KOLUMNE – THE YOUNG VIEW - Bei den Oscars fein raus
28.02.2020 KolumneBei den Oscars fein raus
Es sind nun drei Wochen vergangen, seit die diesjährigen Oscarverleihungen stattgefunden haben. Meine Tradition besteht normalerweise darin, mit meinem Freund Wetten abzuschließen, wer ausgezeichnet wird (er gewinnt regelmäßig, weil er ...
Bei den Oscars fein raus
Es sind nun drei Wochen vergangen, seit die diesjährigen Oscarverleihungen stattgefunden haben. Meine Tradition besteht normalerweise darin, mit meinem Freund Wetten abzuschließen, wer ausgezeichnet wird (er gewinnt regelmäßig, weil er intelligent genug ist, nicht für seine Favoriten zu stimmen, und das Ganze ziemlich kalkuliert angeht, während ich der festen Überzeugung bin, dass nur, weil ich auf einen bestimmten Film wette, dieser ganz bestimmt gewinnen wird). Am Montagmorgen nach den Verleihungen bin ich oft noch zehn Minuten damit beschäftigt, mir die schicksten und interessantesten Entscheidungen in Sachen Abendkleider anzusehen und mir eventuell noch ein paar Reden anzuhören – und damit hat es sich in der Regel.
Dieses Jahr war etwas anders. Und genau deshalb sehe ich mich veranlasst, auch noch drei Wochen später meinen Senf dazuzugeben. Interessanterweise galten die 92. Oscarverleihungen allgemein als ziemlich langweilig (bis auf den südkoreanischen Film «Parasite», der mal eben Filmgeschichte schrieb). Dennoch bin ich der Überzeugung, dass dieses Jahr sehr viel mehr passiert ist, als man sich zuerst vielleicht denkt. Das hängt auch damit zusammen, auf welche Art und Weise die Oscars dieses Jahr diskutiert wurden. Es war nämlich für mich das erste Mal, dass ich mir die Übertragung im Schweizer Fernsehen ansah, was natürlich auch den Kommentar des Schweizer «Expertenteams» beinhaltete. Dabei war ich etwas schockiert, mit welcher Resignation schon die Nominierungen diskutiert wurden. Nur eine einzige schwarze Schauspielerin ist nominiert? Ja, das passiert halt. Keine einzige Frau wurde als beste Regisseurin nominiert? Vielleicht sollte man einfach eine zweite, weibliche Kategorie einführen, damit alle mal Ruhe geben können. Oh, seht es euch an, wie aussergewöhnlich! Ein fremdsprachiger Film ist tatsächlich mal besser als der ganze Rest der Nominierten! Ach wunderbar, damit haben wir unsere diesjährige Leistung gegenüber Minderheiten ja vollbracht.
Damit will ich keineswegs «Parasite» den Erfolg missgönnen. Doch stört es mich, dass die Oscars immer in einer Hinsicht «korrekt» sein wollen und dies auch durchziehen, dabei aber immer einen Freipass bekommen, andere Probleme zu ignorieren oder als unbedeutend abzutun. Und es werden dazu Kommentare gemacht, die nur noch respektlos und abfällig sind – zum Beispiel, als das Schweizer Expertenteam «Little Women» kurzerhand als «schlechten Film» bezeichnete, der keine einzige Nominierung verdient hätte und schon gar nicht in der Kategorie «Bestes Kostüm» hätte gewinnen sollen. Ich will hier nicht sagen, dass Filme nicht letztlich auch Geschmacksache sind; vielleicht mag jemand einen Kriegsfilm lieber oder einen Thriller etc. Dass sich aber ein Expertenteam im Schweizer Fernsehen zum einzigen feministischen Film, der von der einzigen für sie in irgendeiner Hinsicht relevanten weiblichen Regisseurin im Raum gedreht wurde, so abschätzig und negativ äussert, ist irgendwie auffällig. Und es ist genau diese Einstellung, dass man die «Problemkinder» zufriedenstellen kann, wenn man einem von ihnen einen Knochen zuwirft, ohne dabei zu bedenken, dass diese eine gute Tat einem immer noch nicht das Recht gibt, alle anderen zu beleidigen. Ganz abgesehen davon, dass auch die eine gute Tat gegenüber «Parasite» noch als zu viel angesehen wird. Man beachte nur Donald Trumps Rede kurz nach den Oscars, in der er sich darüber beschwerte, dass tatsächlich kein amerikanischer Film den Oscar für den besten Film gewann. Aber sich über Trumps Reden an diesem Punkt aufzuregen, ist wohl sowieso etwas sinnlos.
Was jedoch wünschenswert wäre, ist eine etwas feinfühligere und durchdachtere Reaktion auf diese Thematik. Wenigstens haben wir an dem Tag, an dem im Schweizer Fernsehen die Oscars besprochen wurden, die Erweiterung des Diskriminierungsgesetzes angenommen … vielleicht gibt es also noch Hoffnung.
XENIA SCHMIDLI
SCHMIDLIX@HISPEED.CH