Überlebenskünstler, gefährliche Vögel – und ein Wildhüter im Spannungsfeld
28.07.2020 Mülenen, Emdthal, NaturMit Geschichten über Adler, und Gämse, Steinbock, Wolf und Luchs zieht Peter Juesy aus Scharnachtal regelmässig Zuhörer in seinen Bann. Die Anekdoten aus seiner Zeit als Wildhüter vermitteln auf humorvolle Weise zwischen Jägern, Naturschützern und Landwirten.
RUTH ...
Mit Geschichten über Adler, und Gämse, Steinbock, Wolf und Luchs zieht Peter Juesy aus Scharnachtal regelmässig Zuhörer in seinen Bann. Die Anekdoten aus seiner Zeit als Wildhüter vermitteln auf humorvolle Weise zwischen Jägern, Naturschützern und Landwirten.
RUTH STETTLER
Vor der Niesen-Talstation und im Berghaus erzählte Peter Juesy am Freitag, 17. Juli, interessierten ZuhörerInnen seine Wildhütergeschichten. In seiner täglichen Arbeit bewegte er sich ständig in den Spannungsfeldern «Wildtierfreund und -feind» sowie «schützen und nutzen». Seine Strategie in der herausfordernden Berufszeit bestand darin, stets beide Seiten zu sehen, Ruhe zu bewahren und sich den aufkommenden Problemen zu stellen. Das Buch «Jagdund Wildtiere im Kanton Bern», das er mit zwei weiteren Autoren verfasst hat, ist recht umfangreich geworden. Dies zeigt die Vielfalt seiner Berufsfelder auf.
Die Rehgeiss im Kofferraum
Als Juesy – damals noch Wildhüter – die Kollision mit einer Rehgeiss beim Rohrbach gemeldet wurde, ordnete er an, bei der Unfallstelle zu warten, bis er komme. Als er jedoch eintraf, waren nur noch Blut- und Schleifspuren im Schnee zu sehen. Offensichtlich war der Unfallwagen Richtung Adelboden gefahren. Die Spuren führten ihn zu einer bekannten Bar. Der Wildhüter setzte sich zum wortkargen Besucher, und dieser wurde während des Small Talks zusehends nervöser. Als Juesy ihn dann mit dem Telefonat und der «Fahrerflucht» konfrontierte und Diensthund Cora zum Beschnuppern der Fahrzeuge losschickte, öffnete der Mann den Kofferraum und die Rehgeiss kam zum Vorschein. Weil der Fahrer so stark alkoholisiert war, hatte er Angst gehabt, an der Unfallstelle zu warten. Schliesslich war der «Übeltäter» dem Wildhüter dankbar dafür, dass dieser ihm das tote Reh abnahm. Dankend lehnte Juesy nach der Aufklärung und der Aufnahme der Personalien für die Strafanzeige eine Einladung zum Bier ab.
Wer ist gefährlicher: Steinadler oder Bartgeier?
Nach der Fahrt auf den Niesen erfuhr das begeisterte Publikum im Berghaus mehr über Steinbock und Gämse, Steinadler und Bartgeier. Letzterer war der Held des Tages, wo doch kürzlich die erste Brut nach der Neuansiedelung im Berner Oberland gesichtet wurde (der «Frutigländer» berichtete).
Bartgeier baden gern in eisenoxidhaltigen Sedimenten, was ihnen das orangerote Brustgefieder verleiht. Die Aasfresser zersplittern Knochen mittels Fall- und Spalttechnik. Im Gegensatz zum Steinadler ist der Bartgeier zwar grösser, aber kein Greifvogel. Dies entlastet ihn auch von seinem schlechten Ruf, er hätte früher Kinder gepackt und in den Abgrund stürzen lassen. Dieser Irrtum hatte dazu geführt, dass der Vogel in der Schweiz während mehrerer Jahrzehnte ausgestorben war. Mehr fürchten müsste der Mensch sich vor dem grössten Greifvogel Europas, dem Steinadler. Gleitschirmpiloten, die in der Nähe eines Adlerhorstes mit Jungtieren ihre Kreise ziehen, laufen Gefahr, vom Raubvogel angegriffen zu werden. Es kam bereits zu mehreren Vorfällen dieser Art.
Der Adler «schlägt» seine Beute fast immer oberhalb des Horsts. So kann er mit der Last, die nicht selten ebenso viel wiegt wie er selbst, absinken. Dieses Verhalten kann am Niesen, wenn der Adler brütet, besonders gut beobachtet werden.
Was Ringe über den Steinbock verraten
Eine Überlebenskünstlerin ist die Gämse. Sie hat allen Gefahren getrotzt und ist im Gegensatz zu den anderen Wildtieren, die auf dem Niesen in Juesys Referat vorkamen, nie ausgerottet worden. Durch das Vordringen des Luchses hat sich die Gämse nun weiter oben im Gebirge angesiedelt. Dies nennt man im Wildhüter-Fachjargon «wechselseitiger Anpassungsprozess von Beutetier und Beutegreifer». Der Gämsenbestand nehme aber aufgrund der Gämsblindheit, der zunehmenden Störungen durch Menschen, der Verdrängung durch den Rothirsch und auch wegen der wachsenden Luchspopulation ab.
Erfolgreich wieder angesiedelt wurde der Steinbock, der trotz seiner stattlichen Hörnerpracht der beste Kletterer im Gebirge ist. Wie die Jahresringe am Baum verraten auch die Ringe an den Hörnern des Huftieres sein Alter. Neuste Studien zeigen, dass die Hörner auch Rückschlüsse auf das Klima zulassen. Der Steinbock lebt über den Winter von einer Fettreserve.
Ein illegal geschossener Schneehase
Als Wildhüter war Juesy fürs Frutigtal zuständig. Die jährliche Freigabe des Wildes in der Jagdzeit war mitunter sein Job als Jagdinspektor. Seiner Anekdote mit dem Schneehasen schickt er voraus, dass sich die allermeisten der knapp 3000 Jäger im Kanton Bern korrekt verhielten. Nicht jedoch in einem speziellen Fall. Juesy folgte einem Schuss. Die Jagdgruppe, die er einholte, leugnete diesen. Also schickte der Wildhüter seine verlässliche Hündin Cora mit dem üblichen Befehl «such Bock!» los. Tatsächlich kam sie mit dem Bringsel, dem «Lederriemen», im Maul zurück und führte den Wildhüter 100 Meter von der Gruppe entfernt zu einer Tanne, in der ein geschossener Schneehase hing. Erst Juesys Androhung, die Schusswaffen via Polizei zu überprüfen, brachte den ältesten Jäger zum Geständnis. Während Juesys Zeit als Wildhüter war der Schneehase im November, wenn er ganz weiss gefärbt war, noch kurze Zeit jagdbar. Der geschossene Hase fiel jedoch nicht in die erlaubte Zeit. (Vor dem Hintergrund der tiefen Bestände unterliegen der Feld- und Schneehase im Kanton Bern seit 1991 einem Jagdmoratorium = Jagdverbot.)
Nach der aufschlussreichen Bildershow und einer weiteren Geschichte konnte im Berghaus gemütlich und ausgiebig gebruncht werden, und der Wildhüter gab weitere Erfahrungen preis. Am nebelverhangenen Tag war vom vielfältigen Tierreich am Niesen zwar nicht viel zu sehen. Die Besucher aus dem See-, Mittel- und Oberland waren dennoch bestens unterhalten.
Weitere Geschichtenfahrten auf den Niesen: 21. August, 23. September. Mehr Informationen unter www.frutiglaender.ch/web-links.html.