KOLUMNE – THE YOUNG VIEW - Allein mit sich selbst
08.05.2020 KolumneAllein mit sich selbst
Momentan ein Thema für eine gute Kolumne zu finden, ist gar nicht so leicht. Denn es fühlt sich gleichzeitig so an, als wäre das Coronavirus langsam mehr als durchdiskutiert – aber andererseits findet auch niemand was wirklich Besseres, um ...
Allein mit sich selbst
Momentan ein Thema für eine gute Kolumne zu finden, ist gar nicht so leicht. Denn es fühlt sich gleichzeitig so an, als wäre das Coronavirus langsam mehr als durchdiskutiert – aber andererseits findet auch niemand was wirklich Besseres, um darüber zu reden. So erscheint es mir zumindest auch bei den meisten Gesprächen, die ich momentan führe: Auch wenn man über anderes redet, landet man letztlich doch wieder bei den Themen Homeoffice, dem schönen Wetter (das man nicht richtig geniessen kann), der leidenden Wirtschaft, den neu ausprobierten Koch- und Backrezepten, der entdeckten Passion fürs Puzzlen etc. Damit spricht man zwar nicht direkt über Corona, aber über all die Dinge, die auf irgendeine Art und Weise von dieser Pandemie beeinflusst oder erst ausgelöst wurden.
Und die meisten Leute ärgern sich nach Strich und Faden. Warum? Wahrscheinlich, weil sie die eingeführten Massnahmen hauptsächlich als Einschränkungen sehen: Geht nicht nach draussen, trefft keine Freunde und Familie, betretet die Migros nicht, ohne die Hände zu desinfizieren, nutzt keinen öV, macht dies nicht und das nicht und wehe dem, der noch immer in die Faust niest. Aber was sich, meiner bescheidenen Meinung nach, die meisten nicht überlegen, ist, dass all die sozialen Normen und Regeln, all die Erwartungen, die normalerweise erfüllt werden müssen, mal so ziemlich wegfallen. Denn obwohl wir als Gesellschaft so sehr zusammenhalten müssen, wie schon lange nicht mehr, erscheint es mir doch, dass das Individuum von der Gesellschaft auf eine Art und Weise kaum mehr eingeschränkt ist. Jeder darf jetzt seine Freizeit so verbringen und seine Zeit so einteilen, wie er das will, solange dabei soziale Kontakte auf ein Minimum heruntergefahren sind. Dementsprechend denke ich, dass es eventuell besser wäre, sich den neuen Alltag als eine Umfokussierung vorzustellen: Wir müssen uns nun gezwungenermassen mit uns selbst beschäftigen, statt mit unserem sozialen Umfeld. Aber genau das gibt uns doch auch die Möglichkeit, uns zu fragen, was wir eigentlich wollen. Für uns und nicht für andere, denn die sehen wir im Moment eh nicht und niemand kann kritisieren, dass man eventuell lieber bis mittags schläft und dafür in die Nacht hinein arbeitet. Niemand ist da, der sich darüber amüsieren könnte, dass man sich nun in den Kopf gesetzt hat, das perfekte Sauerteigbrot zu backen (siehe dazu links). Oder, dass man den ganzen Tag mal einfach nur gelesen hat oder sich eine ganze Staffel der Lieblingsserie angesehen hat – einfach, weil man jetzt gerade Lust dazu hatte. All die Dinge, die wir rein für uns tun, für die wir uns normalerweise rechtfertigen müssen oder von denen wir das Gefühl haben, dass man es eigentlich nicht macht, weil es «egoistisch» ist, können wir nun tun. Und niemand kann uns wirklich dabei reinreden.
Liebe Leute, macht was ihr wollt. Ihr dürft es. (Aber bitte haltet euch an die Anweisungen des BAG.)
XENIA SCHMIDLI
SCHMIDLIX@HISPEED.CH