Curling-Coach und IT-Freak aus Leidenschaft
13.03.2020 Adelboden, SportSein Name ist untrennbar mit dem gleichnamigen Elektrogeschäft verbunden: Martin Stucki, 58-jährig. Er ist nicht nur Geschäftsführer der Familien-AG, sondern auch Curling-Trainer von Junioren- und Eliteteams sowie Coach der spanischen Nationalmannschaft. Zudem ist er sehr findig beim ...
Sein Name ist untrennbar mit dem gleichnamigen Elektrogeschäft verbunden: Martin Stucki, 58-jährig. Er ist nicht nur Geschäftsführer der Familien-AG, sondern auch Curling-Trainer von Junioren- und Eliteteams sowie Coach der spanischen Nationalmannschaft. Zudem ist er sehr findig beim Einsatz technischer Hilfsmittel.
In seinem ersten Leben machte der Adelbodner Martin Stucki nach absolvierter Schulzeit zwischen 1968 und 1972 eine Lehre bei Elektro Scheidegger in Bern. Es folgten eine erste Stelle in Spiez, die Meisterprüfung und die Heirat mit Fränzi, einer Spiezerin. 2013 übernahm er das elterliche Geschäft vis-à-vis vom Coop in dritter Generation. Gegründet hatte es sein Grossvater im Jahr 1929. Die Stuckis haben zwei erwachsene Kinder, eine Tochter und einen Sohn (26 und 22).
Sein zweites Leben begann 1989, im Jahr, als die Berliner Mauer fiel. Nach einigen Hockey-Jahren startete Stucki als 27-jähriger Quereinsteiger seine Aktivkarriere im Curling. Zusammen mit drei gleichaltrigen Kollegen bildete er ein Team, das dank harten Trainings auf dem Eis besser und besser wurde. «Curling faszinierte mich mehr als Hockey und wurde rasch zu meiner eigentlichen Leidenschaft», erzählt er. Die Resultate können sich sehen lassen: 2006: 3. Rang an der Schweizermeisterschaft sowie 4. Rang an der EM und im Rennen für die Olympischen Winterspiele 2010. 15 Jahre lang spielte Stucki in der Mannschaft von Björn Zryd.
Wechsel ins Trainer-Business
Bereits als Aktiver rutschte der Elektrofachmann ins dritte Leben: 2006 machte er die Trainerausbildung zum Leiter J+S, dann den World-Curling-Federation-Trainer (WCF) 1 und 2 sowie den WCF-Advanced-Coach und Ice Technician. 2006 lernte er zwei spanische Curler kennen. Zwölf Jahre später folgte die formelle Anfrage, ob er die spanische Nationalmannschaft an der EM in Tallinn (Estland) coachen würde. Der Adelbodner, der kein Spanisch, aber sehr gut Curling-Englisch spricht, sagte spontan zu.
Seit August 2019 ist Stucki nun offizieller Trainer der spanischen Nationalmannschaft und betreut wochenweise von August bis März Frauen, Mixed Doubles und Junioren. Er erhält dafür einen bescheidenen Lohn, zudem werden seine Spesen vollumfänglich übernommen. Ehefrau Fränzi und sein Vater führen derweil das Elektrogeschäft im Dorf.
Die spanischen Teams fliegen jeweils am Freitagabend von Bordeaux nach Basel und fahren mit dem Mietauto nach Adelboden. Am Samstag und am Sonntag werden sie je dreimal zwei Stunden in der Sportarena trainiert und fliegen am Sonntagabend wieder nach Hause. Je zwei Wochenenden im Oktober und November verbrachte Stucki in Jaca (Pyrenäen), wo die spanischen Curler auf einem Eisfeld in einer Hockeyhalle trainieren.
Teilnahme an Turnieren
Im vergangenen Jahr nahm Stucki mit spanischen Teams an mehreren grossen Turnieren teil – so in Oberstorf, Aberdeen und Kopenhagen. Die Junioren begleitete er an die Youth Olympics nach Lausanne, wo die Spanier ein Team stellen konnten. Das ist erstaunlich, denn in Sachen Curling ist Spanien ein Entwicklungsland. Eine Curlinghalle gibt es nicht, in der Schweiz stehen immerhin deren 44. Spanien zählt 200 lizenzierte Spielerinnen und Spieler, die Schweiz rund 8000. Krass ist auch der Vergleich beim Nachwuchs. Während in der Schweiz 400 Junioren spielen, sind es in Spanien nur deren 25.
Letzte Saison coachte Stucki auch chinesische Curlerinnen am Ladies Cup in Bern und trainierte landauf, landab mit Schweizer Mannschaften. Unterstützt wird er vom Kollegen und Curling-Coach Björn Schröder, von Sohn Fabian und von Tochter Céline, die sich um das Fotoshooting und das Livestreaming kümmert. Letzteres hat Zukunft. Der Coach reist nicht mehr zu den Teams, sondern verfolgt deren Training zu Hause am Bildschirm und vermittelt den Curlerinnen und Curlern simultan per Video Analysen und Anweisungen.
