NICHTS ZU VERBERGEN
Am Mittwoch behandelte der Nationalrat die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot». Den Befürwortern dürfte es dabei in die Karten gespielt haben, dass sich nebst der Sommersession anscheinend auch der Lockdown langsam verabschiedet: Gemäss ...
NICHTS ZU VERBERGEN
Am Mittwoch behandelte der Nationalrat die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot». Den Befürwortern dürfte es dabei in die Karten gespielt haben, dass sich nebst der Sommersession anscheinend auch der Lockdown langsam verabschiedet: Gemäss einer aktuellen SRG-Umfrage sind nur noch 30 Prozent der Bevölkerung für eine generelle Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr. Somit bekommt das bereits vor dem Lockdown geäusserte Votum des Ständerates Thomas Minder wieder mehr Gewicht: «In der Schweiz zeigt man sein Gesicht. So einfach ist das.»
Egal, ob man hierzulande nun eine Hygienemaske, eine Burka oder einen Niqab trägt, das Verdikt scheint klar: Wer eine Maske aufsetzt, hat etwas zu verbergen und/oder steht unter Zwang. Der freie, gesunde, rechtschaffene Geist lüftet hingegen sein Visier. Aber so einfach ist es nicht.
Erstens verschwinden zusammen mit den Masken weder das Coronavirus noch kulturell tief verwurzelte Hierarchien. Die Verhüllung ist nur deren Ausdruck, nicht die Ursache. Also wird nicht unbedingt freier, wer gezwungen wird, sich zu enthüllen.
Da Masken immer etwas ausdrücken, folgt zweitens: Oft zeigt man sein wahres Gesicht oft gerade dann, wenn man es verhüllt. Das gilt nicht nur für die abgesagte Fasnacht, wo Masken als Befreiungssymbol ja sehr begehrt gewesen wären. Im Schweizer Alltag gilt: Solange freie Gesichter der Normalfall sind, fallen Verhüllte eher auf, statt sich in der Menge verbergen zu können. Man exponiert sich und verliert seine Anonymität, gerade weil man sich maskiert.
Das Verhüllungsverbot befreit also nicht wirklich und kann auch nicht garantieren, dass nichts verborgen wird. Umgekehrt haben einige Maskengegner vielleicht selber etwas zu verbergen – nämlich die Ansicht, dass einen eigentlich nicht die Maske, sondern deren Träger stört. Aber so viel vom eigenen Gesicht will man dann eben doch nicht zeigen.
Am Mittwoch hat das Parlament die Volksinitiative für ein grundsätzliches Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum jedenfalls deutlich mit 114 zu 76 Stimmen abgelehnt. Drei Räte haben sich übrigens der Abstimmung enthalten. Die hatten wohl etwas zu verbergen.
BENJAMIN HALTMEIER
B.HALTMEIER@FRUTIGLAENDER.CH