MEIN NEUER CHEF
Haben Sie Angst vor künstlicher Intelligenz? Ich nicht. Nach unzähligen Gesprächen mit Siri, Google Assistant und Alexa bin ich überzeugt: Von diesen Wesen geht nicht die geringste Gefahr aus. Selbst wenn sie eine Machtübernahme im Sinn hätten, wären ...
MEIN NEUER CHEF
Haben Sie Angst vor künstlicher Intelligenz? Ich nicht. Nach unzähligen Gesprächen mit Siri, Google Assistant und Alexa bin ich überzeugt: Von diesen Wesen geht nicht die geringste Gefahr aus. Selbst wenn sie eine Machtübernahme im Sinn hätten, wären sie zu blöd, diese umzusetzen.
Ich wähnte mich daher in Sicherheit – bis ich die erste Mail von MyAnalytics bekam. Sie wissen nicht, was das ist? Ich auch nicht. Ich weiss nur, dass es da ist, seit wir in der Redaktion ein neues Mail- und Kalendersystem verwenden. Und dass es mich offenbar überwacht. Die erste Kontaktaufnahme seitens dieses Programms war jedenfalls nicht besonders schmeichelhaft. Es teilte mir mit, ich hätte 25 ruhige Tage hinter mir. «Bitte? Hast du nicht die vielen Anrufe mitbekommen, nicht meine vielen Artikel gelesen?», hätte ich am liebsten zurückgefragt. Doch anders als Siri und Co. ist dieses Programm nicht an Dialogen interessiert. Stattdessen erfuhr ich noch mehr über mich – zum Beispiel, dass ich kein Teamplayer bin. MyAnalytics gibt mir nur ein Prozent in Zusammenarbeit. 99 Prozent der Zeit arbeitete ich dagegen ungestört. Aha. Das hatte ich anders in Erinnerung.
Nun könnte ich diese E-Mail löschen, vergessen und als weiteren Beleg für die Intelligenzlosigkeit künstlicher Intelligenz verbuchen. Hätte ich nicht mehr über den Zweck dieses Programms gelesen. Es will Führungskräften zu effizienteren MitarbeiterInnen verhelfen und «datenbasierte Entscheidungen treffen». Kurzum: Wenn ich weiter solch «ruhige Tage» verbringe, geht es mir an den Kragen.
Wäre schliesslich nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Erst letztes Jahr verlor ein US-amerikanischer Softwareentwickler vom einen auf den anderen Tag seinen Job. Ein Algorithmus hatte ihn gefeuert, nicht einmal seine Vorgesetzten waren darüber informiert. Auch der Onlinehändler Amazon setzt vermehrt künstliche Intelligenz zum automatischen Rausschmiss ineffizienter Mitarbeiter ein. Wie praktisch: Keine tränenreichen Gespräche mehr, keine sowieso nie erfüllten zweiten Chancen. Und das alles auf Grundlage fundierter Analysen ...
Habe ich Angst vor künstlicher Intelligenz? Ja – und zwar, weil sie dumm ist.
BIANCA HÜSING
B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH