Ein Eingriff in die Gemeindeautonomie?
11.02.2020 AnalyseBis zuletzt sah es nach einem knappen Sieg der Gegner aus, doch dann wendete sich das Blatt: Der Kredit für den Transitplatz in Wileroltigen ist mit 53,5 Prozent angenommen worden. Dabei hatten sich die meisten Gemeinden dagegen ausgesprochen.
BIANCA HÜSING
Gäbe es ...
Bis zuletzt sah es nach einem knappen Sieg der Gegner aus, doch dann wendete sich das Blatt: Der Kredit für den Transitplatz in Wileroltigen ist mit 53,5 Prozent angenommen worden. Dabei hatten sich die meisten Gemeinden dagegen ausgesprochen.
BIANCA HÜSING
Gäbe es auf kantonaler Ebene eine vergleichbare Grösse wie das Ständemehr, so hätte der Transitplatz wohl schlechte Karten gehabt. Mehr als 70 Prozent aller Gemeinden sowie sieben der zehn Verwaltungskreise haben sich gegen den Kredit ausgesprochen. Entscheidend ist tatsächlich aber die Bevölkerungszahl, und so blieb die Abstimmung bis zuletzt eine Zitterpartie für Gegner und Befürworter gleichermassen. Noch um 14.48 Uhr hiess es, 52,3 Prozent seien gegen den Transitplatz. Zu jenem Zeitpunkt waren bereits neun Verwaltungskreise ausgezählt. Zwei Minuten später meldete der Kanton technische Probleme, bis er um 15.04 Uhr schliesslich das überraschende Endresultat verkündete: Der Kredit wurde mit 53,5 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Zu dieser Wende hatte das einwohnerreiche Bern-Mittelland beigetragen: Obwohl auch hier mehr als die Hälfte der Gemeinden Nein sagten, überwog der Ja-Anteil in diesem Verwaltungskreis mit 60 Prozent letztlich deutlich.
Geschlossenheit im Frutigland
Dass die Gegnerschaft in den Gemeinden so gross war, liegt wohl auch im Widerstand Wileroltigens begründet. Die Gemeinde, in deren Nähe der Platz für ausländische Fahrende gebaut werden soll, hatte sich bis zuletzt dagegen gewehrt – was sich dort auch im starken Nein-Anteil von 91 Prozent manifestierte. Der Regierungsrat und auch das Kantonsparlament hielten jedoch am Standort fest, worin die Gegner eine grobe Verletzung der Gemeindeautonomie sehen. So erklärt sich womöglich auch die Geschlossenheit der Frutigländer Gemeinden. Nicht einmal Kandersteg und Krattigen, die in Abstimmungen oft von ihren Nachbarn abweichen, stimmten für den Kredit. Mit rund 47 Prozent hatte Krattigen allerdings einen vergleichsweise hohen Ja-Anteil. Die wenigsten Befürworter innerhalb der Region fand der Transitplatz in Kandergrund – obwohl der Kandergrunder Grossrat Ernst Wandfluh (SVP) sich dafür ausgesprochen hatte (der «Frutigländer» berichtete). Sein Hauptargument: Um insbesondere die Bauern vor «Landnahmen» zu bewahren, brauche der Kanton eine Ausweichlösung.
Ein vorbelasteter Standort
So argumentierte auch der Kanton selbst und mit ihm nahezu alle Parteien. Es brauche einen festen Transitplatz, damit die Polizei illegale Fahrendencamps überhaupt auflösen dürfe. Die sogenannte «Lex Fahrende», die als Teil der 2019 beschlossenen Polizeigesetzreform zurzeit noch rechtlich geprüft wird, erlaubt eine Räumung «wilder» Camps nämlich nur unter der Voraussetzung, dass ein alternativer Platz zur Verfügung steht. Zudem gebiete es das von der Schweiz unterzeichnete Rahmenabkommen zum Minderheitenschutz, Fahrende in ihrer Lebensweise zu unterstützen. Aus Sicht des Kantons ist Wileroltigen wegen seiner Lage an der Autobahnraststätte ideal. Ausserdem stelle der Bund das Grundstück kostenlos zur Verfügung.
Der Standort ist indes vorbelastet, nachdem es dort 2017 zu enormen Verschmutzungen und Wasserdiebstahl gekommen war. Um solche Zustände künftig zu vermeiden, will der Kanton den neuen Platz bewirtschaften. Nebst einem Depot für die Reinigungsarbeiten werden Nutzungsgebühren erhoben. Überdies wird eine fixe WC-Anlage installiert. Auf 8500 Quadratmetern sollen 36 Stellplätze entstehen. Die Kosten belaufen sich auf rund 3,3 Millionen Franken – zu viel, wie die Junge SVP findet. In ihrer Nein-Kampagne hatte sie den Platz denn auch als vergoldet illustriert. Auch die Mutterpartei hatte sich entschieden gegen den Kredit gewandt und hofft nach eigenen Angaben nun, dass der Kanton wie versprochen für Ordnung sorgen werde.
KOMMENTAR
Bittere Pille, pragmatische Lösung
Darf der Kanton einen Transitplatz in der Nähe einer Gemeinde bauen, die entschieden dagegen ist? Die Gemeindeautonomie ist schliesslich ein Fundament der Schweizer Demokratie und sollte nur in Ausnahmefällen angetastet werden. Und gerade im Hinblick auf die schlechten Erfahrungen, die Wileroltigen 2017 mit ausländischen Fahrenden gemacht hat, hinterlässt das Abstimmungsergebnis nun einen bitteren Beigeschmack.
Doch nebst den Interessen einzelner Gemeinden muss der Kanton auch das grosse Ganze im Blick behalten. In diesem Falle ist das der Minderheitenschutz, zu dem sich die Schweiz verpflichtet hat, dem sie aber noch nicht hinreichend Rechnung trägt. Es fehlt im ganzen Land an Plätzen für einheimische und ausländische Fahrende. Jeder Kanton muss seinen Teil dazu beitragen, das Problem zu lösen. Dies ist letztlich auch im Interesse aller Grundeigentümer, die sich sonst vor illegalen Camps fürchten müssten. Denn räumen darf die Polizei diese nur, wenn es Alternativen gibt.
So ist der Transitplatz Wileroltigen letztlich eine pragmatische Lösung. Würde er nicht gebaut, würden die Fahrenden dort wegen der verkehrsgünstigen Lage wohl trotzdem campieren – dann allerdings ohne Kontrolle und feste WC-Anlagen. Will Wileroltigen das Chaos von 2017 nicht noch einmal erleben, muss es diese bittere Pille schlucken.
BIANCA HÜSING
B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH