Drinnen für die Wüste trainieren
06.03.2020 Frutigen, Sport5000 Kilometer in maximal 288 Stunden, und das auf dem Rennrad: Das wird sich Peter Trachsel (51) bei seinem kühnsten Vorhaben antun – ein Besuch in seinem Trainingscontainer.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Es riecht nach Anstrengung. Vor Bildschirmen steht ein Rennrad auf ...
5000 Kilometer in maximal 288 Stunden, und das auf dem Rennrad: Das wird sich Peter Trachsel (51) bei seinem kühnsten Vorhaben antun – ein Besuch in seinem Trainingscontainer.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Es riecht nach Anstrengung. Vor Bildschirmen steht ein Rennrad auf Rollen. Daneben ein Heizkörper, Handtücher, Trinkflaschen, Statistiken und an der Wand eine Amerika-Karte mit der farbig eingezeichneten Rennroute und den 54 zu passierenden Zwischenstationen. Der erste Gedanke bei diesem Anblick gilt dem Roman von Jules Verne «In 80 Tagen um die Welt». Doch so viel Zeit wird Peter Trachsel nicht haben. Die Route eines der härtesten Radrennen – des Race Across America (RAAM) – führt von Oceanside in Kalifornien bis nach Annapolis (Maryland) durch zwölf Bundesstaaten. Und für die Fahrt quer durch die Vereinigten Staaten haben die Teilnehmer in der Solo-Kategorie maximal zwölf Tage zur Verfügung.
Alles ist berechnet
Während des stundenlangen Trainings in seinem Container hat der leidenschaftliche Velofahrer immer Videos der Strecke vor und die Karte neben sich. «Vieles hat während der Vorbereitung mit Zahlen zu tun, es ist ein Rennen mit dem Rechenschieber: Wie viele Kilometer muss ich pro Etappe abspulen? Wie sieht es mit der Zeit oder der Durchschnittsgeschwindigkeit aus? Wie viele Kalorien muss ich zu mir nehmen? Wenn das alles durchgerechnet und geplant ist, dann muss ich einfach nur noch fahren.»
Das neunköpfige Betreuer- und Begleiterteam wird dafür sorgen, dass Peter Trachsel das Richtige isst (400 Kalorien pro Stunde), genug trinkt und muss ihn motivieren, wieder aufs Rad zu steigen. «Wenn ich jeden Muskel und Knochen spüre und dann den Camper verlassen und aufs Rad steigen muss – das wird wohl das Härteste sein. Besonders der Nacken wird stark belastet, da ich ja die ganze Zeit nach vorn schauen muss.»
Jetzt oder nie
Für diese Tortur hat sich der Frutiger im letzten Juni entschieden. Mit seinem 6. Rang in der Kategorie Ü50 beim «Glocknermann»-Rennen über eine Distanz von 880 Kilometer hatte er sich für das RAAM qualifiziert. «Ich hatte einen ausgezeichneten Trainingsstand, den ich nach ein oder zwei Jahren Pause wieder mühsam aufbauen müsste – also jetzt oder nie.»
Das aktuelle Programm sieht folgendermassen aus: Montags hat Peter Trachsel einen Erholungstag mit Massage und Sauna, dienstags sowie mittwochs gibts Intervalltrainings, und donnerstags gehts in die «Wüste». Dazu heizt er den Container auf 45 Grad, um während Stunden diese ungewohnten Bedingungen zu simulieren. Am Freitag ist Ruhetag mit Stretching und ein bisschen Hanteltraining, am Samstag und am Sonntag ist bis zu acht Stunden Ausdauertraining gefragt. Es geht aber auch darum, den Körper an die Fettverbrennung zu gewöhnen. Das heisst einen schwarzen Kaffee zum Zmorge und dann mehrere Stunden strampeln. Eine schweisstreibende Angelegenheit, noch ohne allfälligen Gegenwind.
