Technologie unter Druck
16.06.2020 Aeschi, AeschiriedEin aktueller Fall zeigt: 5G-Antennen sind nach wie vor umstritten, oft aus Angst vor gesundheitlichen Risiken. Doch auch rechtlich ist die Lage teilweise ungeklärt. Noch immer hat der Bund keine Richtlinien erlassen, wie mit den neuen Anlagen umzugehen ist.
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Ein aktueller Fall zeigt: 5G-Antennen sind nach wie vor umstritten, oft aus Angst vor gesundheitlichen Risiken. Doch auch rechtlich ist die Lage teilweise ungeklärt. Noch immer hat der Bund keine Richtlinien erlassen, wie mit den neuen Anlagen umzugehen ist.
MARK POLLMEIER
Am kommenden Donnerstag wird die Versammlung der reformierten Kirchgemeinde Aeschi-Krattigen stattfinden. Der Termin dürfte deutlich mehr Interesse hervorrufen als herkömmliche Anlässe dieser Art. Neben Standard-Traktanden wie der Jahresrechnung wird es auch um die geplante Mobilfunkanlage im Kirchturm gehen.
Wie vielerorts im Land ist auch diese Antenne umstritten. Laut einem Bericht des «Berner Oberländers» sind beim Regierungsstatthalteramt mehrere Sammeleinsprachen eingegangen, mehr als 200 Personen haben sich daran beteiligt. Die Einsprecher liegen im Trend. Laut Swisscom gibt es bei rund jedem dritten Baugesuch für eine Handyantenne Einsprachen.
Verwirrende Informationslage
Die Gründe für den Widerstand sind vielfältig. Den einen geht es um ästhetische Fragen, sie finden die teils auffälligen Antennenmasten störend. Andere bezweifeln, was Wirtschaft und Telekommunikationsunternehmen behaupten: Dass die Schweiz ohne 5G den Anschluss an den Fortschritt verpasse. Das seien reine Drohkulissen, so die Skeptiker. In Wahrheit sei die Einführung von 5G gar nicht so nötig wie immer behauptet.
Die meisten der Antennengegner haben jedoch gesundheitliche Bedenken. Insbesondere die 5G-Technologie mit ihren neuen Frequenzen sei nicht ausreichend erforscht, ihre Einführung ein grosses Selbstexperiment ohne Zustimmung der Betroffenen. Zwar beteuern Mobilfunkanbieter und die grosse Mehrheit der Wissenschaftler, dass eine schädigende Wirkung der Strahlen nicht nachgewiesen sei und dass die Schweiz vergleichsweise strenge Grenzwerte habe. Doch all das nützt längst nicht mehr. Die Stimmung zwischen den Parteien ist vergiftet. Den Mobilfunkriesen unterstellt man rein wirtschaftliche Interessen, Politiker und Wissenschaftler, die sich pro 5G äussern, gelten als «gekauft».
Bei alledem spielen auch das Internet und soziale Plattformen eine Rolle. Wer versucht, sich dort über Chancen und Risiken der 5G-Technologie zu informieren, ist mit einer Fülle von Angeboten konfrontiert. Quellen, die sich um Sachlichkeit bemühen, stehen gleichwertig neben Fake-News-Seiten und YouTube-Videos, die vor allem Panik schüren und Verschwörungstheorien verbreiten.
Die Kantone sind uneins
Mit Verspätung hat der Kulturkampf um die neue Mobilfunk-Generation auch die überregionale Politik erfasst. Die Kantone Genf, Waadt und Jura haben im vergangenen Jahr ein eher symbolisches Moratorium für die Errichtung von 5G-Antennen verhängt, in Genf wurde es zuletzt «bis auf Weiteres» verlängert. Im Kanton Bern wiederum wurden zwei Vorstösse für einen solchen Baustopp nach engagierter Diskussion deutlich abgelehnt – unter anderem mit dem Argument, für den Strahlenschutz sei der Bund zuständig. Kantonale Regelungen seien rechtlich gar nicht zulässig, bekräftigte auch Volkswirtschaftsdirektor Christoph Ammann während der Debatte. Der Grosse Rat des Kantons Neuenburg fordert deshalb mit einer Standesinitiative einen generellen Marschhalt beim Ausbau des 5G-Netzes.
Das Hin- und Her zeigt: Die Politik hat das Thema verschlafen und bisher noch keine einheitliche Linie gefunden, wie sie mit der Kritik an der Einführung von 5G umgehen soll. Das beste Beispiel dafür ist der Bund. Der ist zwar für die Richtwerte beim Strahlenschutz zuständig. Doch noch immer ist nicht geklärt, wie die Strahlenbelastung der neuen 5G-Antennen überhaupt gemessen und berechnet werden soll. Den Kantonen fehlt damit die Vollzugshilfe: Ohne eine Vorgabe des Bundes ist es schwierig, die Sendemasten mit Blick auf die Strahlung zu beurteilen. Auch deswegen steht man dem Thema in der Westschweiz zögerlich gegenüber. In anderen Landesteilen behilft man sich auf Empfehlung des Bundesamts für Umwelt damit, die neue Technologie wie die bisherige zu behandeln. Die Belastung durch 5G-Anlagen wird dadurch tendenziell zu hoch eingeschätzt – weil man nicht berücksichtigt, dass die neuen Antennen ihre Leistung dem jeweiligen Nutzer anpassen.
«Einsprachen» ausserhalb des Rechtswegs
Trotz solcher Unsicherheiten werden weiter Baubewilligungsverfahren für 5G-Antennen durchgeführt. Sind die derzeit geltenden gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, muss die Bewilligung erteilt werden. Ob es eine weitere Antenne braucht, wie die Gesundheitsrisiken einzuschätzen sind – das haben die Behörden nicht zu beurteilen. Und wird eine bereits bestehende Antenne bei gleicher Sendeleistung auf 5G umgerüstet, ist dafür nicht einmal eine Publikation nötig. Der Vorgang kann im sogenannten Bagatellverfahren direkt von der Volkswirtschaftsdirektion entschieden werden.
Weil die rechtlichen Möglichkeiten begrenzt sind, machen viele 5G-Gegner auch ausserhalb des Rechtswegs Druck – etwa auf lokale Milizbehörden. Solche «Einsprachen» könnte am Donnerstag auch der Aeschiner Kirchgemeinderat zu spüren bekommen, der sich für die Antenne im Turm ausgesprochen hatte.