Faszination Alpenblumen
12.06.2020 NaturDie heimische Gebirgsflora ist verblüffend: Sie gedeiht in Felsspalten oder auf Kalkböden, und manche Pflanzen brauchen Jahre bis zur vollen Blüte.
Wer im Vorsommer mit offenen Augen über Alpweiden, Triften und Felsenpfade wandert, kann angesichts der Artenvielfalt der ...
Die heimische Gebirgsflora ist verblüffend: Sie gedeiht in Felsspalten oder auf Kalkböden, und manche Pflanzen brauchen Jahre bis zur vollen Blüte.
Wer im Vorsommer mit offenen Augen über Alpweiden, Triften und Felsenpfade wandert, kann angesichts der Artenvielfalt der Alpenflora nur staunen. Vom winzigen Blümchen des Alpen-Mannsschild bis hin zur stattlichen 90 cm hoch werdenden Türkenbundlilie sind Pflanzen in allen Grössen, Formen und Farben zu sehen. Sei es in Wässermatten, auf Trockenrasen, Geröllhalden oder in schroffen Felsbändern: Überall gibt es Blumen, die als wahre Überlebenskünstler ihr Dasein fristen. Viele von ihnen müssen mehr als ein halbes Jahr lang bei eiskalten Minustemperaturen und unter meterhohen Schneedecken bis zum Frühling ausharren, um wieder wachsen und erblühen zu können.
Vielfältige Literatur, einzigartige Düfte
Alpenblumen interessierten die Menschheit schon recht früh. Einer der ersten Experten auf diesem Gebiet war der Schweizer Naturforscher und Arzt Conrad Gessner. Schon Mitte des 16. Jahrhunderts machte er minutiöse Beobachtungen im Hochgebirge und schrieb erste wissenschaftliche Abhandlungen über die Flora der Alpen.
Heute gibt es unzählige qualitativ hochstehende Bücher, Verbreitungsatlasse und sogar Apps, in denen man alles über Alpenblumen sehen und nachlesen kann. Am schönsten und interessantesten sind jedoch immer noch die eigenen Beobachtungen direkt in der Natur, wo sich der Interessierte zusätzlich noch an den verschiedenen Duftnoten einzelner Blumen erfreuen kann. Wer beispielsweise mal den vanilleähnlichen Geruch eines blühenden Männertreus eingeatmet hat, erkennt diesen später mit verbundenen Augen.
Jede Blumenart ist mehr oder weniger an eine gewisse Höhenlage gebunden. Auch die Bodenbeschaffenheit spielt dabei eine wichtige Rolle, so wächst etwa die weisse Alpenanemone nur auf kalkhaltigem Boden, dieweil ihre Verwandte, die gelbe Schwefelanemone, sauren Silikatboden bevorzugt. Anderen wiederum – wie dem rosa blühenden Alpen-Mannsschild – genügt eine Handvoll Humus in einer Felsspalte.
18 000 Samen und langsames Wachstum
Alpenblumen sind das ganze Jahr über zu entdecken: Pelzanemonen (auch Frühlingsanemone genannt) sowie die Frühlings-Schlüsselblume machen ihren Namen alle Ehre und sind mit dem oft massenweise vorkommenden Krokus und den Seidelbast-Gewächsen die ersten, die die Schneeschmelze kaum erwarten können.
Ab Mai bis Juni und bis spät in den Herbst hinein wird man von der nun zum Vorschein kommenden Artenvielfalt überwältigt: Diverse Enzian-Arten, Aurikel, Trollblumen, Knabenkräuter, Wundklee, Veilchen und Stiefmütterchen, Alpenaster, Hauswurz-Arten, Lilien, Edelweiss, Alpenrosen, Glockenblumen uvm. verwandeln nun die Alpweiden, Geröllhalden und Felsbänder in ein farbenfrohes Blumenmeer.
Eine der 23 bekannten Glockenblumen-Arten ist die bis zu 50 cm hoch werdende Strauss-Glockenblume, ein sehr spezielles Gewächs mit einer besonderen Lebensweise: Eine einzige Blume enthält bis zu 18 000 Samen, die zu gegebener Zeit vom Wind zerstreut werden. Und doch findet man diese schöne Blume nur sporadisch. An kalkhaltigen Standorten ist sie in grösseren Mengen zu sehen, dafür wiederum kilometerweise gar nicht. Vom Samen bis zur Blühreife braucht die Strauss-Glockenblume erstaunliche fünf bis zehn Jahre.
Besser nicht anrühren!
Ein Grossteil unserer Alpenblumen ist (je nach Kanton) streng geschützt. Sie auszugraben lohnt ohnehin nicht, da sie im eigenen Garten meistens nicht mehr wachsen und zugrunde gehen. Zudem gibt es auch giftige unter ihnen – etwa den Blauen Eisenhut oder die Seidelbast-Gewächse. Schon das Pflücken von Seidelbast kann Hautentzündungen hervorrufen, zudem sind deren Fruchtkörper hochgiftig und können beim Verzehr sogar zum Tode führen. Besser ist es also, die Blumen stehen zu lassen und sich daran in freier Natur erfreuen.
BERT INÄBNIT, SCHÖNRIED