Immer wieder Mohntag

Eines Tages wuchs in meinem Garten eine Pflanze heran, von der ich keine Ahnung hatte, was es war. Ich hatte sie weder gesät noch gesetzt und beobachtete voller Neugierde ihre Entfaltung. Als sie endlich ihre Blüten öffnete und ihr kräftiges Rosa zeigte, wurde mir klar, dass es sich um irgendeinen Mohn handeln musste.
Mohnarten haben vier Blütenblätter, eine Frucht, die aus einer Kapsel mit zahlreichen kleinen Samen besteht, sowie Milchsaftröhren in den grünen Pflanzenteilen. Sie können jedoch sehr verschieden aussehen. Pflanzen der Papaver-Familie soll es mindestens 50 geben, je nach Quelle sogar bis zu 120 – unglaublich. Zu dem Zeitpunkt kannte ich vor allem den herrlich roten Klatschmohn und den leuchtend orangen kalifornischen Mohn. Beim eingewanderten Kollegen handelte es sich aber wohl um einen Schlafmohn (Papaver somniferum). Und damit war meine Neugierde geweckt. Ich begann, mich ein wenig mit dieser berühmt-berüchtigten Pflanze zu befassen. Die Blütenfarben des Schlafmohns zum Beispiel variieren je nach Sorte von dunkelrosa über weiss bis zu blauviolett.
Seine Berühmtheit und den zu Unrecht schlechten Ruf hat der Schlafmohn aber natürlich durch den Missbrauch seines Saftes zur Herstellung von Heroin erhalten. Wegen diesen berauschenden Eigenschaften war der Anbau des wunderschönen Schlafmohns denn auch viele Jahre lang verboten. Das aus ebendiesem Milchsaft gewonnene Rohopium kann jedoch auch zu Morphin als Schmerzmittel und zu Codein als Hustenmittel verarbeitet werden.
In der Lebensmittelindustrie werden die Samen der Pflanze verwendet. Es kommen hauptsächlich drei Sorten auf unsere Teller: blauschwarzer Mohn aus Deutschland, grauer Mohn aus Österreich und heller Mohn aus Indien. Es gibt auch Mohnsamen in den Farben gelb und weiss. Anbauflächen findet man an vielen Orten auf der Welt, in Europa, Asien, Mittel- und Südamerika, in Russland und Australien.
Die Samen sind nahrhaft und gesund. Sie enthalten Mineralstoffe, Vitamine, Kalzium, ungesättigte Fettsäuren und Proteine. Da Mohnsamen viel Fett enthalten, kann aus ihnen sogar ein gehaltvolles Öl gewonnen werden. Es wird kalt gepresst und sollte, wenn möglich, auch kalt genossen werden. Die reifen Samen enthalten zwar auch Morphine. Ihr Gehalt wird aber durch die verschiedenen Arbeitsschritte reduziert, und es bleibt offenbar nur ein kleiner Rest zurück.
Neben der Verwendung für die Herstellung von Öl eignen sich die Mohnsamen auch ganz oder gemahlen für süsse und salzige Speisen. Im indischen Curry zum Beispiel verbessern die gelben gemahlenen Samen die Konsistenz der Gewürzmischung und geben ihr zusammen mit Kurkuma die schöne gelbe Farbe.
In der Schweiz stammen erste Funde von essbaren Mohnsamen und -kapseln aus der Jungsteinzeit um 3000 bis 4000 vor Christus. Sie wurden in den Pfahlbausiedlungen an den Juraseen entdeckt. Bereits damals wurde hauptsächlich Schlafmohn angebaut und verwendet. Er gehört zu den ältesten Kulturpflanzen überhaupt und ist durch jahrtausendelange Auslese aus Wildformen entstanden.
Natürlich habe ich meinen schönen Fremdling nicht gegessen, denn erstens hatte er nicht viele Samen und zweitens sind einige Pflanzenteile giftig. Aber ich habe mir zu seinen Ehren feine Mohnsamen gekauft und endlich wieder einmal mein Lieblingsrezept zubereitet: den Mohnkuchen. Dazu reicht ein ganz gewöhnlicher Mürbeteig aus Mehl, Butter und Salz. Der Belag besteht praktisch nur aus mit Wasser und Zucker gekochtem Mohn. Daraus entsteht eine Art Fruchtkuchen. Damit kann man sich nicht nur aufs Wochenende freuen, sondern auch auf jeden Mohntag.

SABINE DÄNZER

SABINE.DAENZER@DAENZER.CH

KOLUMNE – GEDANKENREISE - Immer wieder Mohntag

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