Ein Fest wider den Turmbau
29.05.2020 GesellschaftWas genau das Pfingstwunder ausmacht, war schon immer schwierig darzustellen. Schon früh setzte sich in der Kunst eine Darstellung durch, die sich an den biblischen Text anlehnte: Die ...
Was genau das Pfingstwunder ausmacht, war schon immer schwierig darzustellen. Schon früh setzte sich in der Kunst eine Darstellung durch, die sich an den biblischen Text anlehnte: Die Taube und kleine Flammen als Symbole für den Heiligen Geist. Die hier gezeigte Szene stammt aus einer syrischen Handschrift, dem sogenannten Rabbula-Evangeliar aus dem Jahr 586. Der Ausschnitt ist nur wenige Zentimeter gross. Auffällig ist die prominente Platzierung der Maria im Zentrum des Bildes; auf späteren Illustrationen sind häufig nur noch die Männer zu sehen. Dabei ist Pfingsten eigentlich ein Fest, das Unterschiede aufhebt und ganz verschiedene Menschen einander näherbringt – auch sprachlich.
Pfingsten sind die Geschenke am geringsten. Während Ostern, Geburtstag und Weihnachten etwas einbrachten.
Von Bertolt Brecht stammt dieser Schüttelreim, niedergeschrieben hat er ihn vor Jahrzehnten für sein «Alfabet», ein Kinderbuch. Was dort unter dem Buchstaben P notiert ist, stimmt ja einerseits: An Pfingsten gibt es keine Geschenke. Wenn man Glück hat, ist am langen Wochenende wenigstens schönes Wetter.
Auf der anderen Seite verwundert Brechts Einschätzung ein wenig. Man kann Pfingsten als politisches, in Teilen als geradezu sozialistisches Fest interpretieren – für einen linken Schriftsteller wie Bert Brecht eigentlich genau das Richtige. Doch der Reihe nach.
Wer Pfingsten verstehen will, muss zunächst einen Blick zurückwerfen und zum Anfang der Bibel blättern. Dort findet sich eine knappe Geschichte, nur wenige Verse lang, die als «Turmbau zu Babel» bekannt geworden ist. Die Menschen, die allesamt noch eine Sprache sprechen, wollen sich «einen Namen machen». Also fassen sie den Plan, eine Stadt mit einem gewaltigen Turm zu errichten, «dessen Spitze bis an den Himmel reiche». Gott beobachtet das Treiben der Menschen, und er hat kein gutes Gefühl dabei. Denn wenn sie dieses gigantische Projekt umsetzen, «dann wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun».
Also setzt Gott dem anmassenden Treiben ein Ende. Er verwirrt die Sprache der Menschen, auf dass keiner mehr den anderen verstehe, und zerstreut sie in alle Länder. Damit war das Projekt Turmbau gestorben.
Multikulturelle Grossstädte
Es gehört nicht viel dazu, diese Geschichte als Kritik an Grossreichen und ihrer Masslosigkeit zu lesen. Einen Hinweis darauf gibt schon der Ort der Handlung. Der Turm soll in Babel stehen, einem mächtigen Stadtstaat mit zeitweise 200 000 Einwohnern. Die babylonischen Befestigungsmauern, die riesigen Tempel und die hängenden Gartenanlagen zählten zu den Wundern der Antike. Und doch ging dieses Babel irgendwann unter, so wie alle Weltmächte irgendwann verschwinden. Die Moral von der Geschicht’: Wer seine Macht zu sehr ausdehnt, wer anfängt, Gott zu spielen, der wird daran zugrunde gehen.
Auch die Pfingsterzählung, wie sie das Neue Testament überliefert, spielt in einer grossen, multikulturellen Metropole: Jerusalem. Die Jünger sitzen dort beisammen, ihr Lehrer Jesus ist vor einigen Wochen elend am Kreuz gestorben. Doch dann geschieht etwas Merkwürdiges. Eine gewaltige Kraft, die Bibel spricht vom Heiligen Geist, überkommt die Anhänger Jesu wie eine Erleuchtung. Und plötzlich fangen sie an zu predigen in anderen Sprachen, sodass jeder sie versteht, ganz gleich, woher er kommt.
Betrunken am helllichen Tag?
Die Apostelgeschichte zählt an dieser Stelle penibel auf, wie viele Völker in Jerusalem aufeinandertrafen, von Juden und Arabern bis hin zu Römern und Kretern. Sie alle hörten die Prediger in ihrer eigenen Sprache von den grossen Taten Gottes reden. Manche überfordert die Situation: Sie erschrecken oder vermuten, die Jünger Jesu hätten am helllichten Tag zu viel Wein genossen. Aber wer die Botschaft Gottes hören will, der versteht sie auch.
Dieses Pfingstwunder ist sozusagen der Gegenentwurf zur babylonischen Sprachverwirrung. In Babel wurden die Menschen auseinandergerissen und in alle Winde zerstreut – in Jerusalem finden sie unter neuem Vorzeichen wieder zusammen.