Analyse mit dem «Videowägeli»
Unternehmerisch wickelt Stucki seine Coaching- und Beratungsaktivitäten in der «PeakCurl Swiss Curling School» ab, die er in die Elektro Stucki AG integriert hat. Neben Einzel- und Mannschaftscoachings, Techniklektionen und Camps bietet die Firma technische Beratung, Livestreaming und Fotoshootings an. «Vier Leute müssen auf dem Eis perfekt harmonieren, sonst funktioniert das Spiel schlecht», ist der Adelbodner überzeugt.
Als IT-Freak entwickelte er ein «Videowägeli» mit einer Kamera, einem Computer und einem Laser. Wie wird dieses technische Hilfsmittel eingesetzt? Der Shooter spielt den Stein auf den Laser hinter dem Wagen. Die Kamera zeichnet das Geschehen auf. Der Coach schaut unmittelbar nach der Aktion den Verlauf der Fahrt gemeinsam mit dem Shooter an und bespricht die Aktion, die Abgabetechnik sowie die Taktik mit dem Team. Stucki ist von der Wirksamkeit seiner Didaktik überzeugt. «Die Analyse unmittelbar nach einem Sliding bleibt in den Köpfen besser hängen, als wenn man die Technik erst nach einer Trainingseinheit besprechen würde», meint er.
Kopien seines ersten «Videowägelis» verkauft er inzwischen an Curlinghallen in der ganzen Schweiz. 2018 installierte er für SWISSCURLING die Videotrainingsanlage im Nationalen Leistungszentrum Biel. Im Auftrag des Verbands produziert PeakCurl seit 2014 überdies sämtliche Livestreams.
Eines seiner Talente: Simon Gempeler
Auch in Sachen Motivation hat der Adelbodner seine eigene Methodik entwickelt: So kommt es vor, dass er unmotivierten Junioren im Einzelgespräch unmissverständlich Rückmeldung gibt und ihnen schonungslos ihr brachliegendes Potential aufzeigt. «Du kannst es besser. Konzentrier dich voll, und deine Resultate werden besser», sagt er zu seinen Talenten, was jeweils Wirkung zeigt. Ausser Einzelgesprächen ist es Stuckis Stärke, Teams zusammenzuschweissen und ihnen Spieltaktik und Spielfreude zu vermitteln.
Eines seiner Talente ist Teamkollege Simon Gempeler, Second in Sven Michels Spitzenteam. Ihn hat er mit Einzeltrainings im Team etabliert. Nach zwei Jahren wurde Gempeler an der Weltmeisterschaft in das Allstar-Team gewählt. So ist es kein Wunder, dass Martin Stucki heute über das Lohnerdorf hinaus bekannt ist. Andrea Zryd, Grossrätin, Sportlehrerin und Diplomtrainerin Swiss Olympic ist erfreut, wie sich der Erfolgs-Coach mit Herzblut und Enthusiasmus für die Nachwuchsförderung einsetzt. «Martin hat das Coachen von der Pike auf gelernt und dabei viel persönliche Erfahrung gesammelt. Dass er heute im Leistungssport seine Spuren hinterlässt, ist die Kirsche auf der Torte und absolut verdient.»
Ein Visionär
Auch der Seeländer Spitzen-Curler Daniel Müller kennt Stucki seit vielen Jahren. Sie teilen dieselbe Passion und haben oft gegeneinander gespielt. Müller bezeichnet Stucki als Visionär: «Mit seiner Weitsichtigkeit wie auch seiner technischen Expertise hat er ganz früh den Geist der Zeit erkannt und damit begonnen, den Curlingsport durch Streaming-Übertragungen zugänglich zu machen. Der traditionelle Verband SWISSCURLING konnte massiv davon profitierten und die Bekanntheit dieser Randsportart erhöhen. Holen die Schweizer Curler international Medaillen, ist das auch Martin zu verdanken.»
Auch in Adelboden weiss man, was man an dem einheimischen Aushängeschild hat. Spielerkollege Peter Oester ist der Meinung: «Martin setzt sich professionell für das Curling ein. Durch seinen Einsatz macht er unseren Ort und den Sport weltbekannt.»
Weiterbildungen sind geplant
Die nächsten Schritte in seiner Karriere hat Martin Stucki fest vor Augen. Er plant, sich zum Berufstrainer und dann zum Trainer Leistungssport ausbilden zu lassen. Anschliessend möchte er «ganz grosse Teams» coachen. Anfragen aus der Schweiz und aus dem Ausland liegen bereits vor. «Ich lasse das auf mich zukommen, überstürze nichts und werde entscheiden, wenn ich dazu bereit bin,» meint er. Man darf gespannt sein, wie Stuckis viertes Leben aussehen wird.
PETER SCHIBLI, ADELBODEN