KOLUMNE – QUERGESEHEN - Häusergeschichten von gestern
19.06.2020 KolumneHäusergeschichten von gestern
Es ist schon fast historisch zu nennen, was derzeit in Adelboden geschieht: Gleich dreimal innert kurzer Frist hat der Baggerzahn vertraute Gebäude entlang der Dorfstrasse verschwinden lassen. Die letzte solch grundlegende Veränderung des ...
Häusergeschichten von gestern
Es ist schon fast historisch zu nennen, was derzeit in Adelboden geschieht: Gleich dreimal innert kurzer Frist hat der Baggerzahn vertraute Gebäude entlang der Dorfstrasse verschwinden lassen. Die letzte solch grundlegende Veränderung des Dorfbilds liegt wohl bald 40 Jahre zurück, als das Wrack des Hotels National dem «Lohnerhof» wich. Da sei es einem alternden Exil-Adelbodner gestattet, der nun abgebrochenen Häuser kurz und subjektiv zu gedenken.
Da ist zunächst das Hotel Alpenrose, an dessen Stelle das eben eröffnete, ungleich mächtigere Revier-Hotel prangt. Bevor die ziemlich heruntergekommene «Alpenrose» zum «Rösi»-Jugendpub wurde, gab es hier eine vergleichsweise schicke Bar, in der wir in jungen Jahren nicht ungern dem hauseigenen Pianisten zuhörten. «Alpenrose»-Hotelier war damals Jürg Aellig, ein liebenswerter Mensch, der in der Adelbodner Eishockeymannschaft als einziger mit schwarz-weiss quergestreiften Strümpfen auftrat – weshalb man ihn «ds Zebra» nannte. Jürg Aellig amtete von 1982 bis 1985 als Gemeindepräsident, er trug den Titel eines Dr. rer. pol. – aber ein herausragender Geschäftsmann war er wohl nicht. Auch soll er seinen Söhnen vom Hotelierberuf abgeraten und ihnen stattdessen das Bankfach nahegelegt haben. So kam die Aelligsche Hoteltradition zu ihrem Ende.
Eine Lücke ins Dorfbild geschlagen hat neuestens der Abriss des 1909 erbauten Hotels Kreuz. In seinem später abgebauten grossen Saal fanden Adelbodens erste Kinovorführungen statt; hier ging jeweils auch die Preisverleihung des Schülerskirennens über die Bühne. Einen Podestplatz hatte ich nie, aber das im Kindergewimmel servierte Wienerli und der aromatische Zimttee bleiben im Gedächtnis. Es folgten die Jahre, in denen wir uns im Untergeschoss des Restaurants Kreuz stundenlang an der Kegelbahn vergnügten (eine solche gab es auch im Hotel Schönegg; man war sich uneins, wo die Kugeln besser rollten).
Die «Kreuz»-Wirte hiessen seit Anbeginn Gempeler. Der letzte aus der Dynastie, A lbert junior, hatte ein Flair für Wein: Die kostbaren Bordeaux-Flaschen in seinem Angebot waren legendär. Im Jahr 2000 übernahm die Familie Rosser, deren Sohn Chris an der Stelle des Hotels Kreuz nun einen Aparthotel-Neubau wagt.
Der dritte Kulissenwechsel an der Dorfstrasse ist auf der Schärmatte zu verfolgen. Gottlieb Schär hiess der Arzt, der von 1904 bis 1942 im zurückversetzten Haus praktizierte. Mit dem Einzug von Dr. Paul Schmid 1943 ist es ein Doktorhaus geblieben. Der stets freundlich lächelnde Hausarzt Schmid, im höheren Alter mit kauzigem Bart unterwegs, war ein grosser Förderer von Konzerten klassischer Musik in Adelboden. Das interessierte uns Buben in den Fünzigerjahren allerdings nicht – eher schon der Sandkasten und die Schaukel auf Schmids grosszügigem Anwesen, wo uns «Frau Doktor» Hildi öfters mal ein Güetzi zusteckte. Und wenn einem etwas zugestossen war, endete man gleich nebenan im niedrigen Wartezimmer der Praxis, leicht verunsichert durch die unidentifizierbaren medizinischen Düfte, die das Haus durchdrangen. 1982 übernahm Schmids Sohn Werner die nunmehr umgebaute Arztpraxis.
Jetzt ist das alte Doktorhaus weg; dieser Tage wird direkt an der Dorfstrasse auch das zweite Schärmatte-Gebäude verschwinden. Für mich der berührendste Teil der Adelbodner Abbruchwelle: Dieses Haus, das einst einer Frau Bärtschi gehörte, beherbergte bis zum Jahr 1957 die Drogerie meines Vaters. Die Familie wohnte im ersten Stock, hier verbrachte ich meine ersten Lebensjahre. Nicht, dass ich mich besinnen würde – aber vergilbte Fotos zeigen, wie ich auf der Terrasse über dem ehemaligen «Calida-Lädeli» laufen gelernt habe. Vor bald 67 Jahren ...
Aber Schluss jetzt mit Sentimentalitäten. Die abgerissenen Bauten im Adelbodner Dorfkern waren mehr oder weniger marode, kaum sinnvoll renovierbar und ohne besonderen baukulturellen Wert, ihre Lebensdauer abgelaufen. Auf der Schärmatte entstehen zeitgemässere Wohnbauten, die beiden anderen Baggeropfer schufen Platz für neue Hotels. Die alten Häuser sind Geschichte – nur das Erinnern bricht nicht ab. Gut für den Ort, dass die Zeit auf diese Art vorangeht.
TONI KOLLER
TONI_KOLLER@BLUEWIN.CH