Gebaut auf Sklaverei und Ausbeutung
Das erste Pfingsten gilt als Geburtsstunde der Kirche, und tatsächlich: Was die Bibel hier beschreibt, ist der Beginn einer neuen globalen Bewegung, eines Weltreichs der anderen Art. Ob Babylonier, Perser oder Römer, die bisherigen Grossmächte gründeten auf Gewalt und Ausbeutung. Die Sklaverei war eine tragende Säule der antiken Gesellschaften.
Wie anders war dagegen die Lehre Jesu! Der Mann aus Nazareth predigte Gewaltlosigkeit und hatte ein Herz für Schwache und Randgruppen. Reichtum und Besitz dagegen sah er kritisch – sie hielten den Menschen nur davon ab, die eigentlichen Reichtümer zu entdecken. Und noch etwas anderes ist neu: Wer etwas zum Guten verändern wolle, so der Aufruf, der möge bei sich selbst anfangen: umkehren, Busse tun, sein Leben ändern.
Wie diese Lehre in der frühchristlichen Praxis aussah, beschreibt die Apostelgeschichte so: «Alle waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte.»
Eine staatszersetzende Macht
Grösser, höher, mächtiger – das war das Motto des Turmbaus zu Babel. Die Anhänger Jesu dagegen setzen auf Demut und Bescheidenheit. Dahinter steckte die Überzeugung, dass vor Gott jeder Mensch gleich viel wert ist, egal ob Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, Mann oder Frau.
Im römischen Imperium hat man die frühen Christen für dieses merkwürdige Weltbild verspottet. Sie interessierten sich weder für Geld noch für Macht, die Beziehung zu Gott und zum Nächsten war ihnen wichtiger als ihr eigener Vorteil. Solche Leute konnte man nicht ernst nehmen.
Doch das war ein Trugschluss. Tatsächlich wohnte dem christlichen Weltbild eine staatszersetzende Kraft inne. Wer unabhängig ist von den gängigen Normen, lässt sich eben nicht so leicht vereinnahmen und instrumentalisieren – weder politisch noch wirtschaftlich. In späteren Diktaturen hatte das Christentum darum stets einen schweren Stand. Die christliche Kirche galt als unkontrollierbarer Störfaktor – auch wenn sie selbst diesem Bild nicht immer gerecht wurde.
Die Freiheit eines Christenmenschen
Und heute? Die Pfingstbotschaft ist dieselbe wie vor 2000 Jahren. «Lasst euch erretten aus diesem verkehrten Geschlecht!», mahnt der Apostel Petrus die erste Gemeinde. Übersetzt heisst das: Hier läuft etwas falsch, lasst euch da heraushelfen! Verweigert euch – mit Gottes Hilfe – dem ewigen Turmbau. Damit wäre auch die Frage beantwortet, was man vom kommenden Wochenende erwarten darf. Das Pfingstgeschenk ist die Freiheit, sich zu widersetzen, auch mal gegen den Strom zu schwimmen, nicht immer das zu tun, was man eben so tut. Wie gesagt: Dem schreibenden Weltverbesserer Bertolt Brecht hätte Pfingsten eigentlich gefallen müssen.
MARK POLLMEIER
Der Turmbau zu Babel findet sich im 1. Buch Mose (Genesis), Kapitel 11, Verse 1-9. Die Pfingsterzählung steht im 2. Kapitel der Apostelgeschichte (zum Autor: siehe auch Kasten). Wenn im Artikel der biblische Text zitiert wird, geschieht dies nach der Lutherübersetzung von 1984.
Für die Armen – nicht für die Armut
Zwei wichtige Teile des Neuen Testaments stammen sehr wahrscheinlich vom selben Autor: das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte, in der sich auch die Pfingstüberlieferung findet. Der Name Lukas ist dabei eine nachträgliche Zuschreibung – tatsächlich ist über den Urheber wenig bekannt. Dagegen kann man den Abfassungszeitpunkt seiner Werke relativ gut bestimmen. Die Forschung geht überwiegend davon aus, dass das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte um das Jahr 90 herum entstanden – also schon mit einem gewissen zeitlichen Abstand zum Leben Jesu.
Wegen seiner vergleichsweise anspruchsvollen Sprache nimmt man ausserdem an, dass jener «Lukas» ein gebildeter Mann war. Er beherrschte wohl die damaligen Weltsprachen Griechisch und Latein und kannte die klassische antike Literatur.
Interessant ist der Autor aber vor allem wegen seiner theologischen Schwerpunkte. Einer davon hat unser Denken besonders stark beeinflusst: der Kontrast von Armut und Reichtum, der auch in der Apostelgeschichte immer wieder aufscheint. Dass der Autor ein Armutsideal vertritt, ist allerdings ein Missverständnis. Die Position des Lukas ist: Nach dem Willen Gottes soll es keine Armut, keine Bedürftigen geben.
Geld und Besitz sind also nicht grundsätzlich schlecht. Reichtum ist aber dann verwerflich, wenn er nur gehortet wird, statt damit etwas Sinnvolles anzufangen – zum Beispiel die Not anderer Menschen zu lindern.
Das Ideal einer christlichen Gemeinschaft hat Lukas in seiner Apostelgeschichte so beschrieben (Apg 4,34+35):
«Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Äcker oder Häuser besass, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte und legte es den Aposteln zu Füssen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.»
POL