KOLUMNE – UNTERLÄNDER IM OBERLAND - Die Oberländer Hautevolee
06.03.2020 KolumneDie Oberländer Hautevolee
Die Damen sassen an ihrem Stammtisch.
Sie hatten einen Ginfizz oder ein Silberkännchen mit Kaffee vor sich. UND NIE HABE ICH EINE VON DEN KÖSTLICHEN TORTEN ESSEN SEHEN.
Die waren ja so etwas von diszipliniert.
Deli – wobei ich ...
Die Oberländer Hautevolee
Die Damen sassen an ihrem Stammtisch.
Sie hatten einen Ginfizz oder ein Silberkännchen mit Kaffee vor sich. UND NIE HABE ICH EINE VON DEN KÖSTLICHEN TORTEN ESSEN SEHEN.
Die waren ja so etwas von diszipliniert.
Deli – wobei ich nie genau wusste, ob der Name von Adele, von einem Tässchen «Tee» oder aus dem Indischen stammte – Madame Deli also (auf Oberländerisch: «ds Deeli») sass auch dabei: Klein. Rund. Und ungemein liebenswert. «Deli» war die Gastgeberin. Ihr Cafe Schmid war die erste Adresse am Ort. Und der «Damentisch» dort das Sahnehäubchen der Oberländer Hautevolee.
Wenn meine Mutter mit mir im Schlepptau das «Schmid» betrat, schüttelte unsere Gebieterin etwas genervt den Kopf. «Ja, haben diese Weiber eigentlich nichts anderes zu tun …?»
Das Kind durfte sich am Tortenbuffet etwas aussuchen («Aber nur EIN Stück, haben wir uns verstanden?») – Mutter selber wählte stets unter den diversen Canapé-Sorten «Spargel» und «russisches Ei» aus. Dann nickte sie zufrieden: «Sie gelieren hier die Brötli noch. Und schneiden den Rand weg!»
Wir setzten uns an einen der Holztische mit der Glasplatte darauf. Das Café war ganz modern im Stil der 50er-Jahre eingerichtet worden. Der Boden war mit einem Spannteppich bedeckt. Und wenn die Skifahrer mit ihren klobigen Schuhen vom Hahnenmoos zurückkehrten, um sich beim Après-Ski mit «Omnibus» vollzuschütten, sah der Teppich stets aus, als hätte der Adelbodner Viehmarkt darauf geweidet.
Mutter schaute missmutig zur eleganten Frauenrunde. Es waren eine Nationalratsgattin, die Frau eines Hotelbesitzers und eine Eiskunstläuferin aus den Goldenen Zwanzigern.
Alle straften uns mit Nichtbeachtung: «Seit sieben Jahren komme ich nun hierher – diese bornierten Satansbraten hätten mich noch nicht ein einziges Mal gegrüsst!», zischte es neben mir.
Ich löffelte an meiner Schwarzwäldertorte. Und Frau «Deli» wusste genau, dass der gefrässige Junge gerne drei Stück gehabt hätte – also balancierte sie auf einem Tellerchen noch ein paar Trockenbiscuits herbei: «Dasch fürs Grüfi …damits de emou e dunners Mannsbild get …»
Ich hooverte die Biscuits rein. Bedankte mich artig. Aber mit dem «dunners Mannsbild» ist es trotzdem nichts geworden …
Mein Vater betrat das «Schmid» nur in Ausnahmefällen. Man konnte die Serviertöchter hier nicht um die Taille nehmen. Und auch keine unsauberen Witze reis sen. Dazu war der alte «Bären» da. Oder der «Adler».
Für meinen Erzeuger war dieser «Tortenund Canapé-Schuppen» ein «typisches Weiber-Café». Und so sehr er alle Frauen hofierte – im Café mied er sie wie der Veganer die Wurst.
Immerhin – einmal musste er einfach mit. Grund: «Wenn du mit mir auf die Lohnerhütte läufst, spendiere ich dir im ‹Schmid› einen ‹Coupe Wildstrubel›.»
DER COUPE WILDSTRUBEL WAR DAS HÖCHSTE DER GFÜHLE!
In einem hohen Glas wurden Vanille-Glacekugeln mit heissen Himbeeren übergossen. Und alles im Rahm versenkt – dafür wäre ich auch auf die Jungfrau gestiegen!
Wie der Vater nun also mit dem Söhnchen das Café betrat, um ihm den «Wildstrubel im Glas» zu offerieren, waren alle Tische besetzt. Nur beim «Stamm» mit der Damen-Hautevolee waren noch zwei Stühle frei.
MEIN VATER HOCKTE SICH HIN: «Hallo, schöne Ladies – wir dürfen doch kurz stören …»
Er zwinkerte den hoch toupierten Weibern jovial zu: «Ich bin der Trämler-Hans aus Basel … jetzt erzähle ich euch mal einen Witz!»
Zuerst wurden die Frauen bleich wie Totenkerzen. Daraufhin liefen sie tomatenrot an. Und dann liessen sie Vater nie mehr gehen – sie bestellten mir einen zweiten «Coupe Wildstrubel»! Dann noch einen dritten.
Der Trämler-Hans war bei den Frauen gut gelandet. Und bei seinen Wirtinnen-Versen angekommen – sowie beim siebten Appenzeller. Die Hautevolee hielt Kind und Vater frei.
Als der Bub das nächste Mal mit seiner Mutter den Torten-Tempel betrat, wurde es am Frauentisch still. Die Damen stierten auf uns.
Dann nickten sie etwas unterkühlt: «Grüessech zäme!»
Mutter schrieb am selben Abend noch ihrer Schwester eine Ansichtskarte: «Du glaubst es nicht – die Adelbodner Hautevolee hat mich gegrüsst!»
- MINU
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