«I ha d Schnouze voll»
20.03.2020 KolumneIn Institutionen wie der Stiftung Bad Heustrich will man möglichst normal leben. Menschen mit einer kognitiven oder psychischen Beeinträchtigung sollen so normal wie möglich ihr Leben gestalten können. Das Normalisierungsprinzip, aus Skandinavien importiert, gibt Bereiche vor, wo dies ...
In Institutionen wie der Stiftung Bad Heustrich will man möglichst normal leben. Menschen mit einer kognitiven oder psychischen Beeinträchtigung sollen so normal wie möglich ihr Leben gestalten können. Das Normalisierungsprinzip, aus Skandinavien importiert, gibt Bereiche vor, wo dies umgesetzt werden soll – Bereiche wie Tages-, Jahresrhythmus, Trennung von Wohnen und Arbeit, normale Erfahrungen im Lebenszyklus, normale Sexualität, Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und noch ein paar weitere Bereiche mehr. Dies klingt doch eigentlich sehr einleuchtend und einfach.
Doch seit ein neues Coronavirus die Welt auf Trab hält, ist auch die Normalität in Institutionen ganz normal anders geworden. Seit sich das Virus verbreitet und über die Grenzen der Schweiz gekommen ist, beobachten wir die Situation und analysieren, welche Schritte und Massnahmen notwendig und angepasst sind oder sogar durch Weisungen umgesetzt werden müssen. Eigentlich wollen wir, dass die BewohnerInnen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, dass sie unterwegs sind, dass sie einkaufen, dass sie in den Ausgang gehen – kurz, dass sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Ebenso wollen wir eine offene Institution sein, wir lieben BesucherInnen, wir begrüssen gerne interessierte Personen und zeigen gerne unser Haus, unsere Werkstätten und wir haben Freude, wenn wir Kunden in unseren Werkstätten haben.
Und nun müssen wir lernen, mit der neuen Situation umzugehen. Die Infoplakate des Bundesamtes für Gesundheit hängen überall im Haus. Wiederholtes Üben des Händewaschens, ständiges Thematisieren, wie man sich nun zu verhalten hat, Social Distancing – das Abstandhalten – muss dauernd in Erinnerung gerufen werden. Liebgewonnene Gewohnheiten müssen angepasst oder sogar ausgesetzt werden. Können wir noch an Konzerte gehen, dürfen wir noch BesucherInnen empfangen, dürfen wir ein Unihockey-Freundschaftsspiel organisieren? Wie steht es mit einem Kinobesuch oder dem Auswärts-essen-Gehen?
Dies alles ist in einer Institution nicht ganz einfach. Einzelne BewohnerInnen können nur schwer verstehen, warum nun alles anders sein muss. Die verschiedenen Informationen und Plakate können verunsichern und Angst auslösen. So habe ich im Betrieb schon mal von einzelnen BewohnerInnen den Ausspruch gehört: «I ha d Schnouze voll!» Dies kann ich selbst auch verstehen. Ganz im Stillen denke ich mir dies manchmal auch, wenn wieder neue Nachrichten, Vorgaben, Verbote und Weisungen eintreffen und wir neben dem ganz normalen Tagesgeschäft diese spezielle Situation organisieren und bearbeiten müssen. Da hilft zum Glück, dass wir ein gutes Team sind. Alle Mitarbeitenden und alle BewohnerInnen helfen mit, die Situation zu tragen. Und ganz wichtig ist für mich, dass wir unseren Humor nicht verlieren, dass wir weiterhin Freude an der Arbeit haben und wir gemeinsam unterwegs sind. So sehe ich im Betrieb viele gut gelaunte Menschen, lachende Menschen, arbeitende Menschen, also ein Stück Normalität. In diesen Momenten habe ich «meine Schnauze» nicht mehr so voll. Genau dieses Stück Normalität in einer aussergewöhnlichen Situation wünsche ich uns allen – und natürlich Gesundheit.
ARNOLD SIEBER
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