BLICK IN DIE WELT - Die persönliche Freiheit – und die Probleme damit
31.03.2020 KolumneDie persönliche Freiheit – und die Probleme damit
Es ist schon eine besondere Zeit, die wir gerade erleben: Ein Virus legt die ganze Welt mehr oder weniger lahm. Das hat es in diesem Ausmass schon eine ganze Weile nicht mehr gegeben. Und egal, wie diese Krise für die ...
Die persönliche Freiheit – und die Probleme damit
Es ist schon eine besondere Zeit, die wir gerade erleben: Ein Virus legt die ganze Welt mehr oder weniger lahm. Das hat es in diesem Ausmass schon eine ganze Weile nicht mehr gegeben. Und egal, wie diese Krise für die Schweiz, Europa und die Welt endet: Man kann jetzt schon Erstaunliches beobachten.
Mich fasziniert immer wieder, wie unterschiedlich man in verschiedenen Teilen der Welt mit dem Coronavirus umgeht. Oder besser gesagt, wie man mit den behördlichen Anordnungen umgeht. In Südkorea zum Beispiel waren die Strassen schon zwei Tage vor dem Lockdown wie leer gefegt. Die Bevölkerung hat den Entscheid der Regierung antizipiert und umgesetzt. Natürlich auch mit der Erfahrung einer Gesellschaft, die immer wieder Pandemien besiegen muss. Auffallend ist auch, dass in asiatischen Ländern die Gesichtsmasken weit verbreitet sind. Allerdings sind sie das auch in Zeiten ohne Coronavirus und auch bei Touristen, die zum Beispiel in die Schweiz reisen. In Notsituationen zeigt sich die Disziplin asiatischer Gesellschaften besonders stark: Der Einzelne agiert völlig im Sinne des Ganzen, nimmt die Eigeninteressen sehr stark zurück.
In den USA kann man ein ganz anderes Phänomen beobachten, das mich mindestens genauso fasziniert. Man könnte sich zum Beispiel darüber lustig machen, dass in diesem Land die (riesigen) Einkaufszentren tatsächlich leer gekauft werden – und, dass es dabei nicht nur beim WC-Papier bleibt. Das wirklich faszinierende spielt sich meiner Meinung nach aber vor den Geschäften ab und zeigt, wie die amerikanische Gesellschaft funktioniert. Egal, wie panisch die Leute sich mit allem Nötigen versorgen und sich auf mehr oder weniger unvernünftige Art und Weise schützen wollen: Der Gemeinsinn geht ihnen dabei nie verloren. Anders als es vielerorts dargestellt wird, haben viele US-Bewohner nämlich einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Zugegeben, der artet von Zeit zu Zeit ins Absurde aus. Aber in dieser Situation fand ich es beeindruckend: Die Leute kauften zwar die Läden leer, taten dies aber in sehr geordneter Form. Hunderte von Metern stand ein Einkaufswagen hinter dem anderen in einer Reihe, damit die Leute nach und nach eingelassen werden konnten. In Notsituationen zeigt sich das ambivalente Wesen der US-amerikanischen Gesellschaft: Einerseits das starke Gerechtigkeitsempfinden und die Hilfsbereitschaft, andererseits aber auch die unreflektierten Affekthandlungen, für die sie in der ganzen Welt kritisiert wird.
Italien ist von der Pandemie sehr gebeutelt. Das hat, ohne hier vorverurteilend sein zu wollen, wohl auch mit den politischen Querelen zu tun, die das Land seit bald Jahrzehnten erdulden muss. In der Not zeigt sich aber auch, dass die Italiener leidensfähig sind und etwas kultivieren, das immer hilft: Sie haben auch in den dunkelsten Stunden Hoffnung und Lebensfreude, die ansteckend im besten Sinne ist.
Und die Schweiz? Bundesrat Berset betonte, dass die Schweizer Variante des Lockdowns eine sehr landestypische Lösung sei. Er war deshalb an der Pressekonferenz auch zunehmend genervt, als er immer wieder gefragt wurde, was denn nun erlaubt sei und was nicht. Denn das Schweizerische an der Lösung ist die Eigenverantwortung: Der Bundesrat nimmt jeden einzelnen von uns in die Pflicht. Das macht mich einerseits stolz, weil es nur konsequent ist, in einem Land mit diesem demokratischen System so zu handeln. Beschneidungen der persönlichen Freiheit sind nämlich eine heikle Grenze, die in jedem Fall nur mit Samthandschuhen angegangen werden sollte.
In der Schweiz müssen wir nicht die besten Einkaufswagen-Reihen haben, wir müssen auch nicht die höchste Maskentrage-Quote haben und die schönsten Lieder von den Balkonen singen. Aber ich erwarte, dass jeder fähig ist, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen.
SEBASTIAN DÜRST
SEBASTIAN.DUERST@BLUEWIN.CH