurück. Weshalb so früh?
Stephan Klossner: 1999 pfiff ich mein erstes Spiel bei den C-Junioren. Danach stieg ich Schritt für Schritt die Karriereleiter hoch. 2012 wurde ich Fifa-Schiedsrichter und steckte mir entsprechende Ziele …
… bestimmt hätten Sie gerne einen EM- oder WM-Einsatz gehabt …
Natürlich. Das Ziel, ein solches Turnier auf Profiebene zu pfeifen, wagte ich mir aber gar nicht zu setzen. Jedoch erachtete ich es als realistisch, einmal eine Championsleague-Partie zu leiten. Leider schaffte ich es nur bis zu den Qualifikationsspielen und merkte: Weiter geht es wohl nicht. Parallel dazu realisierte ich, wie gross der Druck auf einen Schiedsrichter eigentlich ist. All dies bewog mich dazu, einen Schlussstrich zu ziehen.
Als Aussenstehender fragt man sich tatsächlich: Weshalb tut man sich diesen Job an? Auf dem Platz gibt es ja manchmal wüste Szenen.
Da muss ich widersprechen. Die Stimmung auf und neben dem Spielfeld erlebte ich nicht als unangenehm. Was mir eher zusetzte, war die mediale Kritik.
Wie gingen Sie damit um?
Ich habe einiges ausprobiert. Ignorieren geht schlecht, da ich nach einem Zeitungsartikel jeweils von Leuten angesprochen wurde. Daher musste ich mich mit der Kritik befassen, sie wegstecken lernen. Dabei halfen mir auch ein Sportpsychologe und diverse Vertrauenspersonen.
Nochmals zurück aufs Spielfeld: Es gibt schon auch Akteure, die einen während der Partie herausfordern …
Natürlich gibt es die. Zu unserem Job gehört es, diese im Vorfeld zu studieren und mögliche Szenarien vorauszusehen.
Läuft man dabei nicht Gefahr, die Spieler ungleich zu behandeln? Womöglich pfeift man ein Foul nicht, weil sich der Betroffene normalerweise gerne fallen lässt.
Meistens passieren die Dinge auf dem Platz so schnell, dass ich gar nicht die Zeit habe, mir solche Dinge zu überlegen. Natürlich besteht eine gewisse Subjektivität, da auch ein Schiedsrichter menschlich ist. Ich gehe aber davon aus, dass sich die Effekte in der Regel über beide Teams verteilen und die Partie dadurch nicht ungerecht wird. Zudem wurde unterdessen ja auch der Videobeweis eingeführt, der allfällige Fehlentscheide korrigieren kann.
Sie leiteten während Ihrer Laufbahn sowohl Amateur- wie auch Profispiele. Welche Aufgabe ist schwieriger?
Eindeutig der Amateurfussball, da hier viel mehr Unerwartetes passiert. Bei den technisch versierten Profis weiss man ungefähr, wo der Ball als Nächstes landen wird, und kann sich besser vorbereiten.
Gibt es Unterschiede bei den Emotionen?
Kaum. Zwar steht bei den oberen Ligen mehr auf dem Spiel, was Druck erzeugt, der wiederum Gefühlsregungen auslösen kann. Doch die Junioren kopieren dieses Verhalten der Stars schon sehr früh.
An dieser Stelle dürfen Sie nun gerne einen Werbespot für den Schiedsrichterberuf schalten. Was spricht für das Amt?
Wer über einen gewissen Gerechtigkeitssinn verfügt und diesen gerne einsetzen möchte, der kann auf dem Spielfeld einiges bewirken. Als Fussballfreund genoss ich es jeweils sehr, so nahe am Spielgeschehen zu sein. Längst nicht jeder kann eine Karriere als Spieler hinlegen, und ich finde es wichtig zu wissen, dass es auch Alternativen gibt.
Ich lernte als Unparteiischer letztlich vieles, das mich auch im Alltag weiterbringt: Menschenkenntnis, Entscheidungs- sowie Kritikfähigkeit.
Ist die Arbeit finanziell lukrativ?
Früher erhielt ich für ein Superleague-Spiel eine Pauschale von 1250 Franken. Im Jahr 2017 fand jedoch eine Professionalisierung statt. Schiedsrichter auf Top-Niveau – in der Schweiz gibt es davon sieben – sind seither in Teilzeit angestellt. Mit einem 50-Prozent-Pensum verdient man jährlich 60 000 Franken.
Nun wollen Sie sich wieder verstärkt dem Lehrerberuf widmen. Welche Rolle wird der Fussball künftig in Ihrem Leben spielen?
Ich habe die Freude am Sport nicht verloren. Beim FC Frutigen bin ich nach wie vor als Schiedsrichter-Instruktor gemeldet, pfeifen will ich aber nicht mehr. Künftig werde ich nur noch ganz normaler Zuschauer sein.
Ist dieser Rollenwechsel mit Ihrer Vergangenheit überhaupt möglich?
Was ich merke: Ich entscheide auch als Unbeteiligter immer mit und vergleiche mein Urteil mit jenem des Spielleiters. Das ist halt eine Berufskrankheit. Jedoch würde es mir nicht in den Sinn kommen, einen Schiedsrichter zu kritisieren oder gar zu verfluchen, wie das auf den Zuschauerrängen manchmal geschieht – wohl nicht zuletzt, weil ich weiss, wie es ist, inmitten des Geschehens zu stehen.
INTERVIEW JULIAN ZAHND