Kalt, warm – rauf, runter
Auf den knapp 5000 Kilometern wird Trachsel drei Pässe von über 3300 Metern Höhe erklimmen, die durchaus schneebedeckt sein können. Dann folgen Hunderte Kilometer durch die Mojavewüste bei über 40 Grad, auch mit einem Tornado muss man rechnen. «Mit der Höhe werde ich wenig Probleme haben, das kann ich trainieren. Mental schwer werden für mich eher die endlos flachen Bundesstaaten Kansas und Missouri, wo einfach nichts ausser den schnurgeraden Strassen ist.» Trachsel wird unterwegs von seinem Team begleitet werden – nachts ist er auf die Beleuchtung und die Warnblinker des hinterherfahrenden Autos angewiesen. Streckenweise werden nämlich sogar die Standstreifen von Highways befahren. Auch für den richtigen Weg sind die Helfer verantwortlich. «Mein geplanter Rhythmus wird jeweils neun Stunden Velofahren gefolgt von drei Stunden Pause sein. Pro Tag muss ich 420 Kilometer schaffen», hat er berechnet. Doch der Körperzustand oder das Wetter können diesen Plan völlig durcheinanderbringen.
Bis es soweit ist, spricht er mit früheren Teilnehmern, holt sich Erfahrungswerte und Tipps, bezwingt vor allem nachts Schweizer Pässe oder fährt mal eben um den Thunersee. Nachts hat es weniger Verkehr, und zudem hat er auch Familie und eine Firma, die tagsüber sein Engagement erfordern. «Das Tempo über die ganze Strecke inklusive Pausen wird bei etwa einem Schnitt von 18 Stundenkilometern sein. Konstanz ist wichtiger als hohes Tempo. Die verlorene Zeit einer längeren Pause ist auf dem Rad schwer wiedergutzumachen.»
Ein Testlauf Mitte März
288 Stunden hat Peter Trachsel Zeit, 54 Posten muss er anfahren. Jeden der Posten kann ein Sponsor kaufen, aktuell sind etwa die Hälfte von Privatpersonen und Firmen reserviert. Und günstig ist sein Vorhaben nicht: Ohne Material – beispielsweise je ein Rad für flache respektive steile Etappen – hat er ein Budget von rund 35 000 Franken. Die grössten Einzelposten sind die Flüge und Übernachtungen des Teams. Um das Interesse zu wecken, die Sponsoren teilhaben zu lassen und eine Leistungskontrolle zu machen, führt er am 14. und 15. März einen 24-Stunden-Event in Frutigen durch. In den Räumen von Modellmarkt 24 an der Christoph Kunz-Olympiastrasse 10 tritt er auf der Rolle allein gegen mehrere Teams aus lokalen Velofahrern an. Unterstützer sind willkommen.
Am 16. Juni wird Peter Trachsel die Startlinie in Oceanside überfahren. Vor ihm haben das nur wenige SchweizerInnen gemacht. Insgesamt werden in seiner Kategorie vielleicht 30 Fahrer starten. Und dann? «Mein oberstes Ziel ist, innerhalb der Zeitlimite im Ziel einzutreffen. Das muss cool sein, nach so einer Strecke über den Zielstrich zu fahren. Ein einmaliges Erlebnis.» Dafür wird er aber noch viele Stunden in seinem Trainingscontainer in Kanderbrück leiden.
Weitere Informationen zum Race Across Amerika (u.a. Livetracking) und zum Team Trachsel finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter
www. frutiglaender.ch/web-links.html
ZUR PERSON
Peter Trachsel hat Jahrgang 1968, ist gelernter Zimmermann und führt in Kanderbrück ein eigenes Unternehmen. Die Arbeit als Bergführer übt er nur noch sporadisch aus. Er ist verheiratet mit Tanja, und die beiden haben zwei Kinder – Lino (7) und Flavia (10).
Erfolgreiche Schweizer
Das Rennen durch Amerika wird seit 1982 durchgeführt – damals standen vier Teilnehmer am Start. Je nach Route sind jeweils ungefähr 5000 Kilometer und 50 000 Höhenmeter zu absolvieren. Den Zeitrekord über die Distanz von 4860 Kilometer hat der mehrmalige Sieger Christoph Strasser aus Österreich inne, er war 7 Tage, 15 Stunden und 56 Minuten unterwegs, was einem Schnitt von 26,42 Stundenkilometern entspricht. Mit Daniel Wyss, Reto Schoch, Trix Zgraggen, Isabelle Pulver und Nicole Reist gab es schon mehrere Schweizer Kategoriensieger.
HSF